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«Das System muss transparent sein»

    Für die Mitarbeitenden muss es klar und nachvollziehbar sein, wie die Löhne zustande kommen. Dasselbe gilt für Funktionseinstufungen und Beförderungen, findet Caroline Schubiger.

    Anfang August hat der Kaufmännische Verband seine branchenspezifischen Lohnforderungen veröffentlicht. Wie kommen diese zustande?

    Caroline Schubiger: Wir beziehen unterschiedliche Faktoren in unsere Überlegungen ein. Zum einen sind das Analysen und Prognosen zur Konjunktur im internationalen und nationalen Kontext. Vor diesem Hintergrund geht es dann für jede einzelne Branche um deren Entwicklung und Perspektiven. Dabei spielen auch die Beschäftigungsquote und das aktuelle Lohnniveau eine Rolle. Der andere Fokus liegt auf der zu erwartenden Erhöhung der Lebenshaltungskosten wie zum Beispiel aufgrund der prognostizierten Teuerung.

    Welchen Stellenwert haben die Lohnforderungen in den konkreten Verhandlungen?

    Sie sind die Basis für die Lohnverhandlungen – eine Art Richtwert. In den konkreten Verhandlungen geht es dann um viele weitere spezifische Aspekte: Wie steht das Unternehmen wirtschaftlich da?  Wie hoch ist die Gewinnmarge? Wie sah die Lohnentwicklung in der Vergangenheit aus?

    Wie verbindlich sind die Forderungen für Arbeitgeber?

    Wie in jeder Verhandlung kommen zwei Parteien mit eigenen Interessen zusammen, die meist nicht deckungsgleich sind. Die Forderungen widerspiegeln unser Interesse als Arbeitnehmervertretung. In den Verhandlungen versuchen wir, diese bestmöglich zu verwirklichen. Wie bei jeder anderen Verhandlung braucht es dafür jedoch die Bereitschaft zur Kooperation beider Parteien.

    Für den Detailhandel liegt die Forderung zwischen 0.75 bis 1.5%. Der Detailhandel zählt zu den Tieflohnbranchen. Warum fällt hier die Forderung eher bescheiden aus?

    Natürlich würden wir für den Detailhandel gerne eine substanzielle Erhöhung fordern, nur wäre das nicht realistisch. Im Detailhandel ist die Gewinnmarge – im Vergleich zum Beispiel mit der Pharma- und Chemiebranche – bescheiden. Solche Überlegungen fliessen natürlich auch in unsere Forderungen ein. Es ist immer ein Abwägen zwischen unserem Anspruch und der Realität der jeweiligen Branche.

    Ausser dem Detailhandel zählen auch die Gastronomie und die Hotellerie zu den Tieflohnbranchen. Was haben diese drei gemeinsam?

    Bei allen sind die Gewinnmargen eher tief. Die Betriebe müssen sich in einem harten Wettbewerb behaupten, was immer auch zu grossem Preisdruck führt. Sie weisen einen hohen Frauenanteil sowie einen hohen Anteil an Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund auf. Viele von ihnen arbeiten Teilzeit. Bezüglich der Löhne ist hier unser Anliegen, dass Lohnerhöhungen kontinuierlich gewährt werden und nicht nur in Jahren mit Rekordumsätzen.

    Was bevorzugen Arbeitgeber: generelle oder individuelle Lohnerhöhungen?

    Wir stellen seit ein paar Jahren fest, dass individuelle Lohnerhöhungen bevorzugt werden. Das sogenannte Giesskannenprinzip ist nicht so beliebt. Wenn alle Mitarbeitenden gleich viel bekommen, fehlt nach Auffassung vieler Arbeitgeber der Anreiz, eine gute Leistung zu erbringen. Anderseits gibt es seitens vieler Arbeitgeber das Bedürfnis, besonders engagierte oder erfolgreiche Mitarbeitende zu belohnen. Aus unserer Sicht ist ein gewisser individueller Anteil nachvollziehbar. Eine reine individuelle Verteilung lehnen wir jedoch ab, da diese voraussetzt, dass klar ist, wie und von wem Leistung beurteilt wird. Dies ist in der Realität oft nicht der Fall und führt immer wieder zu Unmut. Individuelle Lohnerhöhungen können zu Ungleichheit führen. Insbesondere wenn zum Beispiel die Lebenshaltungskosten steigen, sind alle davon betroffen, auch diejenigen, welche bei der individuellen Runde leer ausgehen. Ob und wieviel generell beziehungsweise individuell ausbezahlt wird, ist daher immer auch Teil der Verhandlung.

    Inwiefern sind Boni ein Thema?

    Boni sind immer mal wieder ein Thema. Beispielsweise im Nonfood-Bereich des Detailhandels geht es um die Frage nach der Honorierung von Verkaufsleistungen. Wer am besten verkauft, soll belohnt werden, lautet die Devise mancher Arbeitgeber. Dafür fehlt es aber oft an fairen Voraussetzungen. So hat beispielsweise eine Verkäuferin, die in der Frühschicht eingeteilt ist, weniger Kunden als die Kollegin, welche am Abend im Einsatz ist. Ausserdem kann das innerhalb eines Verkaufsteams zu einem Konkurrenzverhalten bezüglich der Kundenbedienung führen. Diese Art von Boni ist einer guten Atmosphäre in einem Team eher abträglich.

    Ganz abgesehen von Lohnerhöhungen. Wie sollten sich der fixe und der variable Lohnbestandteil verhalten?

    Ganz allgemein gesagt, sollte der variable Lohnbestandteil gegenüber dem fixen auf keinen Fall dominieren. Ansonsten sollte dieses Verhältnis abhängig sein von der Lohnhöhe und der Funktion. Bei einem Bruttojahreseinkommen unter 80 000 Franken beziehungsweise bei Stellen unterhalb der Kaderstufen und in Funktionen mit wenig Autonomie sollten variable Lohnbestandteile nach Leistung möglichst tief gehalten werden und sollten allenfalls der zusätzlichen Motivation oder dem Dank für besonderen Einsatz dienen.

    Ratgeber

    Laut verschiedenen Untersuchungen nimmt die Lohnschere weiterhin zu.  

    Diese Entwicklung kritisieren wir. Insbesondere in den Grossunternehmen kommt es zu maximalen Diskrepanzen zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn. Daneben gibt es zum Glück ungleich viel mehr KMU, wo sich dieses Verhältnis in einem vernünftigen Rahmen bewegt. Was aus unserer Sicht mindestens so gravierend ist wie die innerbetriebliche Lohnschere sind die grossen Lohnunterschiede zwischen einzelnen  Branchen und einzelnen Regionen. Diese Art von Ungleichheit kann sich ebenfalls negativ auf die Stabilität der Wirtschaft auswirken.

    Gemäss dem Bundesamt für Statistik verdienen Frauen aktuell 18.3% weniger als Männer. Fast die Hälfte davon kann man nicht mit Fakten erklären. Eine der Begründungen lautet, dass Frauen weniger gut verhandeln. Ist da etwas dran?

    Wir stellen immer wieder fest, dass Männer bei gleicher Qualifikation und Erfahrung tendenziell höhere Forderungen stellen als Frauen. Das Verhalten im Lohngespräch spielt bei der Lohnungleichheit sicher eine Rolle. Anderseits werden Frauen aber auch mit Rollenstereotypen seitens der Arbeitgeber konfrontiert. So werden beispielsweise manche Teilzeitstellen schlechter bezahlt als Vollzeitarbeit – und damit meine ich schlechter als der korrekte prozentuale Anteil des entsprechenden Vollzeitlohns. Und gemäss verschiedenen Studien fällt der Lohn nochmals tiefer aus, wenn die Bewerberin Kinder hat.

    Was würden Sie davon halten, wenn der Lohn in der Stellenausschreibung genannt würde?

    Ich finde das eine spannende Idee. Die Frage, wer sich im Vorstellungsgespräch besser verkaufen kann, würde dadurch weitgehend irrelevant. Ich denke aber, dass es sich dabei nicht zwingend um einen fixen Betrag handeln sollte, sondern um eine gewisse Lohnbreite. Je nach Know-how, individueller Erfahrung und Ausbildung braucht es im Rahmen des Lohnsystems einen gewissen Spielraum bei der Festsetzung des Lohns.

    Soeben ist der Ratgeber «Löhne» des Kaufmännischen Verbands erschienen. Ein sicheres Mittel, um im Lohngespräch richtig zu liegen?

    Es handelt sich dabei um Empfehlungen des Verbands. Die Zahlen werden vom Bundesamt für Statistik erhoben und zeigen, welche Löhne im Branchenvergleich bezahlt werden. Es müssen immer auch noch branchen- und unternehmensspezifische Faktoren berücksichtigt werden. Und sicher macht es sich nicht schlecht, wenn Mitarbeitende im Lohngespräch erwähnen, dass sie sich bezüglich des von ihnen geforderten Lohns vorab bei ihrem Verband erkundigt haben.

    Der Kaufmännische Verband erteilt auch individuelle Beratung zum Lohn. Um welche Fragen geht es da typischerweise?

    Häufig sind das Anfragen von Berufstätigen, die den Job oder die Branche wechseln möchten und sich schon lange nicht mehr mit Lohnfragen befasst haben. Andere stehen vor einem Wiedereinstieg nach einer längeren Pause. Oder es geht um den ersten Lohn beim Berufseinstieg. Unter den Ratsuchenden sind auch langjährige Angestellte, die einfach mal wissen möchten, ob sie angemessen eingestuft sind.

    Löhne sind ein grosses Tabuthema. Fänden Sie mehr Transparenz erstrebenswert?

    Transparent sein muss das System an sich. Ob die einzelnen Löhne offengelegt werden, ist für mich zweitrangig. Ich finde es wichtig, dass für die Mitarbeitenden klar und nachvollziehbar ist, wie die Lohnbänder beziehungsweise die Löhne zustande kommen. Dasselbe gilt für Funktionseinstufungen und Beförderungen. Diesbezüglich Transparenz zu schaffen, ist entscheidend und hat viel mit Unternehmenskultur und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden zu tun. Und es braucht die Bereitschaft von allen Beteiligten, darüber zu diskutieren, wenn dies gewünscht wird.

    • Therese Jäggi

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