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Der moderne Berufs- und Praxisbildner

Lorenz Ramseyer gibt KV-Lernenden gerne auch mal unkonventionelle Aufgaben. Und er liebt ortsunabhängiges Arbeiten. Dafür sucht er immer wieder neue Räume auf.

Wir treffen uns an einem ungewöhnlichen Ort zum Gespräch. Es ist ein Coworking Space im Dachstock des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI an der Einsteinstrasse in Bern. Die beiden Räume stehen allen Mitarbeitenden offen. «Einer unserer KV-Lernenden hat diesen Coworking Space im Rahmen einer Projektarbeit eingerichtet», sagt Lorenz Ramseyer, Berufsbildungsverantwortlicher beim SBFI. Konkret heisst das, dieser Lernende entwarf ein Raumkonzept, erstellte ein Budget und machte Vorschläge für die Möblierung und Einrichtung der Arbeitsplätze. Von diesem Ort erhofft sich Lorenz Ramseyer Synergien: dass sich Mitarbeitende austauschen, auch einmal über die gewohnten Teamzusammensetzungen hinaus, dass man miteinander ins Gespräch kommt und neue Ideen entwickelt.

Lorenz Ramseyer liebt ungewöhnliche Arbeitsorte. Neben seiner 40%-Anstellung beim SBFI ist er als selbstständiger IT-Consultant tätig. Zwar verfügt er über ein Homeoffice an seinem Wohnort im freiburgischen Kerzers, doch viel lieber geht er hinaus zum Arbeiten, setzt sich in den Zug und sucht sich immer wieder neue Räume. Das kann mal ein Restaurant sein, ein Coworking Space oder ein Museumscafé. «Ich arbeite gerne dort, wo es lebendig ist, das ist für mich inspirierend.» Gerade für Konzeptarbeit ist seiner Meinung nach eine unkonventionelle Arbeitsumgebung ideal.

Ortsunabhängig arbeiten

Im Zusammenhang mit neuen Arbeitsformen ist seit ein paar Jahren häufig von ortsunabhängigem Arbeiten die Rede. Lorenz Ramseyer beschäftigt sich damit schon seit 2006, avant la lettre sozusagen. Damals engagierte er sich mit seiner Firma Bergspitz Media an einem Hilfsprojekt in Peru, wo er Kleider produzieren liess und in der Schweiz vertrieb. 2006 war er für längere Zeit in Peru unterwegs und besuchte die Produktionsstätten. «Dort realisierte ich, dass ich in Internetcafés per Mail mit den Kunden in Kontakt bleiben und auch einmal etwas auf der Webseite anpassen konnte.» Vor Ort in einem Büro präsent zu sein, war nicht mehr zwingend nötig. Seither lässt ihn das Thema nicht mehr los. Die weitere technologische Entwicklung mit der Erfindung des Smartphones begünstigte die Entstehung von ortsunabhängigen Arbeitsformen. 2008 ging er nach Australien und erwarb ein Diplom in Kommunikation. Auch dort führte er die Bergspitz Media, welche er heute noch als «Virtual CEO» betreibt, weiter. «Die Kombination von Reisen und Arbeiten hat mich schon immer fasziniert», sagt er.

2014 hat Lorenz Ramseyer an der Fachhochschule Ostschweiz eine Masterarbeit zum Thema «Digitale Nomaden» verfasst. Vor zwei Jahren gründete der 45-Jährige den Verein «Digitale Nomaden Schweiz», welchem mittlerweile über 850 Mitglieder angehören. Als Präsident organisiert er regelmässig Mastermind-Meetups mit den Mitgliedern und verfasst einen Blog. Seine Firma bietet Keynotes und Workshops zum Thema «Zukunft der Arbeit» an.

«Ich arbeite gerne dort, wo es lebendig ist, das ist für mich inspirierend.»

Eine Vision

Kann man Digitaler Nomade und gleichzeitig in der Bundesverwaltung angestellt sein? Momentan würde er sich als lokaler Digitaler Nomade bezeichnen, meint er. Vor gut zwei Jahren kam sein Sohn auf die Welt und damit begann für ihn eine eher sesshafte Phase. Doch schon für nächstes Jahr plant der Reisebegeisterte zusammen mit seiner Partnerin ein sechsmonatiges Sabbatical im französischsprachigen Raum. Während dieser Zeit wird er sicher für Bergspitz Media tätig sein. Und er hat eine Vision: Dass er von unterwegs in reduziertem Umfang für das SBFI tätig sein könnte. Dieser Entscheid ist jedoch noch nicht gefallen.

Wie offen sind Schweizer Firmen gegenüber ortsunabhängigem Arbeiten? «Es gibt innovative Firmen, welche eine positive Einstellung dazu haben und neue Formen ausprobieren, aber die Mehrheit kann damit noch nicht viel anfangen.» Die grössten Widerstände gingen dabei oft nicht einmal von der Geschäftsleitung aus, sondern vom mittleren Kader, und zwar aus Angst vor Machtverlust, vermutet Lorenz Ramseyer. «Am Arbeitsplatz präsent zu sein, ist schon sehr stark in unserer Arbeitskultur verankert.» Diesbezüglich braucht es einen Wandel, ist er überzeugt. Dabei sind die Führungskräfte gefordert. Vertrauen in die Mitarbeitenden ist eine fundamentale Voraussetzung. Er geht davon aus, dass dies einer jüngeren Generation von Vorgesetzten inskünftig eher leichter fallen wird.

Nachholbedarf in der Schweiz

Andere Länder sind laut Lorenz Ramseyer viel mutiger, viel weiter. Die USA zum Beispiel, aber auch Dänemark, Schweden und Holland. «Die experimentieren mit den neuen Arbeitsformen und haben eine ganz andere Fehlerkultur.» Ein Unternehmen, welches ortsunabhängiges Arbeiten toleriert, sei gerade auch in der Rekrutierung von Fachkräften entschieden im Vorteil, weil das Potenzial von Bewerbenden sehr viel grösser ist, meint Lorenz Ramseyer. Ausserdem habe eine Firma auch imagemässig etwas davon. Sie könne sich als moderne Arbeitgeberin profilieren, was sich ebenfalls positiv auf die Rekrutierung auswirkt. Ausserdem höre er immer wieder von Berufstätigen, die angeben, dass sie unterwegs fokussierter, produktiver arbeiten, was sich letztlich positiv auf die Produktivität der Firma auswirke.

Gig-Economy – damit gemeint ist eine Arbeitsform, bei der Arbeitsaufträge an Freelancer vergeben werden. Dabei dient eine Onlineplattform als Mittler zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.  «Die Entwicklung der Arbeit geht ganz klar in diese Richtung», ist Lorenz Ramseyer überzeugt. Nirgends boomt der Arbeitsmarkt so stark wie auf Jobplattformen. «Bis in zehn Jahren wird fast die Hälfte der Büroangestellten ausserhalb der Räume ihrer Arbeitgeber arbeiten», ist er überzeugt. Und er hat den Eindruck, dass wir in der Schweiz nicht gerade gut darauf vorbereitet sind. Zum einen haben wir hohe Lohnansprüche und sind damit nur bedingt konkurrenzfähig. Denn die Kehrseite der Gig-Economy sind Leistungs- und Lohndruck. Das will Lorenz Ramseyer nicht schönreden. Anderseits verfügen wir über ein Sozialversicherungssystem, das sich an einer traditionellen Biografie orientiert und für die Digitalen Nomaden neu erfunden werden müsste.

«Am Arbeitsplatz präsent zu sein, ist schon sehr stark in unserer Arbeitskultur verankert.»

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Skills für morgen

Lorenz Ramseyer ist in Kerzers aufgewachsen, hat das Lehrerseminar absolviert und war während einigen Jahren als Primarlehrer tätig. Er hat schon Mitte der 1990er-Jahren, als das Internet noch kaum bekannt war, mit seinen Schülern und Schülerinnen Webseiten gebaut. «Mich faszinierte die IT von Anfang an und es war mir immer klar: Die Bildung kann von der IT nur profitieren.» In seiner Funktion als IT-Consultant führt er oft auch Workshops in Berufsschulen zum Thema digitale Transformation durch. «In den Berufsschulen ist der Präsenzunterricht immer noch weit verbreitet.» Im Bildungswesen allgemein braucht es seiner Meinung nach noch etwas Zeit, um Ortsunabhängigkeit zuzulassen.

In den Nullerjahren hat er den Schweizer Bildungsserver Educanet mit aufgebaut und absolvierte einen Fachausweis als IT-Projektleiter. 2009 wechselte er zum SBFI.

Hier werden momentan acht KV-Lernende ausgebildet. Als Berufsbildner lässt er sich immer von der Frage leiten: Welche Skills brauchen Lernende, damit sie im Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen können? Zentral für ihn sind die fünf Cs: Creativity, Communication, Collaboration, Critical Thinking, Computational Thinking. In diese Skills müsse man investieren, ist er überzeugt. Er achtet darauf, dass Aufgaben für Lernende immer möglichst nahe an diesen Fähigkeiten dran sind. Als Beispiel erwähnt er ein Projekt im Zusammenhang mit dem «Europäischen Tag der Sprachen» am 26. September. Lernende hatten den Auftrag, zum Thema Sprachenvielfalt Stimmen aus der Bundesverwaltung einzuholen, dazu gehörte auch ein kurzes Interview mit Bundesrat Guy Parmelin. Daraus entstand ein Video, welches am entsprechenden Tag auf den Social-Media-Kanälen gepostet wird. «Jetzt kann man sich fragen, was das noch mit KV zu tun hat, aber ich finde, dass solche ganzheitlichen Projekte die KV-Lehre bereichern, und dass es heute weniger um traditionelle Fähigkeiten wie – sagen wir mal – das Maschinenschreiben geht.»

Projekte für Lernende

Im SBFI gibt es eine Lernenden-Jobbörse. Dabei schreiben einzelne Abteilungen Projektaufträge aus und die Lernenden können sich bewerben. «Es müssen nicht alle immer dasselbe lernen. Bei diesen Projekten kommen die individuellen Neigungen und Interessen zum Zug.»

Vor welchen Herausforderungen stehen Berufs- und Praxisbildner/innen? Lorenz Ramseyer sieht diese idealerweise in der Funktion von Coaches beziehungsweise Enablern. Wissensvermittlung im Sinne von «Ich zeige dir Schritt für Schritt, wie es geht», ist seiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäss. Was es aber nach wie vor braucht, ist die Fähigkeit, zu motivieren, zu ermutigen, Inputs oder ein Feedback zu geben. Und ganz besonders gut gefällt ihm, wenn eine Lernende ihrem Praxisbildner auch einmal etwas beibringt, zum Beispiel, wie man auf dem Smartphone ein Video schneidet.

«In den Berufsschulen ist der Präsenzunterricht immer noch weit verbreitet.»

Autorin

  • Therese Jäggi

Herbsthalbtagung 2019

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