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Die physischen Leiden der Bürokräfte

    Arbeit am PC kann zu Schmerzen im Nacken-, Schulter- oder Armbereich führen. Doch das muss nicht sein. Indem man sich an ein paar einfache Grundsätze hält, schützt man sich davor.

    Am Ende des Gesprächs verlasse ich die Reha Zürich mit einer Blackroll in der Tasche. Dabei handelt es sich um eine kleine Rolle aus schwarzem Kunststoff, 15 mal 5 cm. Mirjam Mossner hatte mir zuvor gezeigt, wie ich diese einsetzen kann: Zum Beispiel, indem ich den Unterarm der Länge nach über der Rolle langsam bewege, einmal mit dem Handgelenk nach oben, einmal nach unten, abwechselnd mit dem linken und dem rechten Arm. Ich nehme mir vor, diese Übung inskünftig immer mal wieder zu machen, einfach so, als Prävention. Denn eigentlich ging ich nicht als Patientin in die Reha, sondern weil es mich interessierte, welche Auswirkungen Computerarbeit auf Nacken, Arme und Hände haben kann.

    Mirjam Mossner ist seit acht Jahren Praxisinhaberin der Reha Zürich mit vier Mitarbeiterinnen und zwei Praxen in der Zürcher Altstadt und in Zürich-Oerlikon. Ursprünglich machte sie eine Lehre als technische Zeichnerin. Sie hat während der Ausbildung noch gelernt, von Hand zu zeichnen, doch sei das Handwerk zunehmend von der Computerarbeit verdrängt worden und sie habe festgestellt, dass ihr dieses ausschliessliche Arbeiten am PC nicht entspricht. Sie absolvierte dann die Erwachsenenmatur und ist mittlerweile seit 20 Jahren als Ergotherapeutin BSc tätig. Während dieser Zeit hat sich ihr Tätigkeitsgebiet stark verändert. «Wir stellen fest, dass die Beschwerden im Zusammenhang mit Computerarbeit in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben», sagt sie. Während man sich in der Hand-Ergotherapie früher vorwiegend um die Folgen von Arbeits- oder Sportunfällen zu kümmern hatte, geht es heute bei mehr als der Hälfte aller Patienten in irgendeiner Art um Probleme wegen der Arbeit am PC.

    Unspezifische Beschwerden

    Wer die Reha Zürich aufsucht, tut dies immer, weil er irgendwo Schmerzen hat. Eine unter vielen möglichen Diagnosen kann das Repetitive-Strain-Injury-Syndrom beziehungsweise Überlastungssyndrom sein. Dieses bezeichnet unspezifische Beschwerden im Nacken- oder Schulterbereich, in den Armen oder Händen. Betroffen sind Personen, die über einen längeren Zeitraum die immer gleichen Bewegungen ausführen, zum Beispiel im Umgang mit der Tastatur oder der Maus. Typisch für diese Beschwerden ist, dass sie immer mal wieder an unterschiedlichen Stellen im Oberkörper auftreten.

    Ausser um die Behandlung der körperlichen Symptome geht es laut Mirjam Mossner immer auch um zwei weitere wichtige Faktoren: Um eine Analyse des Arbeitsplatzes und den Einbezug der psychosozialen Faktoren.

    Sie fordert ihre Klienten jeweils auf, sich am Arbeitsplatz aus unterschiedlichen Perspektiven fotografieren zu lassen. Aufgrund der Fotos sieht sie sofort, wo Verbesserungsvorschläge angebracht sind. Dabei geht es um die optimale Ausrichtung der Hardware: die Höhe von Stuhl, Tisch und Bildschirm, und um die Positionierung von Tastatur und Maus in Relation zur arbeitenden Person. Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind Faktoren im Bereich des Arbeitsmanagements wie zum Beispiel: Arbeitet die Person organisiert und strukturiert? Wie hoch ist der Arbeitsdruck? Werden Pausen eingehalten? Dabei ist sie manchmal erstaunt, wie wenig die meisten Leute über diese Dinge Bescheid wüssten. Immer wieder komme es vor, dass jemand nicht einmal sagen könne, ob sein Pult höhenverstellbar sei.

    «Wir stellen fest, dass die Beschwerden im Zusammenhang mit Computerarbeit in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben»
    Mirjam Mossner

    Ganzheitliche Betrachtung

    Bei der psychosozialen Situation geht es um Fragen wie zum Beispiel: Hat der Klient Angst, dass er seine Stelle verliert? Steht die Klientin unter ständigem Erfolgsdruck? Leidet sie unter Arbeitsüberlastung, Termindruck, Mobbing? Sind familiäre Belastungen vorhanden? Diese Themen kommen früher oder später immer zur Sprache und werden in die Therapie integriert. Diesbezüglich habe sich denn auch einiges geändert: Während die Therapie früher ausschliesslich auf die Behandlung der körperlichen Anzeichen fokussierte, ist heute ihrer Meinung nach eine ganzheitliche Betrachtungsweise angebracht.

    «Wer bei uns eine Therapie macht, geht mit uns einen Vertrag ein», erläutert Mirjam Mossner ihr Konzept. «Wir tragen unseren Teil dazu bei, stellen aber auch Ansprüche an den Klienten und erwarten von ihm, dass er mit uns kooperiert.» Dazu gehört, dass er nicht nur seinen Arbeitsplatz nach ergonomischen Kriterien einrichtet, sondern auch an seinen Gewohnheiten etwas ändert, zum Beispiel, indem er nicht mehr weiterhin stundenlang ununterbrochen vor dem PC sitzt. Darauf legt Mirjam Mossner grossen Wert: Sie empfiehlt, einmal pro Stunde eine kleine Pause einzulegen. Die muss nicht lange dauern: Fünf Minuten genügen, um sich die Beine zu vertreten, ein paar Dehnungs- oder Lockerungsübungen zu machen und so den Körper zu entlasten.

    Manche Klienten reagieren auf solche Vorschläge mit Abwehr. «Ich kann doch nicht ständig Pause machen, während die Kollegen arbeiten», sagen sie dann etwa. Dass dies nicht immer einfach ist, gerade auch für Personen, die ihren Arbeitsplatz gefährdet sehen, anerkennt Mirjam Mossner. «Trotzdem unterstütze ich sie darin, auf ihren Übungen zu bestehen, denn in den meisten Fällen haben die Beschwerden ihren Ursprung ja am Arbeitsplatz, und eben dort sollte man diese nicht verheimlichen müssen.»

    Alle Altersgruppen betroffen

    Mirjam Mossner hält viel von Eigeninitiative und Selbstverantwortung. Dazu gehört, dass man am Arbeitsplatz zu seiner Situation und zu seinen Bedürfnissen steht und auch einmal etwas einfordert. Viele Arbeitnehmende fühlten sich als Opfer, eine Haltung, die ihrer Meinung nach lähmend ist und aus der man unbedingt einen Ausweg finden sollte.

    In die Therapie kommen – zahlenmässig ziemlich gleichmässig verteilt – Personen aus allen Altersgruppen. Darunter sind Lehrlinge, Studierende, junge Mütter ebenso wie Personen im mittleren oder vorgerückten Alter. Ziel der Therapie ist laut Mirjam Mossner nicht nur primär Beschwerdefreiheit, sondern das Selbstmanagement: Die Klienten wissen nach der Therapie, was sie bei Schmerzen oder als Prävention für Massnahmen anwenden können. Dadurch sollen sie unabhängig werden. Am einfachsten ist es ihrer Meinung nach, wenn man zum Beispiel sein individuelles Trainingsprogramm als Teil der Körperpflege betrachtet und als so selbstverständlich wie das tägliche Zähneputzen.

    Laut dem Bundesamt für Statistik sind Schmerzen im Nacken- Schulter- und Armbereich der dritthäufigste Grund, warum Arbeitnehmende am Arbeitsplatz fehlen. Angesichts dieser eindrücklichen Zahl ist es laut Mirjam Mossner erstaunlich, wie wenig verbreitet das Bewusstsein in den Firmen ist. Höchst selten erzählten ihre Klienten, dass es so etwas wie ein betriebliches Gesundheits- und Präventionsmanagement in ihrer Firma gebe, und wenn, dann sei dies fast ausschliesslich in grossen Firmen der Fall. Für sie ist klar: Das Engagement muss von oben kommen und sollte fester Teil der Unternehmenskultur sein, und zwar ganz unabhängig davon, ob es sich um eine grosse oder kleine Firma handelt.

    Mirjam Mossner

    Mirjam Mossner ist Praxisinhaberin der Reha Zürich. Auf ihrer Webseite unter ‚Heimprogramm‘ zeigt sie Dehnungs- und Kräftigungsübungen für Arme und Hände.

    Autorin

    • Therese Jäggi

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