Seitennavigation & Suche

Ein kurzes Wegdösen nach dem Mittagessen kann sehr erholend wirken. Immer mehr Firmen bieten die Möglichkeit dazu.

Die Südländer machen es uns vor: In den wärmsten Stunden, wenn das Mittag­essen schwer im Magen liegt, ziehen sie sich zurück und halten Siesta. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Produktivität in dieser Zeit sinkt. Verschiedene Studien legen auch nahe, dass ein Mittagsschläfchen das Risiko vermindert, einen Herzinfarkt zu erleiden. Dennoch kämpfen hierzulande zahlreiche Arbeitnehmer am frühen Nachmittag gegen lähmende Müdigkeit an, verharren vor dem Bildschirm und versuchen den Anschein des fleis­sigen Mitarbeiters aufrechtzuerhalten.

Doch immer mehr Firmen haben erkannt, dass ein kurzes Nickerchen über Mittag die Leistung in der zweiten Tageshälfte fördert, und bieten ihren Angestellten die Möglichkeit, sich hinzulegen. So zum Beispiel die Firma Microsoft Schweiz mit Hauptsitz in Wallisellen. Sie stellt den Mitarbeitenden Liegen zur Verfügung sowie weitere Zonen zum Erholen und Entspannen. «Vor allem über Mittag wird der Ruheraum rege genutzt», teilt Medienverantwortliche Deborah Dörig mit. Weiter finden dort Sportmassagen statt und frisch gewordene Mütter können in diskretem Rahmen Milch abpumpen.

Höchstens eine halbe Stunde

In unserer Leistungsgesellschaft ist der aus den USA stammende Begriff Power Nap akzeptierter als das gute alte Mittagsschläfchen. Unabhängig von der Bezeichnung ist dabei vor allem wichtig, dass das Wegtreten lediglich zehn bis höchstens zwanzig Minuten dauert. Denn nach etwa einer halben Stunde verfällt man in einen tieferen Schlaf und hat danach alle Mühe, wieder richtig wach zu werden. Zudem leidet der Nachtschlaf darunter. Wer Gefahr läuft, tief einzuschlafen, sollte einen Wecker stellen. Eine Option ist auch die Schlüsselbund-Methode: Man hält den Gegenstand in der geschlossenen Hand. Wenn sich die Muskeln entspannen, fällt er auf den Boden und weckt den Schläfer rechtzeitig auf. Power Naps werden vor allem auch für Personen empfohlen, die Maschinen bedienen oder Fahrzeuge lenken. Das einfache Mittel vermag Konzentration und Reaktionsfähigkeit erheblich zu steigern und die Unfallgefahr zu senken.

Power Naps
Sollten nicht länger als zehn bis höchstens zwanzig Minuten dauern. Denn nach etwa einer halben Stunde verfällt man in einen tieferen Schlaf und hat danach alle Mühe, wieder richtig wach zu werden

Kulturell kaum verankert

Mittlerweile verfügen die meisten grösseren Firmen über Rückzugsmöglichkeiten. Dennoch mache aber nur ein kleiner Teil der Werktätigen von den Angeboten Gebrauch, sagt Christian Lauchenauer. Der Industriedesigner hat sich in seiner Bachelorarbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz mit dem Thema Schlafen an der Arbeit auseinandergesetzt. Dabei hat er die Situation in zwölf grossen Unternehmen unter die Lupe genommen – vorwiegend bei Banken, Versicherungen und Pharmakonzernen. In unserer Kultur sei das Mittagsschläfchen einfach nicht verankert, ist der Basler zum Schluss gekommen. «Tagsüber schlafen gilt bei uns als faul. In Japan dagegen heisst es, dass man viel gearbeitet hat.»

In Japan hat das sogenannte Inemuri («anwesend schlafen») Tradition. In der Öffentlichkeit die Augen zumachen, gilt dort nicht als anstössig. Dennoch will Lauchenauer den japanischen Lebensstil nicht idealisieren: Japaner arbeiten sehr viel und schlafen nachts im Durchschnitt weniger als andere Nationalitäten. «Der kurze Schlaf am Tag sollte kein Ersatz für mangelnden Nachtschlaf sein», betont der Autor. In den nächtlichen Tiefschlafphasen sind diverse lebenswichtige Funktionen besonders aktiv, darunter die Verdauung, die Immunabwehr, der Muskelaufbau, die Festigung von neuen Informationen im Gehirn sowie die allgemeine körperliche Regeneration. Ein Nickerchen kann zwar ein wenig erfrischen, wenn man nachts zu wenig geschlafen hat. Doch weil man dabei nicht in den Tiefschlaf fällt, erfüllt es diese Funktionen nicht.

Es braucht Privatsphäre

Günstige Bedingungen hat Lauchenauer zum Beispiel bei der UBS-Filiale in Basel angetroffen. Die Bank stellt ihren Mitarbeitenden spezielle Schlafkabinen zur Verfügung. Es handelt sich um Boxen namens Calm der Firma Haworth, in denen das Einnicken mit passendem Licht und Musik erleichtert wird und eine Weckfunktion eingebaut ist. Auch die Hoffmann-La Roche in Basel hat extra für diesen Zweck entwickelte Liegen angeschafft. Die sogenannten Energypods schirmen die Schläfer mit einer Kugel im Kopfbereich vor Blicken ab. «Ein intimer Rahmen ist ausschlaggebend dafür, ob die Gelegenheit genutzt wird», betont Lauchenauer. Zudem sei es wichtig, dass die Entspannungskultur von den Vorgesetzten aktiv gefördert und im Idealfall sogar vorgelebt werde. Ein Ruheraum mit Liegen, bei denen die Erholungssuchenden den Blicken anderer ausgestellt sind, funktioniere erfahrungsgemäss nicht, ist der Autor zum Schluss gekommen. «Zu gross ist die Angst, vom Chef entdeckt zu werden.»

«Der kurze Schlaf am Tag sollte kein Ersatz für mangelnden Nachtschlaf sein.»
Christian Lauchenauer

Weitere Informationen

Autorin

  • Andrea Söldi

Beliebte Inhalte