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Erfolgreich ohne CEO

    Einer der drei Firmengründer von Yooture strebte 2013 einen beruflichen Neuanfang an. Heute versorgt die App des Trios Hundertausende mit Jobvorschlägen.

    Eine umgenutzte Wohnung, in der Küche Altpapierstapel und Papiertragtaschen mit leeren PET-Flaschen: Die Firmenzentrale von Yooture (der Name setzt sich zusammen aus «You» und «Future») im dritten Stock eines Blocks aus der Wende des vorletzten Jahrhunderts scheint exemplarisch für Gründer zu sein. Doch der Schein trügt: «Die klassischen Entrepreneurs sind wir eher nicht», stellt Claudio Lehmann (42) gleich am Anfang klar. Schon die berufliche Vergangenheit des Trios, das zuvor während Jahren bei der UBS gearbeitet hatte, lässt darauf schliessen, dass man die Selbständigkeit nicht gesucht hat.

    2013 war Lehmann mit seinem damaligen Job als Senior Manager in der IT-Abteilung der Grossbank hochzufrieden. Auch Dominik Bartholdi (45), der zuvor für die Entwicklung der Mobile Apps der Grossbank zuständig war, hatte keinen Grund zum Wechseln. Einzig Martin Scherrer (45), der damals innovative Projekte an der Schnittstelle zwischen Kunden und Technologie leitete, war in Aufbruchstimmung. «Doch was das Ziel sein könnte, wusste ich nicht – bis zum Mittagessen mit Claudio.»

    Dieser wiederum trug schon länger eine Idee mit sich herum. Er rekrutierte regelmässig neue Teamkollegen und störte sich daran, dass man sich bei der traditionellen Personalsuche häufig in derselben Branche bewegt, obwohl die entsprechenden Qualifikationen auch in anderen Bereichen vorhanden sind. «Damit vergibt man sich die Chance auf neue Impulse und Sichtweisen», ist Lehmann überzeugt. Umgekehrt kannte er das Recruitment auch aus Sicht des Arbeitnehmers. Und dabei fiel ihm auf, dass man zwar regelmässig einen langwierigen Prozess auf sich nehmen muss, aber nur selten für ein Vorstellungsgespräch eingeladen wird.

    «Parship» für den Job

    Herausgekommen ist eine Matching-App: Die Plattform Yooture ermöglicht es, nach dem Vorbild von Partnervermittlungsplattformen ein Profil zu hinterlegen, das ähnlich aufgebaut ist wie jenes von Xing oder Linkedin. Der Eintrag wird mit Jobangeboten abgeglichen, Treffer rieseln somit kontinuierlich aufs Smartphone. Die App wurde bisher über 300 000 Mal heruntergeladen und ist kostenlos. Das Unternehmen finanziert sich aus Abos von Firmen: Diesen schlägt Yooture Personen vor, deren Profil sich mit dem ausgeschriebenen Job möglichst deckt. Anschliessend kann die Firma ihre Wunschkandidaten kontaktieren, wobei dem Unternehmen ihre Identität verborgen bleibt, bis die Person sie selbst offenlegt. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass der eigene Arbeitgeber nicht erkennt, wenn man «offen für Neues» ist.

    Jeder der drei Gründer hat seine berufliche Spezialisierung, dennoch werden alle wichtigen Entscheide zu dritt gefällt – und zwar im Konsensprinzip. Einen CEO gibt es nicht. Dominik Bartholdi scheint selbst überrascht, wie gut das funktioniert: «Natürlich sind wir am Anfang häufig nicht gleicher Meinung. Aber dann diskutieren wir und können uns auf eine Vorgehensweise einigen – bis jetzt hat das immer geklappt, während all der Jahre.» Einigkeit herrscht übrigens auch zum Stundensoll der drei Geschäftsleiter: Es gibt keins. Jeder arbeitet so viel, wie er es für nötig hält. Vereinbart ist einzig, dass jeder einen Werktag pro Woche frei nehmen darf – was zwei der drei denn auch regelmässig wahrnehmen, um ihre schulpflichtigen Kinder zu betreuen. «Bei der Bank wäre es sicher schwieriger gewesen, Vaterpflichten und Karriere unter einen Hut zu bringen», blickt Bartholdi zurück. Auch Ferien nimmt jeder der drei Co-Geschäftsführer so viel, wie er braucht.

    «Bei der Bank wäre es sicher schwieriger gewesen, Vaterpflichten und Karriere unter einen Hut zu bringen»
    Dominik Bartholdi

    Keine Sitzungsmarathons mehr

    Beutet man sich als Start-up trotz der eher largen Arbeitszeitvorgaben nicht selbst aus? Alle drei verneinen. Tendenziell verbringe man weniger Stunden im Geschäft als bei der Grossbank, während dieser Zeit arbeite man jedoch gezielter und intensiver. Vor allem aber entscheide man selbst darüber, wann man arbeite. «Und es entfallen die unzähligen langen Sitzungen, die sich bei der Bank gelegentlich von 8 bis 18 Uhr aneinanderreihten», erinnert sich Lehmann an die alten Zeiten.

    Auch die Lernkurve ist heute anders als zu Zeiten der Festanstellung. Auf der Bank sei Überraschendes mit der Zeit rar geworden, meint Scherrer. «Als Co-Inhaber hingegen muss ich mich um alles sorgen und lerne ständig dazu.» Eine neue, eher ungewohnte Erfahrung ist auch, wie schwierig es sein kann, Geld zu verdienen. Während früher der Lohn Ende Monat automatisch auf dem Bankkonto landete, «hängt heute der Geschäftsgang sehr direkt von unseren Entscheiden ab», sagt Lehmann.

    Dennoch blicken die drei optimistisch in die Zukunft. Einerseits sei das Produkt jetzt reif für die Entwicklung in die Breite und mittelfristig für den Sprung ins europäische Ausland. Anderseits, glaubt Lehmann, arbeite die Zeit für das Matchingportal: «Der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass Active Sourcing, also das gezielte Aufspüren von passenden Mitarbeitern durch die Firma, wichtiger wird.» Auch ein zweiter Trend spiele dem Yooture-Konzept in die Hände: «Junge Arbeitnehmende zwischen 25 und 35 sind selbstbewusster als unsere Generation, was ihre Ansprüche an ihre Stelle angeht.» Sie befänden sich punkto neuer Angebote ständig auf Empfang und schätzten die Auswahl an Stellen. «Ausserdem sind sie mobiler und verpflichten sich gerne auch befristet», ist der Jungunternehmer überzeugt. Gerade die Rekrutierung für Projekte – auch dies ist international ein Trend – lasse sich mit Matchingplattformen hervorragend bewerkstelligen.

    Die Erfahrung hilft

    Neben den drei Inhabern arbeiten aktuell vier IT-Entwickler und drei Personen im Verkauf für Yooture. Dass das KMU stabil aufgestellt ist, hängt auch damit zusammen, dass man sich in der Bank all jene Kompetenzen aneignen konnte, die man jetzt als eigener Patron braucht: «Von Mitarbeiterführung bis zum Aufgleisen von Projekten – wir haben das meiste, das wir hier brauchen, schon mal durchgezogen», so Lehmann. Denn neben der guten Geschäftsidee und der Fähigkeit zu programmieren brauche es auch das Wissen darüber, wie man ein Produkt marktreif mache und verkaufe. «Gegenüber anderen Start-ups waren wir diesbezüglich im Vorteil», räumt Scherrer ein. Und Lehmann ergänzt: «Ausserdem ermöglichten uns unsere gut bezahlten Bankjobs eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit während der selbstfinanzierten Startphase.»

    Dennoch wird auch bei Yooture lieber gekleckert statt geklotzt: Erst nach einem Jahr wechselte man von Scherrers Wohnung in ein richtiges Büro. Und auch heute sucht man am Firmensitz an der Zürcher Schaffhauserstrasse vergeblich ein Türschild. Einzig die Klingel ist beschriftet, obwohl Yooture bereits seit eineinhalb Jahren hier arbeitet. Selbst auf Wandschmuck wird verzichtet: Die Wände sind abgesehen von einer Kinderzeichnung im einen und einer Präsentation im andern Zimmer kahl. Doch ein bewusstes Statement ist das nicht. Die schmucklosen Räume seien bisher einfach niemandem aufgefallen, schon morgen wolle man Abhilfe schaffen, versprechen die drei – und einmal mehr sind sie einer Meinung.

    «Von Mitarbeiterführung bis zum Aufgleisen von Projekten – wir haben das meiste, das wir hier brauchen, schon mal durchgezogen»
    Claudio Lehmann

    Gastautor Pieter Poldervaart noch erfassen

    • Ursula Guggenbühl

      Schwerpunkt Wirtschafts- und Arbeitsrecht
      Professorin und Hauptdozentin an der Hochschule für Wirtschaft Zürich

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