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Die Coronapandemie trifft die Jugend besonders. Zahlreiche Lernende, die im Sommer den KV-Abschluss geschafft haben, warten seit Monaten auf eine Jobzusage. Der Kaufmännische Verband bietet Unterstützung – appelliert aber auch an die Unternehmen.

Wer in einer Krise den Berufseinstieg meistern muss, hat es doppelt schwer: Einerseits sind die Bedingungen schlechter als bei einer brummenden Wirtschaft. Die Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger müssen also schon von Beginn weg Abstriche machen. Andererseits ist es erwiesen, dass sich dieser schlechte Start langfristig auswirkt. Lohnnachteile bleiben oft jahrelang bestehen und Lücken im Lebenslauf wegen einer frühen Arbeitslosigkeit bleiben ein Makel.

Kein Grund allerdings, den Kopf in den Sand zu stecken. «Es lohnt sich immer zu kämpfen. Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger haben viel zu bieten und sollten selbstbewusst auftreten», sagt Nicole Cornu, Fachverantwortliche Grundbildung und Jugendberatung beim Kaufmännischen Verband. Sie stellte in den vergangenen Monaten eine gestiegene Nachfrage nach Beratung und Unterstützung fest und hilft mit, für die betroffenen Jugendlichen individuelle Lösungen zu finden (siehe Interview). Nebst konkreter Hilfe beim Erstellen von Bewerbungen haben auch die psychologischen Beratungen zugenommen. Der Abschlussjahrgang, der 2020 keine schriftlichen Prüfungen absolvierte, habe Angst vor einem Corona-Stempel, erzählt Nicole Cornu. Sie betont jedoch, dass der Abschluss die gleiche Qualität aufweist wie alle anderen vorher und nachher.

Praktikum als Einstieg

Mit gezielten Massnahmen versucht der Verband die Position der Jugendlichen zu stärken. Dessen Präsident Daniel Jositsch, der zugleich im Ständerat vertreten ist, hat dort zwei Vorstösse eingereicht. Ein zusätzlicher Fonds für finanzielle Unterstützung wurde zwar abgelehnt, die Erweiterung des Praktikumsprogramms der Arbeitslosenkasse jedoch angenommen. Dabei geht es im Kern darum, den Jugendlichen mehr Berufserfahrung zu verschaffen. Sie haben zudem die Möglichkeit, sich schon einmal zu beweisen, ohne dass der Betrieb ein Risiko eingehen muss.

Ein Berufspraktikum hat sich nach der Finanzkrise 2008 als wirksamste Massnahme für die Förderung des Berufseinstiegs erwiesen. Eine Evaluation des Bundes aus dem Jahr 2015 hatte ergeben, dass 90 Prozent der Jugendlichen nach einem Berufspraktikum eine Stelle hatten, wovon über die Hälfte unbefristet war. Diese zurzeit noch in einem kleinen Rahmen genutzte Möglichkeit möchte der Kaufmännische Verband in dieser schwierigen Zeit vermehrt ausschöpfen.

«Es lohnt sich immer zu kämpfen. Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger haben viel zu bieten und sollten selbstbewusst auftreten.»
Nicole Cornu

«Kapital für die Zukunft»

Die Massnahmen allein sind allerdings wertlos, wenn die Unternehmen nicht mitziehen. Es braucht ein Umdenken in der Wirtschaft. In der SRF Rundschau sagte Daniel Jositsch im Sommer dazu: «Unser Appell an die Unternehmen ist: Versucht diesen jungen Leuten eine Chance zu geben, auch wenn es gerade nicht so einfach ist. Sie sind unser Kapital für die Zukunft.» Bereits eine befristete Weiterbeschäftigung ist für Lernende enorm wertvoll, weil sie im Bewerbungsprozess oft mit der Antwort abgespeist werden, ihnen fehle die Berufserfahrung. Lehrbetriebe haben es in der Hand, für ihre Lernenden eine Brücke zum Arbeitsmarkt zu schlagen.

46 Prozent mehr Jugendarbeitslosigkeit

Die Jugendarbeitslosigkeit wird Bund und Kantone noch länger beschäftigen. Im Vergleich zum Sommer sind die Zahlen zwar etwas gesunken. Sie lagen im Oktober aber immer noch 46 Prozent höher als im gleichen Monat 2019. In absoluten Zahlen waren im Oktober 17'562 der 15- bis 24-Jährigen auf Stellensuche.

Der Kaufmännische Verband geht davon aus, dass sich die Situation noch verschärfen wird. Nicole Cornu bilanziert: «Das Positive ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz sehr ernst genommen wird und der Wille wirklich da ist, etwas dagegen zu unternehmen.»

«Das Positive ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz sehr ernst genommen wird und der Wille wirklich da ist, etwas dagegen zu unternehmen.»
Nicole Cornu

«Sie sind offen und motiviert»

Laut Forschungen der ETH konnten Schweizer Lehrbetriebe in diesem Sommer 16 Prozent weniger Lehrabgänger/innen weiterbeschäftigen als in den Vorjahren. Welche Auswirkungen hat das auf die Jugendlichen?

Nicole Cornu: Für die Jugendlichen bedeutet diese Situation ein enormer Druck. Sie haben sich auf den Abschluss und den Berufseinstieg gefreut – stattdessen sind sie jetzt aus ihrer Tagesstruktur herausgerissen und müssen Absagen entgegennehmen. Das ist nachhaltig schlecht fürs Selbstwertgefühl. Sie denken, niemand will sie und auch die sozialen Kontakte leiden durch die Pandemie noch verstärkt.

Mit welchen Sorgen und Nöten kommen arbeitslose Lehrabgänger/innen auf den Kaufmännischen Verband zu?

Der Klassiker ist, dass sie viele Bewerbungen verschickt haben und nicht weiterwissen. Der Frust und die Angst vor einer ungewissen Zukunft schwingen dabei mit. Wir schauen uns dann die Dossiers kritisch an und suchen individuell nach Lösungen. Manchmal sind das Verbesserungen im Schreiben, manchmal versuchen wir aber auch ein aussagekräftigeres Arbeitszeugnis zu erwirken. Lehrbetriebe können mithelfen, indem sie eine mögliche Weiterbeschäftigung früh kommunizieren und in den Zeugnissen persönliche Stärken thematisieren.

Manche machen aus der Not noch einmal eine Weiterbildung oder hängen die Berufsmatura an. Wie viel bringt das?

Wir empfehlen grundsätzlich keine Weiterbildung auf Vorrat. Studien haben aber gezeigt, dass das Risiko einer Arbeitslosigkeit sinkt, je höher die Ausbildung ist. Deshalb kann eine Weiterbildung direkt nach Lehrabschluss wie eine BM2 durchaus eine gute Strategie sein, sofern man damit ein konkretes Ziel verfolgt.

Der Mangel an Berufserfahrung ist die Standardabsage. Was sind die Stärken der Jugendlichen – und was erhoffen Sie sich für sie?

Sie sind lernbereit, sehr offen und topmotiviert. Das sollte mehr Anerkennung finden. Wir hoffen, dass die aktuelle Krise auch in Zukunft als Ausnahmesituation anerkannt wird und diese Lücke, die sich jetzt vielleicht bei manchen Berufseinsteiger/innen auftut, auf Verständnis stösst.

Zur Person
Nicole Cornu ist Fachverantwortliche Grundbildung und Jugendberatung beim Kaufmännischen Verband.

«Zur Überbrückung arbeite ich ehrenamtlich» - Christina Kozik-Rosser

«Ich habe in meinem Leben schon sehr viel gemacht: Von einer Lehre als Kosmetikerin über die Zirkusschule in Frankreich bis hin zur Detailhandelsfachfrau. Als die Kinder grösser waren und ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Detailhandel arbeiten konnte, entschied ich mich, ausbildungstechnisch noch einen Schritt weiterzugehen. Im KV für Erwachsene habe ich erneut spannende Dinge gelernt und diesen Sommer einen super Abschluss im E-Profil gemacht.

Als ich das Zeugnis endlich in der Hand hatte, stieg ich in den Bewerbungsprozess ein. Meist kommt als Antwort in etwa: ‹Sie waren in der näheren Auswahl, haben aber zu wenig Berufserfahrung›. Jemand schrieb, dass ich mit 43 zu alt bin. Das ist sehr frustrierend. Ich finde es schade, dass mein Potenzial, meine Motivation und die hohe Leistungsbereitschaft nicht erkannt werden. Die Betriebe sollten nicht nur auf der Berufserfahrung beharren, denn es gibt auch viele ungeschliffene Diamanten.

Aufgrund von Corona hat es zurzeit noch weniger Stellen ausgeschrieben als vorher. Kein Wunder: Wer Leute entlassen muss, stellt nicht noch eine neue Person ein. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn Stellen nur pro forma ausgeschrieben und dann intern besetzt werden. Das ist uns Stellensuchenden gegenüber nicht fair.

Zur Überbrückung arbeite ich zurzeit auf ehrenamtlicher Basis im TRiiO in Bern, wo wir anderen Jobsuchenden bei Bewerbungen helfen. Das ist besser als nur warten und ich bleibe am Ball. Zudem kann ich die gelernten kaufmännischen Grundlagen effektiv anwenden.»

«Noch nicht einmal ein Vorstellungsgespräch» - Lena Vollmer

«Seit diesem Sommer bin ich stolze Kauffrau EFZ im Profil B. Da mein Lehrbetrieb mir keine Stelle anbieten konnte, habe ich mich beim RAV angemeldet und bewerbe mich seither fleissig auf ausgeschriebene Stellen in der Region. Leider wurde ich bis jetzt noch nicht einmal an ein Vorstellungsgespräch eingeladen – obwohl ich super Arbeitszeugnisse vorweisen kann und den zweitbesten Lehrabschluss der ganzen Klasse gemacht habe. Ein Jobcoach hilft mir zudem bei den Motivationsschreiben.

Ich bin sehr offen und würde abgesehen von Buchhaltung, was mir wirklich nicht liegt, alles annehmen. Was ich mir wünsche, ist, dass die Betriebe meine Bewerbung richtig anschauen und sich Zeit für eine Beurteilung nehmen. Ich bekomme nie einen echten Grund für die Ablehnung, sondern werde mit Standardantworten vertröstet.

Es war nicht nur die Coronakrise, welche dazu führte, dass ich nach der Lehre nicht bleiben konnte. Aber sie macht es zusätzlich schwierig, gerade jetzt den Einstieg ins Berufsleben zu finden. Ich habe die Lehre im zweiten Arbeitsmarkt absolviert, weil ich damals psychisch weniger stabil war als heute. Mittlerweile bin ich gesundheitlich zwar fit, die grosse Zwei am Rücken aber ist geblieben. Ich merke, dass dies eine grosse Hemmschwelle bei den Arbeitgebern ist. Dabei konnte ich im dritten Lehrjahr ein tolles Praktikum bei ‹Tischlein deck dich› im ersten Arbeitsmarkt machen und fühle mich total bereit dafür. Wenn es weiterhin nicht klappt, werde ich den Einstieg über ein von der IV bezahltes Praktikum suchen müssen. Ich hoffe, dass die Unternehmen dann sehen, was ich kann und mir eine Chance geben.»

«Freue mich, dass ich endlich starten kann» - Alwiya Hussein

«Im Vergleich zum Spätsommer hatte es im Herbst weniger offene Stellen. Ich hatte den Eindruck, dass sich die Firmen zurückhalten, weil sie vielleicht noch Kurzarbeit beziehen oder die Lage auch sonst sehr unsicher ist. Wenn sie jemanden einstellen, dann ist Berufserfahrung das entscheidende Kriterium. Ich habe im Verlauf der letzten Monate über 70 Bewerbungen verschickt – und immer kam ein Standardmail zurück, dass ich zu wenig Praxiserfahrung habe. Mit der Zeit stieg bei mir die Angst, dass ich in diesem Jahr nichts mehr finde.

Ich habe mich entschieden, mich für die berufsbegleitende Berufsmatura anzumelden, weshalb ich wieder an zwei Tagen die Woche zur Schule gehe. Parallel dazu hätte ich auch einen Aushilfsjob im Service oder so angenommen, aber das ist im Moment wegen Corona ja ebenfalls sehr schwierig. Ich halte mich zurzeit mit Nachhilfeunterricht über Wasser.

Glücklicherweise hat sich das Blatt kürzlich gewendet und ich kann ab Januar das Sekretariatsteam bei der Preisüberwachung unterstützen. Ich habe bereits die Lehre beim Bund gemacht, kenne die Kultur und die Abläufe dort schon und denke, dass ich mich gut einleben werde. Ohnehin bin ich jemand, der sich schnell anpasst und sehr offen ist. Ich bin erleichtert über diese Zusage und freue mich riesig, dass ich nun endlich richtig starten kann.»

Veröffentlicht am: 02.02.2021

Bessere Rahmenbedingungen für junge Berufseinsteiger

Junge Berufseinsteiger trifft die Corona-Pandemie besonders hart: Unternehmen schreiben weniger Lehr- und Arbeitsstellen aus und der Berufsalltag hat sich vermehrt ins Home- bzw. Remote Office verschoben. Damit jungen Menschen der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelingt und sie ausreichend Praxiserfahrung gewinnen können, hat der Kaufmännische Verband konkrete Tipps für die Stellensuche sowie mögliche Zwischenlösungen (Weiterbildung, Berufspraktika...) auf seiner Website zusammengetragen. Im Rahmen unserer Jugendberatung stehen wir Betroffenen ausserdem aktiv zur Seite. Auch auf politischer Ebene macht sich der Verband für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für junge Berufseinsteiger stark.

Im Rahmen der parlamentarischen Frühjahrssession hat Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbands, im März 2021 einen neuen Vorstoss in Bundesbern eingereicht. Mit dem Postulat für mehr Fairness bei der Lehrstellenausschreibung und -vergabe wollen wir erreichen, dass junge Menschen trotz Wirtschaftskrise genügend Zeit haben, sich mit den verschiedenen Berufsausbildungen auseinanderzusetzen und die Berufe u.a. durch Schnupperlehren (alternativ auch Online) besser kennenlernen können. Auch die (Weiter-)Beschäftigung von jungen Lehrabgängern steht im Fokus. Dafür werden wir uns u.a. auf die Erkenntnisse unserer neuesten Lehrabgänger/innen-Umfrage (LAU) stützen, welche die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf junge KV-Lernende analysiert.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein Thema, welches der Verband bereits letztes Jahr intensiv verfolgt hat: So wurde das Postulat, mit dem wir die Berufserfahrung von arbeitslosen Lehrabgänger/innen in der Corona-Krise stärken wollen, im September 2020 im Ständerat angenommen. Die gleichzeitig eingereichte Motion zur Errichtung eines Fonds zur (Weiter-)Beschäftigung von Lehrabgängern wurde leider abgelehnt. Der Kaufmännische Verband wird sich weiterhin für die konsequente Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit einsetzen. Nicht zuletzt, da sich die Auswirkungen der Corona-Krise noch über einige Jahre hinziehen könnten. Wir müssen jetzt in die Generation von morgen investieren.

kfmv.ch/berufseinstieg

Weitere Informationen

Autorin

  • Rahel Lüönd

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