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«Es geht um Macht, nicht um Leistung oder Kompetenz»

Warum eine Frau unter Männern wenig Veränderung bringt, wie sich Rollenbilder spielerisch aufweichen lassen – und was wir von den Frauenfussballerinnen lernen können: Der Soziologe und Generationenforscher François Höpflinger spricht über Gender-Diversität im beruflichen Umfeld.

François Höpflinger, Sie haben lange über Generationen- und Gender-Diversity geforscht. inwiefern prägen gesellschaftliche Rollenbilder unseren Arbeitsalltag?

François Höpflinger: Rollenbilder sind nach wie vor enorm stark in unseren Köpfen verankert. Ich habe sogar den Eindruck, dass jüngere Generationen tendenziell wieder mehr nach traditionellen Rollen leben und arbeiten. Allerdings mit einem neuen Selbstbewusstsein: Eine junge Frau flickt die Socken ihres Partners, ohne dass sie deswegen als Frau weniger eigenständig wäre.

Wie schafft man es, diese Rollenbilder aufzubrechen?

Die Frage ist, ob aufbrechen – also gewissermassen Mauern einschlagen – die richtige Strategie ist. Ich stelle fest, dass ein spielerischer Ansatz da oft zielführender ist. Ich spreche von Frauen, die solche Mauern gekonnt umgehen. Nehmen wir das Beispiel der Secondas: Sie sind in der Start-up-Szene übervertreten. Warum? Statt sich in bestehenden Strukturen einzugliedern, gehen sie als Frauen und Binationale erfolgreich ihren eigenen Weg.

Aber irgendwann sollte schon das Ziel sein, die bestehenden Mauern abzubauen, oder?

Auf jeden Fall. Ich glaube sogar, dass man dies auf diese Weise besser erreicht als mit direkter Konfrontation. Innerhalb von Unternehmen kann man Diversity unterschiedlich thematisieren, beispielsweise mit gleich langen Redezeiten für alle an einer Sitzung. Oder, indem Funktionen als Experiment mal ausgelost werden. Dann macht vielleicht plötzlich die Praktikantin das Präsidium und der Chef schreibt das Protokoll. Manchmal finde ich es sogar besser zu separieren. In nachberuflichen Lernsettings hat man beispielsweise festgestellt, dass Frauen mehr profitierten, wenn sie geschlechtergetrennt stattfanden. Die Männer haben sie sonst überschichtet.

Männlein und Weiblein getrennt wie anno dazumal? Das müssen Sie erklären.

In manchen Freizeitbereichen ist das nach wie vor ganz normal. Und sehen Sie nur mal, wie anders sich etwa eine Männer- und eine Frauenkochgruppe verhält! Im Firmenkontext muss man es vielleicht etwas subtiler angehen, zum Beispiel in einer Projektgruppe einmal die jungen Frauen eine Stunde zusammenarbeiten lassen. Oder einen Mann in einer Frauengruppe mitarbeiten lassen und umgekehrt. Man muss ja auch vom binären Geschlechtermodell wegkommen. Mischt man Genderthemen mit anderen Diversitätsmerkmalen, fällt es zudem weniger auf und ist akzeptierter. In rein männlichen Managerteams ist das natürlich schwierig. Da wäre eher indirekte Diversifizierung ein Thema.

Was bedeutet das?

Ein Verwaltungsrat kann beispielsweise eine weibliche Beratungsgruppe hinzuziehen, um deren Perspektive einzubinden. Das ist niederschwellig, weil die Mitglieder nicht gewählt sein müssen, und wirkungsvoll, weil es eine ganze Gruppe anstelle von einer Einzelperson ist.

«Ich habe sogar den Eindruck, dass jüngere Generationen tendenziell wieder mehr nach traditionellen Rollen leben und arbeiten.»
François Höpflinger, Soziologe und Generationenforscher

Ich habe gelesen, dass unsere Vorstellungen von Führungspersonen hauptsächlich typisch männliche Merkmale beinhalten. Das sei mit ein Grund, weshalb mehr Männer in Führungspositionen sind als Frauen. Ist da etwas dran?

Das aggressiv-wettbewerbsorientierte Modell entspricht schon eher maskulinen Machostrukturen. Der Stärkste gewinnt. Aber es gibt zum Beispiel leistungsorientierte Sportarten wie das Tennis-Doppel, wo Kooperation und Konkurrenz eng miteinander verknüpft sind. In der Wirtschaft ist das ähnlich.

Aber unsere Wirtschaft ist schon stark auf Wachstum und Leistung ausgerichtet.

Das würde ja wieder für Diversität sprechen – da diverse Teams langfristig gesehen mehr Leistung bringen! Die Ursache liegt für mich an einem anderen Ort, nämlich im Selbstrekrutierungsprozess einer homogenen Masse. In den hochrangigen Positionen von grossen Unternehmen geht es um Macht, nicht um Leistung oder Kompetenz: Die Mächtigen machen die Kriterien für ihre Nachfolger, und naturgemäss suchen sie Gleichgesinnte. Wer eine andere Perspektive hat, kommt gar nicht erst in die engere Auswahl. In einer homogenen Gruppe kommt man auch schneller zu Entscheiden, erlebt weniger Störungen.

Dann ist diese Selbstrekrutierung der Grund, warum nach wie vor nicht mehr Frauen in Führungspositionen sind?

Das ist für mich der eine Teil, also der Fremdausschluss. Ich stelle aber auch einen gewissen Selbstausschluss fest, weil Frauen tendenziell mit mehreren Blickwinkeln durchs Leben gehen. Der Beruf ist das eine, aber auch Familie, Freizeit oder andere Dinge haben einen Wert. Männer tendieren häufiger als Frauen dazu, alles in die Waagschale Karriere zu werfen. Mit Folgen: Im beruflichen Kontext haben Männer mehr Burn-outs, zudem ist ihre Suizidalität etwa dreimal so hoch wie jene von Frauen.

Frauen bewältigen einen Job unter Umständen auch anders – vielleicht mit weniger Geschäftsreisen und Präsenzmarkierung als Männer, dafür mit dem Fokus auf anderen Punkten.

Schon, aber dann müsste man die Machtstruktur verändern. Präsenz ist wichtig, Jobsharing zum Beispiel noch wenig akzeptiert. Auch klassische Teilzeitarbeit ist karrierehemmend. Ich erinnere mich an einen Manager, der in einem Interview sagte, er getraue sich kaum, Ferien zu machen. Dann hätte man gemerkt, dass er ersetzbar ist. Es gibt zwar heutzutage neue Arbeitsmodelle, die solche Vorstellungen alt aussehen lassen – diese beginnen aber nicht bei den Grossfirmen. Hier sind die Strukturen nach wie vor sehr traditionell. Interessant ist ja auch, dass Frauen mit Kindern im Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Bei Männern hingegen ist es gern gesehen, wenn sie Familie haben und entsprechend Verantwortung übernehmen müssen.

Können die wenigen Top-Kaderfrauen diesen Umständen entgegenwirken?

Solange das Verhältnis sehr ungleich ist, passiert eigentlich eher eine Angleichung. Eine Frau unter vielen Männern bringt wenig. Wir erreichen dann eine gewisse Gender-Diversity, aber die soziale Diversität fehlt nach wie vor. Das ist übrigens bei allen Diversity-Merkmalen so, dass man als Einzelvertretung einer bestimmten Gruppe nichts ausrichten kann. Was ich hingegen sinnvoll finde und auch an Bedeutung gewinnt, sind eigene Frauennetzwerke. Mit geballter Kraft kann man mehr bewirken als jede allein. Das hat beispielsweise der Frauenfussball eindrücklich gezeigt. Durch die Bündelung ihrer Kräfte haben die Fussballerinnen stark an Ansehen gewonnen.

Man könnte auch sagen, dass wir heutzutage ja grundsätzlich gleichberechtigt sind – und es entsprechend gar nicht mehr so viel Aufhebens darum braucht. Wie stehen Sie dazu?

Ich stelle teils auch fest, dass man bei Einstellungsgesprächen manchmal von vollständiger Gleichberechtigung ausgeht. Dann werden die Geschlechtsunterschiede ignoriert. Damit kommt man natürlich nicht weiter. Das Zentrale aus dem Diversity-Management ist, dass man aus den Unterschieden Kraft gewinnt. Das anzuerkennen, ist wohl der erste Schritt.

Erstmals veröffentlicht: 27.10.2022

«Solange das Verhältnis sehr ungleich ist, passiert eigentlich eher eine Angleichung.»
François Höpflinger
  1. Im Rahmen des Projekts Loopings greift der Podcast «Mischpult» Generationenthemen im Arbeitsalltag auf. François Höpflinger engagiert sich als Stiftungsrat.

  2. Der Soziologe forschte an der Universität Zürich während Jahrzehnten zu Alters-und Generationenfragen.

Autorin

  • Rahel Lüönd

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