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Gestern Kollege, heute Chef

    Am Freitag noch Kollege, am Montag plötzlich Vorgesetzter: Wird ein Mitarbeiter zum Chef seiner bisherigen Kollegen befördert, ist das eine heikle Angelegenheit. Der Rollenwechsel verlangt Fingerspitzengefühl.

    Ein halbes Jahr, nachdem ihre Kollegin zur Vorgesetzten befördert wurde, kündigte Bianca Richter* ihre Stelle: Das autoritäre Auftreten der neuen Chefin machte der HR-Fachfrau zu schaffen. «Sie kommandierte schon als Mitarbeiterin gerne andere herum. Als Chefin fehlte ihr dann auch noch der nötige Respekt», erinnert sich Richter. Aufgrund dieser Erfahrung wollte die Personalerin ihre Rolle besser wahrnehmen, als sie einige Jahre später selbst von der Mitarbeiterin zur Führungskraft aufstieg. «Ich brachte meiner Assistentin Wertschätzung entgegen und liess ihr viel Freiheiten.» Nur bei grösseren Problemen schaltete sich Richter ein. «Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass meine Mitarbeiterin mit mir als neue Vorgesetzte zu Beginn Mühe hatte», sagt Richter. «Aber dank der kooperativen Art der Führung hat sich dies rasch gelegt und wir entwickelten uns zu einem tollen Team.»

    Wer intern befördert wird und vom Teamkollegen zum Vorgesetzten aufsteigt, wird mit etlichen Herausforderungen konfrontiert. Prinzipiell ist die Beförderung zum Team- oder Abteilungsleiter ein Ritterschlag der Chefetage – doch man kann dabei straucheln. Als HR-Fachfrau kennt Richter die Problematik nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus ihrem Arbeitsalltag. «Da man als ehemaliges Mitglied eine gemeinsame Vorgeschichte mit dem Team hat, benötigt es auf beiden Seiten reife Menschen mit einer hohen emotionalen Intelligenz und Einfühlungsvermögen», ist Richter überzeugt.

    «Da man als ehemaliges Mitglied eine gemeinsame Vorgeschichte mit dem Team hat, benötigt es auf beiden Seiten reife Menschen mit einer hohen emotionalen Intelligenz und Einfühlungsvermögen»
    Bianca Richter

    Von der Kollegin zur Kritikerin

    Stolperfallen gibt es als neue Führungskraft zuhauf – umso mehr, wenn man vorher Teil des Teams war. Als Chef verteilt man plötzlich Aufgaben und entscheidet, wann die Mitarbeiter in den Urlaub fahren dürfen. Sich vom alten Image als Kollege und Mitstreiter zu lösen, ist deshalb besonders anspruchsvoll. «Man will zwar mit dem alten Team befreundet bleiben, muss sich aber gleichzeitig mit seiner neuen Rolle als Chef auseinandersetzen», fasst Thomas Freitag, Führungscoach ICF und Organisationsberater der MindMove GmbH in Zürich, zusammen.

    Es gilt, sich der Führungsposition bewusst zu sein und diese Funktion aktiv zu definieren – wer plötzlich autoritär auftritt und den Chef raushängt, kommt dabei selten gut an. «Vielmehr geht es darum, authentisch zu bleiben und ein Führungsverständnis zu leben, das einem entspricht», rät Freitag. Oftmals wird gerade dies zur Gratwanderung, denn man kann dazu verleitet sein, sich nach der Beförderung an alte Strukturen zu klammern. Dann steht man schnell als kumpelhafter Chef da, dem es an Durchsetzungsvermögen und Autorität fehlt. «Als ich intern befördert wurde, war mir nicht bewusst, dass dieser Wechsel schwierig werden könnte», erinnert sich Ute Siegler. Die Pflegefachfrau arbeitete damals als Gutachterin für die Pflegeversicherung im Medizinische Dienst der Krankenversicherungen und wurde zur Teamleiterin befördert. «Gleichzeitig wurde eine interne Qualitätssicherung eingeführt, so dass neben Organisation und Planung auch Controlling in meinen neuen Aufgabenbereich fiel.»

    Schnell einsetzbar

    Dass Siegler aufgrund der neuen Richtlinien plötzlich die Arbeit ihrer früheren Teamkolleginnen beurteilte und manchmal auch kritisierte, kam schlecht an: Ihr wurde vorgeworfen, sie habe sich negativ verändert und die Bodenhaftung verloren. «Auf solche emotionalen Vorwürfe wiederum konnte ich kaum reagieren», so Siegler. Sie sei damals naiv gewesen und habe nicht damit gerechnet, dass ihre Mitarbeiterinnen so Mühe mit der Rollenänderung haben würden. Siegler: «Heute würde ich die Aufgabe viel strukturierter und distanzierter angehen.»

    Für Unternehmen hat die interne Besetzung von Führungspositionen durchaus Vorteile. «Interne Kandidaten kennen die firmeninterne Kultur, Strategie, Prozesse und Dienstleistungen und sind darum schnell einsetzbar», teil die Pressestelle der Zürcher Kantonalbank (ZKB) mit. Ob eine Führungskraft von aussen komme oder intern rekrutiert werde, sei jedoch nur ein Faktor von vielen im Entscheidungsprozess. «Entscheidend für den Erfolg und die Akzeptanz in der neuen Rolle sind Persönlichkeit und Führungsfähigkeit.»

    «Vielmehr geht es darum, authentisch zu bleiben und ein Führungsverständnis zu leben, das einem entspricht»
    Thomas Freitag

    Klare Rollentrennung

    Der Wechsel von der Holz- in die Teppichetage ist anspruchsvoll, weshalb es durchaus angebracht ist, Hilfe anzunehmen oder einzufordern. Diese kann das Unternehmen selbst oder ein externes Coaching leisten. «Gerade am Anfang ist man besonders stark gefordert, man hat neue Aufgaben, neue Verantwortung und man ist plötzlich raus aus dem Team und allein», erinnert sich der Journalist Christian Degen, der vom Stellvertreter zum Chefredakteur aufstieg. Er absolvierte deshalb einen internen Führungskurs, «zudem hatte ich einen Vorgesetzten, der mir half und mit dem ich Probleme jederzeit besprechen konnte». Auch die Zürcher Kantonalbank unterstützt laut Pressestelle ihre frisch beförderten Chefs: «Neue Führungskräfte erlernen in einem mehrtägigen Lehrgang die Grundlagen und Instrumente für ihre tägliche Arbeit.»

    Person und Sache zu trennen, hört sich jedoch meist leichter an, als es im Berufsalltag tatsächlich ist – vor allem als «Neuer», der eben nicht neu im Team ist. Schwierig wird es besonders dann, wenn man als neuer Vorgesetzter mit einem Kollegen aus dem Team auch privat befreundet ist. Was macht man, wenn man mit ihm am Wochenende Fussball gespielt hat und ihm am Montag klar machen muss, dass er sich auf seine Präsentation schlampig vorbereitet hat? Gleichzeitig kennt die neugekürte Chefin Stärken und Schwächen der einzelnen Teammitglieder meist genau, was zu Irritation oder Unbehagen innerhalb des Teams führen kann. Denn Mitarbeiter wissen in der Regel, wann wer im Team stillschweigend Überstunden macht und unaufgefordert einspringt oder die Mittagspause streckt und öfters krank feiert. Über dieses Wissen verfügt natürlich auch der bisher Gleiche unter Gleichen, der jetzt aufgestiegen ist. Meist stehen dem frischgebackenen Boss auch einige Kollegen näher als andere. «Man muss schon aufpassen, ‹Best Friends› nicht zu bevorzugen», sagt der Journalist Christian Degen.

    Feedbacks einholen

    Eine gewisse Distanz zu den ehemaligen Kollegen ist in der neuen Führungsrolle deshalb durchaus hilfreich – die Zeiten, in denen man mit anderen am Kopierer steht und tratscht oder lästert, sind nach der Beförderung endgültig vorbei. «Die Führungsfunktion und die damit einhergehende Vorbildfunktion muss bewusst wahrgenommen werden», sagt Stefan Marti, Organisationsberater und Coach BSO aus Winterthur. Und: Wer seine Aufgabe als Führungskraft ernst nimmt, macht sich nicht immer beliebt. Auch unangenehme Aufgaben müssen delegiert, Ferien gestrichen oder ehemalige Kollegen auf schlechte Leistungen angesprochen werden. Marti: «Man muss sich deshalb von der Erwartung verabschieden, von allen Mitarbeitenden geliebt zu werden.» Zu weit abgrenzen von alten Kollegen sollte man sich allerdings auch nicht, rät hingegen Thomas Freitag: «Es ist wichtig, dass man sich Zeit nimmt für den Austausch und sich mit den Mitarbeitern auch einmal etwas informeller zu einem Mittagessen trifft.» Je mehr Feedbacks man sich zum Führungsstil einhole, umso geringer sei die Gefahr, dass man sich nach der Beförderung in eine Sackgasse verrenne.

    Um die neuen Verhältnisse zu klären, lohnt es sich laut Organisationsberater Stefan Marti, am Anfang mit den Mitarbeitenden zusammenzusitzen. «Im Gespräch können gegenseitige Erwartungen und Wünsche für die künftige Zusammenarbeit auf den Tisch gelegt werden.» Denn nur, weil man sich schon lange kennt, heisst das nicht, dass man keine neuen Absprachen treffen muss. Transparenz und klare Strukturen signalisieren zudem, dass alle gleich und fair behandelt werden. Mit Kolleginnen, die sich vielleicht ebenfalls für die Leitungsfunktion beworben haben, aber nicht berücksichtigt wurden, sind allenfalls Einzelgespräche notwendig, wie Marti rät: «Dies kann helfen, Abstand zu nehmen und sich in der neuen Rolle wieder neutral zu begegnen.»

    «Man muss schon aufpassen, ‹Best Friends› nicht zu bevorzugen»
    Christian Degen

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