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Mit 50 beginnt die Zeit der Gelassenheit

    Im Alter zwischen 50 und 60 gilt es, beruflich und privat einige Herausforderungen zu meistern. Der Lebensabschnitt birgt aber auch Selbstbewusstsein, Chancen und Glück.

    Karriere, Kinder, Kredit – das Leben ist unglaublich rasant. Das wissen 50-Jährige: Eines Morgens erwacht man und bemerkt plötzlich, dass die erste Hälfte des Lebens schon um ist. Kein Wunder, beginnt in diesem Moment das grosse Grübeln, schliesslich ändert sich die Perspektive: Mit dem Erreichen der zweiten Lebenshälfte nehmen Menschen nicht mehr länger ihr Alter wahr, sondern die noch verbleibende Lebenszeit. Die Endlichkeit rückt ins Blickfeld. Diese Zäsur nehmen viele zum Anlass, nicht nur privat, sondern auch beruflich Bilanz zu ziehen. Zwar ist jede Karriere individuell, doch meist ist mit 55 Jahren das «Career plateau» erreicht: Weitere Beförderungen sind nicht sehr wahrscheinlich, eine lange Verweildauer in der aktuellen Position ist angesagt. Während die Berufsjahre zuvor von neuen Herausforderungen und Lernchancen geprägt sind, macht sich im Alter eine gewisse Ängstlichkeit breit. «Man hat beruflich viel Erfahrung und will möglichst die Kontrolle behalten», sagt Business- und Life-Coach Marianne Fust. Gleichzeitig will man sich nicht mehr blossstellen lassen, wenn man etwas nicht kann, da die Angst mitschwingt, möglicherweise durch Jüngere ersetzt zu werden. «Das führt leider dazu, dass auch die Neugier und der Mut verloren gehen, neue und vergessene Potentiale aufzudecken und auszuschöpfen.»

    Einen Gang runterschalten

    Das hat jedoch gleichzeitig seine Vorteile, wie Ute Sturmheit weiss: «Ist man über 50 Jahre alt, wird man auch deutlich gelassener.» Die 55-Jährige arbeitet seit elf Jahren als Fachspezialistin bei einer Krankenversicherung. Man sei in diesem Alter karrieremässig meist in jener Position angelangt, die einem zusage. «Ich habe während meiner beruflichen Laufbahn viel ausprobiert, habe Teams geleitet und weiss aus dieser Erfahrung heute, was ich will und was nicht mehr.» Ein weiterer Vorteil sei, dass man andern und sich selbst nichts mehr beweisen müsse. «Dadurch entsteht eine bessere Work-Life-Balance, denn ich reibe mich im Gegensatz zu früher nicht mehr total auf», so Sturmheit. Dass sich in diesem Lebensabschnitt die Einstellung zum Leben verändert, hat auch Auswirkungen auf die Arbeit. «Es geht nicht mehr immer nur um Position und Lohn, vielmehr sucht man vermehrt nach Wertschätzung, positiven sozialen Kontakten und passender Identität im Job», sagt Coach Marianne Fust. Entsprechend wird die Work-Life-Balance wichtiger, während in jungen Jahren Leistung und Weiterbildung im Vordergrund stehen. «Qualität steht vor Quantität. Man nimmt Tempo raus und schaltet einen Gang runter», fasst Fust zusammen.

    Suche nach Perspektiven

    Nach 50 ist man sich meist der eigenen Leistungsfähigkeit und Stärken bewusst. «Ich habe heute deutlich mehr Selbstbewusstsein als früher», erzählt Renate Pfirter*. Die 50-Jährige arbeitet in einer Führungsposition in einem Kommunikationsunternehmen und sieht momentan einer ungewissen Zukunft entgegen: Ihre Stelle wird auf Ende des Jahres gestrichen. Zwar habe der Arbeitgeber vermittelt, dass auch ältere Mitarbeiter eine Chance haben, wenn Leistung und Verhalten stimmen. «Die drohende Arbeitslosigkeit macht mir aber trotzdem Sorgen.» Sie wolle sich in zehn Jahren frühpensionieren lassen. «Obwohl mir meine Arbeit Spass macht, möchte ich mein Leben auch noch ein wenig geniessen», so Pfirter. Es gehört ebenfalls zu diesem Lebensabschnitt, sich innerlich bereits mit der Zeit nach dem Job zu beschäftigen.

    «Man hat beruflich viel Erfahrung und will möglichst die Kontrolle behalten»
    Marianne Fust

    Das Glück ist zum greifen nah

    Bei Themen wie der Geschäftsentwicklung komme bei ihm auch ein gewisser Fatalismus durch. «Ich habe während meiner Laufbahn schon zu viele Umorganisationen erlebt.» Ansonsten werde sein Rat aber geschätzt: «In meinem Alter hat das Wort mehr Gewicht und die Leute hören zu.» Für Ute Sturmheit hingegen sind Situationen, in denen sie sich einbringen möchte eher entmutigend: «Dank meiner Erfahrung weissich, dass gewisse Neustrukturierungen oder Projekte nicht funktionieren können.» Wenn sie deshalb Zweifel äussere, werde sie oft als Spassbremse abgestempelt. «Ich bin dann die Alte, die weder flexibel noch offen für Neues ist.» Wenn das Projekt dann tatsächlich schiefläuft, wird die Tatsache einfach stillschweigend
    unter den Teppich gekehrt. «Das ist ziemlich frustrierend.» Aufgrund der geringeren Perspektiven fehlt es älteren Semestern oft auch an Motivation – das könnte man zumindest meinen. Studien zeichnen jedoch ein ganz anderes Bild. Laut der Jobstudie des deutschen Marktforschungsinstituts Valid Research sind bei den über 60-Jährigen 52 Prozent der Arbeitnehmenden nach eigener Aussage hoch motiviert. Überhaupt sind Mitarbeiter ab 61 Jahren zufriedener und motivierter in ihrem Job als ihre jüngeren Kolleginnen. Am zweitmotiviertesten ist die Gruppe der 51- bis 60-Jährigen mit 43 Prozent Hochmotivierten. Gleichzeitig steigt mit dem Alter auch wieder die Zufriedenheit, wie die Studie «International Happiness» von David G. Blanchflower und Andrew Oswald zeigt. Vom Glück der 20-Jährigen geht es abwärts bis zu einem Tiefpunkt in der Lebensmitte, danach wieder aufwärts: Gegen 60 sind die Menschen dann wieder so zufrieden mit ihrem Leben, wie sie es Anfang 20 waren.

    Wissen teilen

    Die Studienergebnisse würden auch auf sie zutreffen, sagt Renate Pfirter. «Ich fühle mich noch immer motiviert im Job, auch wenn sich die Aufgaben verschoben haben.» So mag sie es etwa, ihr Wissen zu teilen: «Ich gebe meine Erfahrungen gerne an die jüngeren Kolleginnen und Kollegen weiter.» Ähnlich empfindet Gerold Siegler: «Junge Menschen anzuleiten, verstehe ich als grosse und spannende Perspektive.» Neben technischem Wissen könne er auch Werte vermitteln. «Etwa, dass man viel mehr erreicht mittels persönlicher Kontakte statt E-Mails.»
    Um Wissen weiterzugeben, sei es gerade in seinem Beruf wichtig, ständig à jour zu sein. «Die Entwicklung in der IT und der Technik ist rasant.» Die Digitalisierung zählt zu einer der grossen Herausforderungen der Generation 50plus im 21. Jahrhundert. «Ältere Arbeitnehmende müssen sich diesbezüglich eine neue Denkweise aneignen», sagt Coach Marianne Fust. Es ist nicht immer einfach zu akzeptieren, dass die jüngere Generation gewisse Dinge besser kann. «Heute ist es unmöglich, alles zu wissen und zu können. Die Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen, ohne sich dabei selber abzuwerten, ist die ‹Zauberformel› im 21. Jahrhundert», so Fust.

    Erstmals veröffentlicht am 21.09.2018

    Gastautorin

    • Helen Weiss

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