Seitennavigation & Suche

Neuorientierung nach Kündigung

An sowas war man sich in der Schweiz bis vor Kurzem nicht gewohnt: Seit der Corona-Krise kündigen Firmen fast täglich Stellenabbau und Entlassungen an. Konnten viele Unternehmen den Shutdown im Frühling dank Kurzarbeit und Notkrediten noch knapp verkraften, so droht einigen mit der zweiten Pandemie-Welle nun dennoch das Aus. Besonders betroffen sind die Reisebranche, die Hotellerie sowie die Gastro- und Eventbranche. Doch auch in diversen anderen Bereichen macht sich die wirtschaftliche Krisenzeit bemerkbar.

Derweil ist die Lage in den kaufmännischen Berufen vergleichsweise stabil – zumindest bis anhin noch. Doch auch in diesem Umfeld gehe die Angst um, weiss KV-Laufbahnberaterin Caroline Schultheiss. «Ich stelle fest, dass meine Klienten sich kaum noch trauen, eine Stelle aufzugeben, auch wenn es ihnen nicht so gut geht», sagt die Fachfrau. «Viele verharren zurzeit in einer Art Starre.» Wegen der engen Vernetzung der Unternehmen müsse man mit einer Kettenreaktion rechnen. Schultheiss geht davon aus, dass Kündigungen auch in administrativen Berufen in nächster Zeit zunehmen werden – und damit die Nachfrage nach Beratung.

Selbstzweifel und Kränkung

«Eine Kündigung bedeutet fast immer eine grosse Kränkung und Enttäuschung», sagt die Laufbahnberaterin. «Die meisten nehmen es persönlich, auch wenn man ihnen noch so sehr versichert, dass es nichts mit ihren Qualifikationen zu tun habe, sondern dass schlicht die wirtschaftliche Situation die Firma dazu zwinge.» Diejenigen, die es trifft, beginnen an sich und ihren Fähigkeiten zu zweifeln. In der Beratung knüpft Schultheiss dann zuerst mal an diesem Punkt an. «Eine meiner ersten Frage lautet stets: Wie geht es Ihnen?» Oft komme dann eine ganze Palette von privaten und arbeitsbezogenen Problemen an die Oberfläche. Das Corona-Virus habe die allgemeine Verunsicherung noch verstärkt.

Die Beraterin sieht ihre Rolle vor allem beim Aufbau der persönlichen Ressourcen. Sie versucht, den Betroffenen trotz erlittener Niederlage bewusst zu machen, wo ihre Stärken liegen. Natürlich sei es zu einem späteren Zeitpunkt auch sinnvoll, genauer hinzuschauen, wieso ausgerechnet diese Person als entbehrlich erschien, während andere bleiben konnten. Im Hinblick auf die Zukunft sei es günstig, wenn Ratsuchende das Vorgefallene auch mit Bereitschaft zu etwas Selbstkritik reflektieren, und darüber nachdenken, wo sie selber zur problematischen Situation beigetragen haben könnten. Ein häufiger Grund für eine Kündigung sind Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten und unterschiedliche Vorstellungen.

Mangelndes Feingefühl

Wie traumatisierend ein Jobverlust ist, hängt auch davon ab, wie die Kündigung erfolgt ist. Kam sie sehr überraschend und kommunizieren Vorgesetzte wenig einfühlsam, haben Betroffene stärker daran zu kauen. Immer wieder kommt es vor, dass auch langjährige, treue Angestellte, die sich für die Firma engagiert haben, ihren Arbeitsplatz per sofort räumen müssen. Sie können sich nicht einmal mehr von den Kollegen verabschieden und werden mit Sicherheitspersonal vor die Tür begleitet.

Beim Abgang mangle es häufig an Wertschätzung, sagt Katrin Juntke, selbstständige Laufbahnberaterin aus Brütten bei Winterthur. «Für die Verarbeitung des Ereignisses wäre eine Erklärung hilfreich», betont sie. Nicht nur für die scheidende Person, sondern ebenso sehr für die zurückbleibenden Mitarbeitenden. «Die Firma sollte ihre Situation transparent kommunizieren. Denn eine Entlassung löst stets auch bei den anderen Mitarbeitenden Ängste aus», stellt Juntke fest. «Erfahren sie nichts über die Gründe, wird häufig das Buschtelefon aktiviert. Darunter leidet die Konzentration auf die Arbeit.» Wenn sich Ex-Mitarbeitende unfair behandelt fühlen, besteht zudem die Gefahr, dass sie negativ über das Unternehmen sprechen oder dass es zu Rechtsstreitigkeiten kommt. Die Beraterin fände es auch wünschenswert, dass die Firma entlassenen Angestellten einen externen Coach zur Seite stellt, der sie bei der Suche einer neuen Stelle begleitet. Bei einigen Unternehmen ist dies üblich.

Zeit für eine Standortbestimmung

Ist der erste Schock nach einer Entlassung mal überwunden, kann die Situation auch eine Chance darstellen für eine Standortbestimmung und eventuell sogar eine Neuorientierung. KV-Beraterin Caroline Schultheiss nimmt mit ihren Klientinnen und Klienten dann eine Art Auslegeordnung vor. Gemeinsam gehen sie den individuellen Interessen auf den Grund. Oft stellt sich dann heraus, dass der verlorene Job gar nicht unbedingt der Traumjob war.

Zum Beispiel äussern KV-Absolventen um die Lebensmitte herum manchmal den Wunsch, mehr mit Menschen zu arbeiten. Von einer grundlegend neuen Berufsausbildung schrecken dann aber doch viele zurück. Einerseits sei ihnen der Aufwand zu gross und anderseits wollen die wenigsten eine Lohneinbussen in Kauf nehmen, macht Schultheiss die Erfahrung. «Richtige Neuorientierungen erlebe ich selten», stellt sie fest. Doch häufig gebe es die Möglichkeit eines sogenannten Sidesteps. Wechselt jemand zum Beispiel von der Buchhaltung in die Lohnbuchhaltung und bildet sich zur Fachperson Sozialversicherungen weiter, kommt ein neuer, menschlicher Aspekt hinzu. Eine andere Option ist, in die Administration einer sozialen Institution zu wechseln.

Weiterbildung ins Auge fassen

Erschwerend für einen beruflichen Wiedereinstieg ist häufig ein Mangel an Weiterbildungen. In der KV-Laufbahnberatung hat es Schultheiss regelmässig mit Personen zu tun, die nach dem KV immer im selben Bereich gearbeitet haben. Sehen sie sich dann mit 45 plötzlich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, müssen sie feststellen, dass heute fast überall mindestens ein Fachausweis oder ein Bachelor verlangt wird. Die Beraterin zeigt ihren Klientinnen dann das breite Angebot von Weiterbildungsmöglichkeiten auf. Immer wieder staunt sie, wie wenig die meisten über das Bildungssystem wissen. Für Personen ohne weiterführenden Abschluss wie Fachausweis oder Berufsmatur komme etwa eine Sur-Dossier-Aufnahme an einer Bildungsinstitution infrage. Wichtig sei es, die Leute zu ermutigen und zusammen auf die Fähigkeiten zu fokussieren statt auf die Defizite, macht Caroline Schultheiss die Erfahrung. Wage eine Person erst mal den Schritt in eine Beratung, entstehe häufig eine positive Energie. Ihren Klientinnen und Klienten gibt sie regelmässig mit auf den Weg: «Probieren Sie es doch aus.»

Wir beraten Sie professionell

Tipps:

Das hilft nach einer Kündigung

Chance für eine Standortbestimmung: Was habe ich erreicht? Was hat mir gefallen an der letzten Stelle, wo war ich unglücklich? Was für Qualifikationen und persönliche Fähigkeiten bringe ich mit? Was erwarte ich von einer zukünftigen Stelle?

Zeit der Stellenlosigkeit gut strukturieren: Tag einteilen, sich nicht gehen lassen, Stellensuche gezielt angehen.

Dossier auf den neusten Stand bringen: Wer sich lange nicht beworben hat, muss nun seine Bewerbungsunterlagen neu zusammenstellen. Dabei kann eine Beratung helfen. KV-Mitglieder haben eine Stunde jährlich bei einer KV-Laufbahnberaterin zugute und profitieren von günstigen weiteren Sitzungen. Mit der Fachperson kann man auch für Vorstellungsgespräche trainieren.

Nicht aufgeben: Besonders ältere Stellensuchende erhalten oft postwendend eine Absage auf eine Bewerbung. Manchmal hilft es, vor dem Einschicken der Unterlagen anzurufen. Ist bereits eine persönliche Ebene entstanden, kann man dort anknüpfen.

Netzwerken: Erzählen Sie herum, dass sie eine Stelle suchen, und nutzen Sie bewusst Kontakte zu Personen, die Beziehungen haben. So hören Sie möglicherweise von einer frei werdenden Stelle, bevor diese offiziell ausgeschrieben wird.

Den Schritt gewagt haben...

  1. «Wegen meinem Alter hatte ich schon ziemlich Respekt davor, meine Stelle zu kündigen. Ich wusste, dass es schwierig werden würde, wieder etwas zu finden. Und weil meine Kinder noch in Ausbildung sind und ich sie unterstütze, fürchtete ich mich vor finanziellen Problemen. Doch immer mehr wurde mir bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte. In der Firma, in der ich seit gut sechs Jahren war, hatte eine Reorganisation stattgefunden. Plötzlich war ich alleine zuständig für die Arbeit, die früher drei Personen erledigt hatten. Ich stand extrem unter Stress und hatte Angst, krank zu werden. Deshalb entschloss ich mich Ende letzten Jahres zum Weggang. Mit professioneller Unterstützung brachte ich meinen Lebenslauf auf den neusten Stand und begann, mich zu bewerben. Tatsächlich erhielt ich zwei Monate später die Zusage von einer anderen Firma und arbeite nun wieder im Personalbereich. Ich bin froh, habe ich den Schritt gewagt.»

  2. «Das erste Mal wurde mir 2009 gekündigt. Damals arbeitete ich bei einer Grossbank und meine Stelle wurde wegen der Finanzkrise gestrichen. Deshalb habe ich es nicht persönlich genommen. Doch ich hatte Mühe, wieder Fuss zu fassen. Acht Monate war ich arbeitslos, habe mich sehr oft beworben und sogar überlegt, mich selbstständig zu machen. Schliesslich hat mich ein Personalvermittler auf Linkedin entdeckt und mich auf einen Job bei einer Versicherung aufmerksam gemacht. Dort war ich anschliessend neun Jahre lang Kadermitglied.

    Aufgrund von Umstrukturierungen nahm die Belastung immer mehr zu. Ich hatte eine Doppelfunktion und die Zuständigkeiten waren oft unklar. Schliesslich wurde mir ganz überraschend gekündigt. Das hat mich extrem getroffen. Denn ich hatte mich stark engagiert und die Vorgesetzten wiederholt auf die Probleme aufmerksam gemacht.

    Nach der Entlassung war ich zunächst sehr emotional. Ich habe geweint und geflucht, aber auch viel geschlafen, denn ich war erschöpft. Mein Mann und meine Freundinnen haben mich sehr getragen in dieser Zeit. Nach zwei Wochen habe ich mich wieder aufgerappelt. Ich habe eine Standortbestimmung vorgenommen und mein Bewerbungsdossier aktualisiert. Zudem habe ich klar definiert, was ich von meiner nächsten Stelle erwarte: Nämlich ein menschlicheres Klima und ein kollegiales Verhältnis mit den Vorgesetzten. Und tatsächlich habe ich nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit wieder eine Anstellung bei einem Pharma-Konzern gefunden. Ich habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Es ist eine Traumstelle!»

    *Angaben teilweise geändert

Newsletter

Autor

  • Andrea Söldi

Beliebte Inhalte