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Porträt – Weibel auf dem Sprung

    Christof Eberle, 31, ist seit fünf Jahren Bundesratsweibel, zuvor diente er in der Schweizergarde in Rom. Jetzt hat er als einer von ganz wenigen Männern eine Weiterbildung als Direktionsassistent abgeschlossen.

    Kommen Sie am Donnerstagnachmittag, dann ist der Chef in der Kommissionssitzung, hatte Christof Eberle am Telefon gesagt. Jetzt ist es kurz vor zwei. Wir sind nach dem Fototermin in eisiger Kälte auf dem Bundesplatz zurück in seinem Büro an der Schwanengasse. Hier befindet sich während der Umbauarbeiten des Bundeshaus-Ostflügels das Generalsekretariat des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS. Als Erstes wirft Christof Eberle einen Blick ins Büro des Chefs, um sich zu vergewissern, dass dieser seinem Termin auch nachgekommen ist. Der Raum ist klein und wirkt bescheiden. Keine luxuriösen Möbel, keine schweren Teppiche, keine Kunst an den Wänden. Hinter dem Schreibtisch hängt eine grossformatige Fotografie mit Militärradfahrern, gegenüber ein Holzgestell mit Kuhglocken, auf dem Tisch ein paar geschnitzte Holztierchen und ein Bergkristall. «Ja», sagt Christof Eberle, «das ist das Büro des Bundespräsidenten ».

    Früh im Büro

    Wenn man sich mit dem 31-jährigen Bundesratsweibel unterhält, kommt man sehr schnell immer wieder auf seinen Chef zu sprechen. Die berufliche Tätigkeit des Weibels ist voll und ganz auf den Tagesablauf seines Vorgesetzten ausgerichtet. Am Morgen ist er jeweils um halb sieben Uhr im Büro, und um 6.35, spätestens um 6.40 trifft Ueli Maurer ein. Als Erstes lüftet der Weibel das Büro des Chefs. Er startet seinen Computer auf, druckt das Tagesprogramm aus und legt die entsprechenden Unterlagen sowie diverse Tageszeitungen bereit. Und er macht Kaffee. Im Laufe des Tages wird er das noch unzählige Male tun, aber nicht zu bestimmten Zeiten, und auch nicht, weil der Chef gelegentlich einen verlange, nein, sagt er, er spüre es einfach, wenn der Chef einen Kaffee brauche. Noch vor sieben Uhr wird das Tagesprogramm besprochen, dann beginnen die ersten Sitzungen oder sonstigen Verpflichtungen. Christof Eberle arbeitet eng mit der persönlichen Assistentin von Ueli Maurer zusammen und übernimmt auch deren Stellvertretung. Grundsätzlich besteht seine Aufgabe darin, dem Bundespräsidenten jede Art von Unterstützung zu bieten, damit er plangemäss durch den Tag kommt, und er soll ihm die unbedeutenden und trotzdem notwendigen Dinge des Alltags abnehmen. Im Bundeshaus stand ihm eine kleine Küche zur Verfügung, wo er für den Chef zwischendurch auch mal ein einfaches Essen zubereitete.

    Wenn man sich mit dem 31-jährigen Bundesratsweibel unterhält, kommt man sehr schnell immer wieder auf seinen Chef zu sprechen.
    Christof Eberle

    Begleitung ins Bundeshaus

    Während der Session oder zur wöchentlichen Bundesratssitzung begleitet er den Bundespräsidenten am Morgen früh auf dem knapp zehnminütigen Weg hinüber ins Bundeshaus und trägt seine Akten. Mit dabei ist er immer auch an offiziellen Anlässen wie beispielsweise dem Neujahrsempfang des diplomatischen Corps, während eines Staatsbesuchs, an der Eröffnung von Ausstellungen wie der Muba oder Olma oder an eidgenössischen Schwing- und Jodlerfesten. Anlässlich solcher Veranstaltungen erscheint Christof Eberle im Grande Tenue, das heisst in rot-weissem Mantel mit schwarzem Hut. Heute trägt er seine Alltagsuniform: einen grünen Gehrock mit goldenen Knöpfen, weisses Hemd und schwarze Hosen.  In der Öffentlichkeit hält er sich immer in der Nähe von Ueli Maurer auf. Er hat den Ablauf der jeweiligen Veranstaltung im Kopf, kennt die Namen der wichtigen Personen, nimmt Geschenke entgegen und weiss im Idealfall immer, was gerade als Nächstes bevorsteht. Er hält seinem Chef den Rücken frei und greift ein, wenn es in einer Menschenmenge zu eng wird. «Ich bin kein Bodyguard, aber wenn einmal etwas wäre, würde ich sicher nicht davonrennen.»

    Es war aber noch nie etwas. In den gut fünf Jahren seiner Tätigkeit als Weibel musste er bisher kein einziges Mal von seinem Pfefferspray Gebrauch machen. Klar gebe es hin und wieder Leute, die komisch oder mühsam seien, aber nie gefährlich. Und manchmal seien es einfach zu viele, die unbedingt auch noch ein Autogramm wünschten oder sich zusammen mit dem Bundespräsidenten fotografieren lassen wollten. Dann müsse er auch mal eingreifen und sagen, jetzt ist fertig. «In der Regel aber haben die Leute Respekt.» Sie sagen Grüessech Herr Bundespräsident, wenn sie ihm auf der Strasse begegnen, und sie kommen auch mal mit einem Anliegen oder Ärger auf ihn zu. Dem gegenüber sei aber gerade Ueli Maurer gar nicht abgeneigt, im Gegenteil, er schätze den Kontakt zur Bevölkerung und sei in der Stadt ganz selbstverständlich auch mit dem Tram unterwegs.

    Im Sommer kommt er von seinem Wohnort Münsingen mit dem Velo zur Arbeit. Dass jeder Tag wieder anders verläuft, versteht sich von selbst. Das gefällt Christof Eberle denn auch ganz besonders gut an seinem Job. Es wird ihm nie langweilig. Und er hat mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun. «Von der Putzfrau bis zum König.» Im Mai 2011 kamen der spanische König Juan Carlos und Königin Sofia für einen zweitägigen Staatsbesuch in die Schweiz. Für einen solchen Anlass gibt es ein minutiöses Szenario und jeder Weibel weiss genau, was er darin für eine Rolle zu spielen hat.

    KV-Lehre auf der Verwaltung

    Aufgewachsen ist Christof Eberle zusammen mit drei jüngeren Schwestern in Engelburg im Kanton St. Gallen. Nach der Schule absolvierte er eine kaufmännische Lehre auf der Gemeindeverwaltung Gaiserwald. Etwas anderes als das KV sei eigentlich gar nie infrage gekommen, da er handwerklich eher unbegabt gewesen sei. Nach der Lehre absolvierte er die Rekrutenschule und ging anschliessend für zwei Jahre als Hellebardier in die Päpstliche Schweizergarde nach Rom. In seiner Jugend hatte er eine katholische Schule besucht und war Ministrant. Eines Tages an einem Ministrantenfest berichtete ein Ex-Gardist von seiner früheren Tätigkeit in Rom. Er habe das spannend gefunden, erzählt Christof Eberle, die Idee habe ihn nicht mehr losgelassen. Kurz nach seiner Vereidigung im Frühling 2002 erhielt er zusammen mit seinen Eltern die Gelegenheit für eine Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. Gedauert habe diese zwar nicht länger als 20 Sekunden, und obwohl es nicht zu viel mehr als einer kurzen Vorstellung ihrerseits gereicht habe, sei es ein intensives und eindrückliches Erlebnis gewesen. So nahe kam er dem Papst später nie mehr. Für den Nahschutz sind die Offiziere der Garde zuständig. Und obwohl sich die Schweizergardisten hauptsächlich an den verschiedenen Dienstposten im apostolischen Palast und an den Zugängen zur Vatikanstadt aufhalten, gehört zur Vereidigung das Bekenntnis, dass man sein Leben für den Papst hingebe, «wenn es erheischt sein sollte», wie es offiziell heisst. Während sich die Tätigkeit eines Gardisten von derjenigen eines Bundesratsweibel gerade in diesem Punkt unterscheidet, gibt es doch auch viele Parallelen: Zuverlässigkeit, Diskretion und Verschwiegenheit sind entscheidende Fähigkeiten. Und auf beiden Posten müsse man bella figura machen.

    Wechsel nach Bern

    Zurück in der Schweiz nahm er bei der Staatskanzlei des Kantons St. Gallen eine Stelle als Sachbearbeiter an und war stellvertretender Standesweibel. Er trat der Weibelvereinigung bei, einem Verein von Bundesrats- und Standesweibeln. An einer Veranstaltung kam er mit der damaligen Weibelin von Bundesrat Samuel Schmid ins Gespräch. Was sie ihm von ihrer Tätigkeit erzählte, fand Christof Eberle spannend und noch bevor er sich ernsthaft Gedanken über einen solchen Wechsel machen konnte, erreichte ihn die Anfrage, ob er interessiert sei. Petra Neff wünschte zurückzutreten, weil sie eine Familie gründen wollte. Sein Dossier kam gut an und am 1. Dezember 2007 begann er als Weibel von Bundesrat Samuel Schmid.  Keine zwei Wochen später fand die Bundesratswahl beziehungsweise die Abwahl von Christoph Blocher statt. In der Folge wurden die Bundesräte Evelyne Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid aus der Fraktion ausgeschlossen. Samuel Schmid geriet zusätzlich unter Druck wegen der Affäre um Armeechef Roland Nef, ebenfalls in diesem Jahr ereignete sich ein schwerer Bootsunfall der Armee auf der Kander. Von all diesen Ereignissen war Christof Eberle persönlich nicht betroffen, aber die Arbeit sei nicht immer einfach gewesen und er habe manchmal mitgelitten. Am 12. November 2008 trat Samuel Schmid zurück. Knapp einen Monat später wählte die Bundesversammlung Ueli Maurer in den Bundesrat und Christof Eberle hatte einen neuen Chef. Dass ein neuer Bundesrat jeweils den Weibel seines Vorgängers übernimmt, sei üblich. Es wäre für ihn aber auch kein Problem gewesen, wenn sein neuer Vorgesetzter einer anderen Partei angehört hätte. Als Weibel ist man nicht in einer Partei und äussert sich politisch auch nicht. Nach ein paar Monaten der Zusammenarbeit habe Ueli Murer mit ihm Duzis gemacht. Im VBS herrsche ein kameradschaftlicher Umgangston, ganz ähnlich wie im Militär, findet Christof Eberle, und da gehöre das Du einfach dazu. Im Büro des Weibels hängt eine Schweizerfahne an der Wand. Und immer in Griffnähe sind Militär-Schoggi und -Bisquits.

    Spannende Weiterbildung

    Vor zwei Jahren kam der Wunsch nach einer Weiterbildung auf. Er entschied sich für eine viersemestrige Ausbildung zum Direktionsassistenten. «Es war mir bewusst, dass ich in eine Frauendomäne einbreche», sagt Christof Eberle. Und genau davon verspricht er sich auch etwas: «Warum soll es nicht auch Führungskräfte geben, die lieber einen Mann als Assistenten einstellen?» Die Zeit während der Weiterbildung hat er als streng empfunden. Von Ueli Maurer habe er aber viel Unterstützung bekommen. «Er hat mich ermutigt und fand, das sei eine positive Sache.» Öfter mal habe der Chef abends auf seine Anwesenheit verzichtet, damit er seinen Kurs besuchen konnte. «Das rechne ich ihm hoch an.» Und wenn es zwischendurch mal ruhig war, habe er während der Arbeitszeit lernen können. Im Januar konnte er den Fachausweis für die bestandene Prüfung entgegennehmen, zusammen mit drei Männern und 230 Frauen. Jetzt steht die nächste Veränderung bevor: Auf Ende März hat er beim VBS gekündigt, und das, obwohl eigentlich alles bestens ist in Bern. Aber nach fünf Jahren zieht es ihn zurück nach St. Gallen. Dort hat er bereits eine Wohnung gemietet. Und beruflich? «Am liebsten wäre mir eine Stelle als Direktionsassistent im Verwaltungsbereich. » Seit Anfang März arbeitet er seinen Nachfolger ein. Dieser ist ebenfalls Ex- Gardist. An seinem letzten Arbeitstag in Bern ist Bundesratssitzung. Dann wird er den Chef zum letzten Mal ins Bundeshaus begleiten.

    «Warum soll es nicht auch Führungskräfte geben, die lieber einen Mann als Assistenten einstellen?»
    Christof Eberle
    • Therese Jäggi

    Bild

    Béatrice Devènes