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Politische Texte, Schreiben von Behörden oder medizinische Unterlagen sind meist in einer Sprache verfasst, welche die breite Bevölkerung nicht versteht. Einfache Sprache wirkt diesem Problem entgegen.

Jeder sechste Erwachsene in der Schweiz versteht längere, komplexe Texte nicht. Darunter befinden sich funktionale Analphabeten, die zwar lesen können, das Geschriebene aber nicht verstehen. Darunter sind auch Migrantinnen und Migranten, welche der Ortssprache noch nicht mächtig sind. Oder Menschen, die aufgrund von einer Krankheit oder einer Behinderung kognitiv eingeschränkt sind. Die hohe Komplexität unserer schriftlichen Kommunikation bildet für diese Leute eine unsichtbare Barriere: Sie bleiben dahinterstehen und kommen nicht durch. Abstimmen kann schliesslich nur, wer verstanden hat, worum es bei der Vorlage geht. Und auch das Schreiben einer Behörde mag zwar juristisch einwandfrei sein – aber für manche so viel Informationsgehalt wie ein weisses Blatt enthalten.

Komplizierte Diagnose

Der Verein Einfache Sprache Schweiz setzt sich deshalb dafür ein, dass diese Barrieren abgebaut werden. Insbesondere Firmen, Behörden und politische Parteien sollen verständlicher kommunizieren. Peter Fischer, der an Multipler Sklerose leidet und die Problematik deshalb am eigenen Leib kennt, hat den Verein 2004 gegründet. «Vor über 20 Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich von einem Arzt meine Diagnose erhalten habe», erzählt er. «Ich las die Seite einen Tag lang immer wieder durch und verstand: nichts.»

So ergab es sich, dass er sich für eine Sprache einzusetzen begann, die es auch Menschen mit einer Behinderung ermöglicht, aktiv am Leben teilzunehmen. Diese wird übrigens offiziell als Leichte Sprache bezeichnet und orientiert sich an sehr stark reduzierten Sätzen und Wörtern, oft in Kombination mit Bildern. Durch die jahrelange Vereinsarbeit kristallisierte sich heraus, dass noch weit mehr Menschen durch unsere komplexe Sprache ausgeschlossen werden. Das Konzept der Einfachen Sprache und der gleichnamige Verein richten sich deshalb an die breite Bevölkerung. Konkret ist Fischer zum Beispiel daran, die politischen Papiere der Grünliberalen Zürich, bei denen er Mitglied ist, in Einfacher Sprache wie auch für hör- und sehbehinderte Menschen aufbereiten zu lassen. Stadt und Kanton Zürich, so Fischer, hätten die Notwendigkeit für barrierefreie Kommunikation erkannt. Peter Fischer betont dabei: «Wir wollen den Philosophen nicht ihre Tiefe nehmen – in manchen Bereichen macht Komplexität durchaus Sinn.» Aber überall dort, wo es um das gesellschaftliche Mitwirken gehe, müssten die Texte für alle verfügbar sein.

«Vor über 20 Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich von einem Arzt meine Diagnose erhalten habe. Ich las die Seite einen Tag lang immer wieder durch und verstand: nichts.»
Peter Fischer

Jeder braucht mal Einfache Sprache

Wissenschaftler der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) haben sich in den vergangenen vier Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Leichten, Einfachen und Bürgernahen Sprache auseinandergesetzt. Derzeit ist ein Kompetenzzentrum für Barrierefreie Kommunikation im Aufbau (siehe 01 Hindernisfrei kommunizieren). «Während die Leichte Sprache eine Einstiegshilfe für Menschen ist, die fast keinen Zugang zu Sprache haben, kann die Einfache Sprache ganz viele Anspruchsgruppen abholen», sagt Projektleiterin Susanne Johanna Jekat vom Departement für Angewandte Linguistik. Sie erklärt es mit einem persönlichen Beispiel: «Wenn mein Automechaniker mit mir spricht, muss er auch stark vereinfachen, damit ich mitkomme.» Entsprechend brauche jeder mal Einfache Sprache und man müsse deren Prinzipien immer dem Kontext anpassen. Übrigens seien sie und ihr Team während des Forschungsprojekts ebenfalls einfacher geworden: Auch die Wissenschaft, die sich häufig hinter gekonnten Formulierungen verstecke, habe hier Verbesserungspotenzial.

Gefahr von Missverständnissen

Die eigene Sprachkompetenz war und ist bis heute entscheidend dafür, wie jemand in der Gesellschaft mitwirken kann. Die Idee, diesen Kreis durch vereinfachte Texte zu erweitern, ist gut – und angesichts der von der Schweiz anerkannten UN-Behindertenrechtskonvention zwingend. Sie birgt aber auch Gefahren: Gerade in der Leichten Sprache werden die Inhalte teils so stark reduziert, dass wichtige Aussagen verloren gehen können. In einer Masterarbeit im Rahmen des Forschungsprojekts von Susanne Johanna Jekat wurde ein Diabetes-Ratgeber in Leichter Sprache für Menschen mit Downsyndrom untersucht: «Dort stand geschrieben, dass der Körper Zucker braucht.» Die Autorin der Arbeit, Nathalie Nüssli, fragte also die Testpersonen: «Sollten Sie viele Süssigkeiten essen?» Sie antworteten mit «Ja». In Bezug auf die eigene Gesundheit und Sicherheit kann es verheerend sein, wenn Texte in Leichter Sprache falsch interpretiert werden.

Die Einfache Sprache ist noch weit weniger erforscht als die Leichte Sprache, für die es fast ein Dutzend Regelwerke gibt. Für Jekat ist es wichtig, dass für die Einfache Sprache ebenfalls Standards erarbeitet werden, diese also systematisch und einheitlich zum Einsatz kommen kann. Peter Fischer befürwortet diese professionelle Erarbeitung von Leitlinien und die Ausbildung von Fachleuten, welche in Einfacher Sprache texten beziehungsweise übersetzen können. Das stellt sicher, dass alle Menschen mit Informationen versorgt werden – damit sie selbstbestimmte Entscheide fällen, ihre Meinung kundtun und am Leben teilnehmen können.

«Während die Leichte Sprache eine Einstiegshilfe für Menschen ist, die fast keinen Zugang zu Sprache haben, kann die Einfache Sprache ganz viele Anspruchsgruppen abholen»
Susanne Johanna Jekat
  1. Das Schweizer Zentrum für barriere- und hindernisfreie Kommunikation hat zum Ziel, Menschen mit Beeinträchtigungen den Zugang zum Studium zu erleichtern. Es wird von der ZHAW in Zusammenarbeit mit der Uni Genf aufgebaut. Gleichzeitig untersuchen Forschende und Studierende in dem vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekt, wie Menschen mit Beeinträchtigungen oder geringen Kenntnissen in der Ortssprache in ihrer Kommunikation unterstützt werden können.

    Forschungsbereiche liegen unter anderem bei der Audiodeskription, beim Schriftdolmetschen, bei der Gebärdensprache sowie bei Leichter, Einfacher und Bürgernaher Sprache. Das Forschungsprojekt läuft in diesem Jahr aus, zieht aber Nachfolgeprojekte mit sich. Das Zentrum soll deshalb nach wie vor als zentrale Anlaufstelle für all jene dienen, die mit Sprache an Grenzen stossen.

  2. Während sich die Leichte Sprache offiziell an Menschen mit Behinderung richtet, ist das Ziel der Einfachen Sprache, komplexe Texte für eine breite Öffentlichkeit verständlich zu machen. Es gibt zwar keine festen Regeln für die Einfache Sprache, die sich immer auch an den Kontext und die Zielgruppe anpassen muss. Ihr liegen aber einige Prinzipien zugrunde, die Texte im Allgemeinen verständlicher machen und die eigentlich jeder Schreibende beachten kann:

    • Aktiv formulieren
    • Eine Hauptaussage pro Satz
    • Verschachtelte, lange Sätze aufteilen
    • Sparsamer Umgang mit Fremdwörtern
    • Abstrakta und Metaphern vermeiden

Autorin

  • Rahel Lüönd

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