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Vielfalt macht kreativ

    Frauen und Männer, Alt und Jung, Inderinnen und Südamerikaner, hetero und schwul. Wie Diversity funktionieren kann, zeigt ein Einblick bei einer Grossbank.

    Im Alter von 16 Jahren flüchtete Gada Alrayan aus Syrien in die Schweiz. Mit ihrer Familie musste sie das kriegsversehrte Land Hals über Kopf verlassen. Sie sprach kein Deutsch, und ihre bisherige Ausbildung galt plötzlich nicht mehr viel. Heute, gut fünf Jahre später, sitzt die 21-Jährige in adretter Businesskleidung im Sitzungszimmer der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz. Im Sommer hat sie mit dem zwölf Monate dauernden Wirtschaftsmittelschul-Praktikum begonnen und sich bereits gut eingelebt. «Es ist super, dass ich vor dem Studium in Wirtschaftsrecht Erfahrungen in einer Grossbank machen kann», sagt die junge Frau.

    Die CS legt schon seit über 30 Jahren Wert auf eine grosse Vielfalt ihrer Mitarbeitenden. Der Konzern mit rund 16 000 Vollzeitstellen in der Schweiz beschäftigt Personen aus 180 Nationen und achtet auf eine gute Durchmischung bezüglich Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnie, Religion, sexueller Orientierung, Behinderung und anderer spezieller Merkmale. Aufgrund dieses Engagements schaffte es die Bank in den letzten Jahren zweimal an die Spitze des Diversity-Index, den die Hochschule Luzern seit 2013 jedes Jahr erstellt. «Je mehr Perspektiven unsere Mitarbeitenden abdecken, desto besser wird die Kundenbasis reflektiert», sagt Paula Langer von der CS-Fachstelle Diversity and Inclusion. Mit der grossen Bandbreite an Mitarbeitenden könne man besser auf die ebenfalls sehr vielfältige Kundschaft eingehen. Zum Beispiel decke man rund 160 Sprachen ab. «Manchmal sind Kunden froh, wenn jemand in ihrer Muttersprache mit ihnen kommunizieren kann.»

    So sind auch Gada Alrayan Arabisch-Kenntnisse immer wieder hilfreich, denn sie arbeitet in einer Abteilung, die mit Asien und dem mittleren Osten geschäftet. Weiter spricht die junge Palästinenserin Englisch, Französisch, Spanisch und mittlerweile auch sehr gut Deutsch. Sogar Mundart versteht sie unterdessen problemlos. Ihre schnelle Auffassungsgabe sei beim Bewerbungsgespräch sofort herausgestochen, sagt Christian Heintz, der in Zürich für die sogenannten Young Talents verantwortlich ist. So heissen die schweizweit rund 600 Lernenden, Maturanden und Mittelschulpraktikanten bei der CS. «Wir waren begeistert, dass die junge Frau nach so kurzer Zeit bereits fliessend Deutsch sprach», sagt Heintz. Nach der Ankunft in der Schweiz hatte Alrayan ein Jahr lang eine Integrationsklasse besucht und danach die Wirtschaftsmittelschule absolviert.

    Asperger als Stärke

    Auch Ismail Riahi gehört seit dem Sommer zu den Young Talents. Aus seinen speziellen Bedürfnissen hat der 17-Jährige nie ein Geheimnis gemacht. «Ich betrachte mein Asperger-Syndrom vor allem als eine Stärke», sagt der Informatik-Lernende. Seiner Bewerbung legte er ein Schreiben des Lehrers bei, aus dem hervorging, wie sich die Beeinträchtigung im Alltag auswirkt. Wenn er etwas nicht verstehe, sei er schnell frustriert, erklärt Riahi. «Dafür habe ich viel Ausdauer bei Aufgaben, die mich interessieren.» Beim Asperger-Syndrom handelt es sich um eine leichte Form von Autismus. Betroffenen fehlt meist ein wenig das Gespür für zwischenmenschliche Feinheiten wie Mimik und Gestik. Dafür gelingt es ihnen häufig besser, sich auf eine spezielle Aufgabe zu fokussieren. Das sei nicht nur ein Klischee, sagt Christian Heintz. «Es ist gerade in Informatik-Berufen ein grosser Vorteil. Wegen ihrer ausgezeichneten Auffassungsgabe verstehen Betroffene die Codes schneller.» Bei Ismail Riahi fällt das Asperger-Syndrom beim ersten Kontakt kaum auf. Doch man beschäftige auch Personen mit stärkerer Ausprägung von Autismus, sagt Heintz.

    Auch Barrierefreiheit sei ein grosses Thema für die Credit Suisse, betont Cinzia De Martin Bär, Co-Leiterin der Diversity-Fachstelle. Die alten Gebäude seien oft nicht rollstuhlgängig und das Aufzurüsten architektonisch anspruchsvoll. Bei Neubauten dagegen sei Hindernisfreiheit ein selbstverständlicher Aspekt der Planung. Die CS beschäftigt auch seh- und hörbehinderte Menschen. «Diese Mitarbeitenden erweitern unseren Blick für Kundenbedürfnisse entsprechender Gruppierungen», sagt Langer. Zum Beispiel biete man schon länger tiefergelegene Bankomaten oder solche, die akustisch bedient werden können. Der Bankauszug ist auch in Brailleschrift erhältlich.

    Frauen freunden sich mit IT an

    Sabrina Suter ist bereits im dritten Informatik-Lehrjahr. Ihr Berufswunsch steht fest, seit sie als Mädchen am Zukunftstag ihren Vater, der ebenfalls Informatiker ist, zur Arbeit begleiten durfte. In speziellen Mädchen-Programmen und Kursen bereitete sie sich auf die Ausbildung vor. Nun ist sie eine von 17 Frauen unter den gut 60 angehenden Informatik-Lernenden bei der CS. Früher war der Frauenanteil in dieser Branche verschwindend klein. Noch vor vier Jahren kamen lediglich drei Frauen auf 120 Lernende. Auch Sabrina Suter war in der ersten Abteilung, in der sie bei der CS eingeteilt war, die einzige Frau unter zehn Männern. Unterdessen arbeitet sie in einem geschlechtermässig ausgeglichenen Team. «Als Frau in der IT wird man häufig unterschätzt», sagt die 17-Jährige. «Man muss zeigen, was man draufhat.» Einmal habe sie vom Chef einen grösseren Auftrag erhalten, erzählt Suter. «Die anderen trauten mir die Aufgabe nicht zu, doch ich erledigte sie souverän. Da waren die Kollegen beeindruckt.»

    Verständnis füreinander fördern

    Natürlich sei die grosse Vielfalt an Menschen beim Zusammenarbeiten nicht immer nur einfach, sagt Paula Langer von der Diversity-Fachstelle. Zum Beispiel bringen die Menschen aus vielfältigen Kulturen unterschiedliche Gewohnheiten und Kommunikationsstile mit. Um Missverständnisse zu vermeiden und das gegenseitige Verständnis zu fördern, bietet die Bank interne Netzwerke zu Themen wie Gender, Karriere, Alter, Familie, sexuelle Orientierung (LGBT) und Multikulturalität an. Diese organisieren regelmässig Vorträge und Workshops. Anfang November zum Beispiel lud das Multicultural Forum alle Mitarbeitenden  zu einer Feier des indischen Lichterfests Diwali ein.

    Zu Konflikten unter den Mitarbeitenden komme es selten, sagt Langer. «Die unterschiedlichen Meinungen und Sichtweisen führen zu kreativen und nachhaltigen Lösungen.» Diversity sei aber immer ein langfristiges Thema, betont sie. Auch in der CS gebe es immer noch sehr homogene Teams. Bei Neubesetzungen achte man unter anderem auf eine bessere Durchmischung.

    Als Gada Alrayan als Asylbewerberin in die Schweiz kam, musste auch sie sich zuerst mit den hierzulande geltenden Umgangsformen vertraut machen. «Ich habe gelernt, dass Pünktlichkeit sehr wichtig ist, auch wenn einzelne Kollegen ab und zu ein paar Minuten zu spät zu den Sitzungen kommen», erzählt sie. Auch der Kommunikationsstil der verschiedenen Teammitglieder sei unterschiedlich. Die Vorgesetzte – eine Dänin – sage sehr klar und direkt, was sie erwartet. Dies könnte auf Menschen aus anderen Kulturkreisen befremdlich wirken, weiss die Palästinenserin. «Dann versuche ich, zwischen den beiden Kulturen zu vermitteln.»

    Interview

    «Es gibt noch viel Aufholbedarf»

    Wie steht es um die Vielfalt in Schweizer Betrieben?

    Anina Hille: Es findet eine zunehmende Sensibilisierung statt. Am meisten passiert bei der Durchmischung von Geschlechtern und Altersgruppen, weil diese Themen sehr präsent sind in der Öffentlichkeit. Dennoch gibt es noch viel Aufholbedarf.

    Was für konkrete Massnahmen ergreifen die Firmen?

    Zum Beispiel achten die Unternehmen vermehrt darauf, dass Frauen auf Führungsebene und in Verwaltungsräten vertreten sind. Doch Mutterschaft ist für eine Karriere immer noch hinderlich, während eine Vaterschaft sogar förderlich scheint. Viele Unternehmen setzen unterdessen auf sogenanntes Gender together, weil sich die Männer bei den Frauenförderungsmassnahmen ausgeschlossen fühlen.

    Und was unternehmen die Organisationen für die Gleichberechtigung der Altersgruppen?

    Immer häufiger sind Modelle wie Tandems oder Mentoring-Teams, bei denen junge und ältere Mitarbeitende voneinander profitieren sollen. Unsere Studien zeigen, dass der Wissenstransfer von Jung zu Alt noch nicht so gut funktioniert wie umgekehrt. Und immer noch haftet Menschen ab 50 das Vorurteil an, dass sie mit steigendem Alter bei gleicher Qualifikation mehr Lohn erwarten. Gemäss unseren Studien trifft das aber für die meisten nicht zu.

    Dass eine gute Alters- und Geschlechterdurchmischung die Innovationskraft fördert, scheint offensichtlich. Doch wieso sollen Unternehmen Behinderte beschäftigen? Tun sie das mehr aus Goodwill oder weil es ihnen etwas bringt?

    Viele geben an, dass Diversity auch dem Firmen-Image und der Zufriedenheit der Mitarbeitenden förderlich sei. Zudem sind Menschen, die trotz einer Beeinträchtigung eine Chance erhalten, meist sehr loyal. Häufig braucht es nur kleine Anpassungen. Die IKEA hat zum Beispiel einen Stapelfahrer mit Hörbehinderung eingestellt. Sie musste für ihn einen Alarm mit Vibration einrichten, was keine grosse Sache war. Solche Massnahmen werden oft von der IV bezahlt. Zudem gibt es viel Unterstützung vonseiten Behinderten-Verbänden. Für den Bereich Hörbehinderung haben wir gemeinsam mit dem Schweizerischen Gehörlosenverbund einen Leitfaden für Unternehmen erarbeitet.

    Ihr Diversity-Index beruht auf einer reinen Selbsteinschätzung der Unternehmen. Wie aussagekräftig ist er?

    Wir können die Antworten nicht überprüfen, gehen aber davon aus, dass sie mehrheitlich mit der Realität übereinstimmen. Denn der Index ist ein Instrument, mit dem Unternehmen selber eine Standortbestimung vornehmen, sich mit anderen vergleichen und die eigene Entwicklung beobachten können. Es gibt Diversity-Dimensionen, die nicht jede Firma gleich gut erfüllen kann. Die Durchmischung der Nationalitäten zum Beispiel ist naturgemäss in weltweit tätigen Konzernen höher.

    Gemäss Aussagen der Hochschule Luzern (HSLU) trägt Diversität zu einem nachhaltigeren Geschäftserfolg und höherer Innovationsfähigkeit bei. Ist das nicht etwas viel versprochen?

    Nein, ich bin überzeugt, dass es für die meisten Unternehmen einen Mehrwert bedeutet. Wir sind keine Sozialarbeitende, sondern Ökonomen, die vor allem die wirtschaftlichen Aspekte gewichten. Studien aus der Innovationsforschung legen nahe, dass durchmischte Teams erfolgreicher sind. Zudem wird sich der Fachkräftemangel mit dem demographischen Wandel noch verschärfen. Daher sind wir darauf angewiesen, dass möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft ihre verschiedenartigen Kompetenzen einbringen.

    Zur Person
    Anina Hille ist Projektleiterin des Diversity Index und Dozentin am Institut für Finanzdienstleistungen der HSLU in Zug.
    • Andrea Söldi

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