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Weniger Baby-Stress mit Elternzeit

    18 Wochen Urlaub erhalten Novartis-Angestellte, wenn sie Mutter oder Vater werden. Die grosszügige Regel ermöglicht Familien einen geruhsamen Start mit dem Neugeborenen. Und auch für den Konzern ergeben sich Vorteile.

    Malea schaut mit wachen Augen über die Schultern ihres Vaters, der sie beim Öffnen der Haustür auf seinem Arm trägt. Das knapp sieben Wochen alte Mädchen scheint sich schon ziemlich dafür zu interessieren, wer da auf Besuch kommt. Auf seinem pfausbäckigen Gesicht meint man ein Lächeln zu erkennen. «Sie entwickelt sich prächtig», sagt Peter Jehle. Bald wird Malea hungrig und wird von der Mutter gestillt.

    An diesem Mittwoch sind beide Elternteile zuhause. Die anderen Tage arbeitet Jehle aber bereits wieder bei der Firma Novartis in Basel, während seine Frau Ana Cendales zuhause in Aarau die Kinder betreut. Sie ist beim selben Pharmakonzern angestellt, bezieht aber nun ihren 18-wöchigen Mutterschaftsurlaub. Dieselbe Dauer steht dem Vater zu. Denn seit Anfang Jahr behandelt die Novartis ihre Angestellten gleich: Frauen und Männer haben jeweils Anrecht auf 18 Wochen Urlaub. Damit gehört das Unternehmen zu den grosszügigsten in der Schweiz.

    Jehle hat nach Maleas Geburt zwei Wochen frei genommen. Den Rest seines Vaterschaftsurlaubs wird er ab März beziehen, während Cendales ab April wieder arbeiten geht. Malea wird ihre Eltern somit ihr ganzes erstes Lebensjahr für sich haben.

    Gelegenheit, Neues zu lernen

    Mit dem Vaterschaftsurlaub wolle Novartis die Gleichstellung der Geschlechter fördern, sagt Thomas Bösch von der Personalabteilung. «Eltern brauchen Zeit für ihre Neugeborenen oder neu adoptierten Kinder.» Die Praxis werde sich auch für den Konzern als Arbeitgeber auszahlen, ist Bösch überzeugt. Einerseits könne man so die Motivation und Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen erhöhen. Und anderseits verspricht sich der Konzern, der für seine Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im pharmazeutischen Bereich auf hochqualifiziertes Personal angewiesen ist, einen Vorteil beim Rekrutieren und Erhalten von Fachkräften.

    Bei den rund 12 300 Mitarbeitenden in der Schweiz geht das Unternehmen davon aus, dass rund 300 Väter pro Jahr in den Genuss des Urlaubs kommen werden. Die Kosten für Vertretungen würden sich somit auf rund 0,6 Prozent der gesamten Lohnsumme belaufen. Häufig könnten Projekte aber auch verschoben werden oder andere Teammitglieder würden Aufgaben von beurlaubten Vätern übernehmen, erklärt Bösch. «So ergeben sich Möglichkeiten, Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln.»

    Man kommt einander entgegen

    Unterdessen ist Levin von seinem Mittagsschlaf erwacht. Noch etwas müde saugt er an seinem Nuggi und schmiegt sich in die Arme seines Vaters. Vor zweieinhalb Jahren, als Levin auf die Welt kam, gewährte Novartis den Vätern eine Woche Urlaub zusätzlich zum Tag für die Geburt, den das Gesetz vorschreibt. Jehle hatte damals noch eine Woche Ferien dazu genommen und später, als seine Frau wieder arbeiten ging, zwei Monate Ferien bezogen. Denn dass er in dieser ersten Zeit bei der Familie sein kann, ist ihm sehr wichtig.

    «Ich freue mich sehr darauf, im Frühling für vier Monate die Kinder rundum im Alltag zu betreuen», sagt der engagierte Familienvater. «Die Beziehung zum Vater ist ebenso wichtig wie jene zur Mutter». Er könnte sich sogar vorstellen, sein Pensum später einmal zu reduzieren, wenn seine Frau mehr arbeiten möchte. Der Biotechnologe arbeitet in der Qualitätskontrolle, während die HR-Fachfrau Projekte in der Personalabteilung leitet.

    Das Paar arbeitet viel. Sie hat ein 80-Prozent-Pensum, wovon sie zwei Tage im Homeoffice leistet. Er konnte nach der Geburt des ersten Kindes auf 90 Prozent reduzieren, die er auf vier Arbeitstage verteilt. Dies funktioniert dank des grossen Einsatzes der Grosseltern sowie einem Hort, den Levin einen halben Tag pro Woche besucht. Zudem sei der Arbeitgeber sehr entgegenkommend, lobt Cendales. Die Stunde Arbeitsweg im Zug können die beiden zum Beispiel zum Arbeiten nutzen. «Aber auch wir selber sind flexibel», betont Jehle. «Wenn mal an einem meiner Freitage ein wichtiges Meeting stattfindet, versuche ich, es mir einzurichten.»

    Elternteile gleich wichtig

    Auch Cendales ist froh, dass die Gleichberechtigung für ihren Partner so selbstverständlich ist. Die Kinder seien nicht einseitig auf die Mutter fixiert, sondern auf beide Elternteile gleichermassen bezogen. In der ersten Zeit nach der Geburt von Malea unternahm der Vater vor allem viel mit Levin, für den der Familienzuwachs ebenfalls eine grosse Umstellung bedeutete. Levin übernehme viel von seinem Vater, sagt Cendales. Zum Beispiel zeige er ihm, was es heisst, geduldig zu sein. «Warte ohni schimpfe», erklärt der Kleine, was er von seinem Papi gelernt hat. Die zwei Wochen nach der Geburt von Malea, als die ganze Familie zusammen war, hat Ana Cendales sehr genossen. «Wir hatten Zeit, uns an die neuen Abläufe einer vierköpfigen Familie zu gewöhnen. Ausserdem konnte ich mich viel besser erholen, als wenn ich allein gewesen wäre mit den beiden Kleinen.»

    «Ich freue mich sehr darauf, im Frühling für vier Monate die Kinder rundum im Alltag zu betreuen.»
    Peter Jehle, Familienvater und Biotechnologe

    Kaufmännischer Verband unterstützt Elternzeit

    Der Kaufmännische Verband setzt sich gemeinsam mit den anderen plattform-Verbänden seit Jahren für eine Elternzeit ein. Gleichstellung, Flexibilität und die Ausschöpfung des inländischen Fachkräftepotenzials sind für die plattform die wichtigsten Anforderungen an ein Elternzeitmodell.  Dafür braucht es die Möglichkeit einer hälftigen Aufteilung zwischen den Eltern, eines tageweisen Bezugs sowie eines Teilzeitmodells.  Diese Flexibilität kommt sowohl der Familie als auch dem Unternehmen zugute und ist auch für KMU geeignet. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen zudem, dass ein Pflichtteil für Väter eine Voraussetzung für den Erwerbseffekt auf Mütter ist. Die plattform-Verbände setzen auf eine breit abgestützte, finanzierbare Lösung, weil diese auf politischer Ebene die grössten Chancen hat. Maximalforderungen halten sie für kontraproduktiv. «Zu einer modernen Arbeitswelt gehört auch eine moderne Gesellschaft. Gleiche Chancen, Rechte und Pflichten für Frauen und Männer sind dabei eine Grundvoraussetzung», sagt Ursula Häfliger, Geschäftsführerin der plattform. «Man kann keine Arbeitswelt 4.0 mit einer Gesellschaft 3.0 haben».

    Autorin

    • Andrea Söldi

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