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Wenn die Selbstständigkeit ruft

Viele träumen davon, irgendwann nur noch sich selber Rechenschaft ablegen zu müssen. Zwei Praxiserprobte erzählen, was es dazu braucht.

Wenn Arbeitnehmende ihren Job verlieren oder freiwillig aufgeben, kommen sie oft in eine Phase der Selbstreflexion: Was ist mein nächster beruflicher Schritt? Möchte ich zurück in ein Angestellten-Verhältnis oder meiner meinem Wunsch nach einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen? Die Arbeitszeiten selber bestimmen, den Lohn auch – und mal grundlos blau machen können, wenn einem danach ist: Solche Vorstellungen locken manche in die Selbstständigkeit. Andere wiederum sehen vor allem die Gefahren; sie fürchten schlaflose Nächte und finanzielle Einbussen. Beide Seiten haben recht. Der Weg zur eigenen Firma hält meist Brücken und Stolpersteine bereit. Die Frage ist, wie jeder einzelne damit umgeht.

Angesichts der andauernden Corona-Krise und der wirtschaftlich unsicheren Lage haben viele Arbeitnehmende ihren Traum nach Selbstständigkeit vorerst auf Eis gelegt. Die Krise zieht fast alle Branchen und Berufe in Mitleidenschaft. Selbstständigerwerbende haben dabei ganz besonders unter den behördlichen Massnahmen und den damit verbundenen Einnahmeausfällen gelitten. Sich selbstständig machen trotz Corona: Geht das?

Krisen bieten immer auch Möglichkeiten und Chancen (vgl. Interview 20 Minuten mit Ensar Can, Projektleiter im Bereich Bildung und Forschung beim Verband der Schweizer Unternehmen Economiesuisse). «Natürlich sollte man in Krisenzeiten potenzielle Risiken, welche die Selbstständigkeit mit sich bringt, abwägen. Ist die Idee aber gut und besteht ein Markt, gibt es keinen Grund, um abzuwarten.» In jeder Krise gibt es auch Branchen, die florieren. Zurzeit boomend beispielsweise der Online-Handel. Auch Trends, die mit der stay home-Policy verbunden sind, wie z.B. Gärtnern, Handwerkern, Dekorieren usw. nehmen zu. «Eine Analyse von Economiesuisse zeigt auf, dass auch in Branchen mit negativer Beschäftigungsentwicklung viele Stellen aufgrund von Innovationen entstehen können.» So wird neben dem Konsumverhalten der Menschen auch deren Arbeitsverhalten einem Wandel unterzogen. Das Arbeiten im Homeoffice und die dadurch flexibel gestaltbare Arbeitszeiten bringen viele Arbeitgeber dazu, mit ihren Geschäftsmodellen neue Wege zu gehen. Solche Punkte sind es, die unbedingt zu bedenken sind, bevor man den Schritt in die Selbstständigkeit wagt und einen Business Plan erstellt.

Es gibt sie, die allgemeingültigen Tipps, um gewisse Fehler zu vermeiden und sich guten Mutes in das Abenteuer Firmengründung zu stürzen. Es braucht ein gutes Selbstwertgefühl, Wissensdurst, eine klare Strategie (auch wenn sie sich vielleicht noch verändert) und einen langen Atem. Persönliche Voraussetzungen wie unternehmerisches Denken, Risikobereitschaft und Belastbarkeit sind genauso wichtig wie die fachlichen Fähigkeiten.

Der perfekte Tag kommt nicht

Für Karin Ettlin-Huser aus Gunzwil war es vor allem die hohe Eigenverantwortung, die sie gereizt hat. Auch in früheren Jobs, zuletzt im Marketing bei einem Lebensmittelhändler, war sie schon voller Tatendrang, und irgendwie war ihr klar, dass sie früher oder später ihre eigene Geschäftsidee umsetzen möchte. Nur kannte sie diese damals noch nicht. In Weiterbildungen hatte sich die gelernte Bäcker-Konditorin zuerst das technische KV und später auch Grafik-Kenntnisse sowie die Fähigkeiten zum Programmieren angeeignet. «Da ich den Hang zum Perfektionismus habe, brauchte ich ziemlich viel Mut, um den Schritt letztlich zu wagen», erzählt die Firmengründerin . Denn der Tag, an dem man alles perfekt kann, den gibt es nicht. Einfache Handlungen wie etwa das Firmenschild neben der Tür anzumachen oder das Auto anzuschreiben, hatten also grossen Symbolwert. Sie standen für das Risiko, den Neuanfang. «Die Angst zu versagen, war da», sagt Ettlin-Huser heute. «Aber wer es nie probiert, der kann nicht gewinnen und kann nicht versagen.»

Seit Januar 2019 nun erstellt Karin Ettlin mit ihrer Firma Webbeck erfolgreich Websites für ihre Kunden. «Die kaufmännische Ausbildung hat mir gerade bei strategischen Entscheiden sehr geholfen», erzählt die Webbäckerin, «anfangs habe ich meine Werte definiert, aber auch den Preisrahmen gesetzt und ein Budget erstellt.» Zwischendurch die Vogelperspektive einzunehmen hilft ihr auch heute noch durch hektische Zeiten hindurch: Sie kann dann besser Prioritäten setzen, Probleme angehen und offen kommunizieren, als wenn sie ohne Überblick drauflos arbeiten würde.

«Wer es nie probiert, der kann nicht gewinnen und kann nicht versagen.»
Karin Ettlin-Huser

Ressourcen einteilen

Als Mutter von zwei Kindern ist ihr zudem wichtig, dass sie ihre Ressourcen richtig einteilt sowie Geschäft und Freizeit klar trennt. Nächtelang durchackern, um alle Aufträge abarbeiten zu können, das möchte sie nicht. Aber zu den Arbeitszeiten Gas geben – das liegt ihr im Blut.

Gerade im kaufmännischen Bereich sind die Möglichkeiten, sich selbstständig zu machen, enorm vielfältig. Im Handel oder Dienstleistungssektor bringt die Selbstständigkeit meist keine grossen Investitionen mit sich. Man kann mit der eigenen Arbeitskraft als Ressource anfangen, mal ausprobieren, ohne gleich hohe finanzielle Risiken eingehen zu müssen. Ausserdem sind die Grundkenntnisse in Buchhaltung und Marketing schon gegeben. Auch einen Businessplan zu verfassen dürfte Kauffrauen und -männern leichter fallen als einem Schreiner oder einer Künstlerin. Wer das sichere Standbein noch nicht ganz loslassen mag, fängt vielleicht erst Teilzeit mit eigenen Arbeiten an.

Eine sorgfältige Planung und realistische Vorstellungen zahlen sich aus. Von den knapp 40'000 Firmen, die in der Schweiz jährlich neu gegründet werden, existieren nach vier Jahren gemäss Bundesamt für Statistik noch etwas mehr als die Hälfte (54,6 %). Die Finanzen im Griff zu haben und anfangs auch mit einem tiefen Einkommen überleben zu können, ist für viele entscheidend für das weitere Bestehen der eigenen Firma.

«Jeder kann es schaffen»

Daniel Dreifuss hat vor 25 Jahren die eigene Uhrenmarke «Maurice de Mauriac» gegründet, nachdem er schon zehn Jahre lang Werbeuhren fabriziert hatte. Angefangen hatte sein beruflicher Werdegang mit einer KV-Lehre und einigen Jahren als Investmentbanker.

Er glaubt, dass fast jeder den Traum der Selbstständigkeit in sich hat und Entscheidungen fällen möchte. Er glaubt auch: «Wenn man sich voll engagiert, dann kann es jeder schaffen.» Rückblickend findet der Zürcher aber, dass ihm etwas mehr Liquidität und ein solides Netzwerk den Weg geebnet hätten. Er sei in diesen Jahren an so viele Fragen herangekommen, die ihm gute Vertraute hätten beantworten können. De facto war er lange auf sich gestellt und musste die Herausforderungen allein meistern.

Seine Finanzen überprüft er täglich, «sie sind das A und O für ein funktionierendes Geschäft.» Nur ans Geld zu denken, bringe aber niemanden weiter, ist Dreifuss überzeugt: «Zum Erfolg braucht es Leidenschaft, eine Vision und vor allem Geduld.» Enttäuschungen müsse man schnell abhaken, zudem die Einnahmen permanent reinvestieren. Und dann bereit sein, wenn das nötige Quäntchen Glück an die Tür klopft. Bei ihm war das unter anderem der italienische Lederband-Hersteller, den er auf einer Reise per Zufall entdeckte. Nachdem er jahrelang erfolglos nach dem richtigen Lieferanten gesucht hatte.

Nun, ein paar Jahre vor der Pensionierung, kann Daniel Dreifuss auf ein erfolgreiches Geschäft und ein grosses Netzwerk blicken. Er habe bei null angefangen, sagt der Uhrmacher, aber nun gehe sein Werk mit seinen beiden Söhnen weiter. Dass diese an seinen Erfahrungen anknüpfen können, macht ihn stolz. Und weil es eben um viel mehr geht als um das schnelle Geld, hat er auch vor den aktuellen Entwicklungen keine Angst. Zwar sind Luxusprodukte wie edle Uhren etwas vom Ersten, worauf die Menschen in einer Rezession verzichten, aber seiner Gelassenheit und der Leidenschaft für seine Arbeit kann ihm die Krise nichts anhaben.

Träumen, aber realistisch

Einig sind sich Karin Ettlin und Daniel Dreifuss darin, dass sich Mut und Durchhaltewillen auszahlen. Statt sich zu kannibalisieren und auf Biegen und Brechen jeden Auftrag auszuführen, soll man lieber das tun, was einen wirklich erfüllt. Der Preis des Produkts bestimmt den Wert der eigenen Arbeit. Ziele dürfen dabei durchaus hochgesteckt werden. Oder, wie Karin Ettlin-Huser es formuliert: «Träumen sollte man unbedingt – solange man mit den Füssen auf festem Boden steht.»

«Zum Erfolg braucht es Leidenschaft, eine Vision und vor allem Geduld.»
Daniel Dreifuss

Wer die folgenden Fähigkeiten und Eigenschaften mit sich bringt, hat in einer Selbständigkeit gute Chancen:

  • Unternehmerisches Denken
  • Risikofreudigkeit
  • Fachliches Können
  • Branchenkenntnisse
  • Führungserfahrung
  • Gesundheit
  • Idealismus, Herzblut
  • Belastbarkeit
  • Betriebswirtschaftliches Wissen
  • Verkäuferisches Flair
  • Gutes Beziehungsnetz
  • Kapital
  • Starke Geschäftsidee

Erstmals veröffentlicht am 10.02.2021, aktualisiert: 14.01.2022

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Autorin

  • Rahel Lüönd

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