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«Wie bleiben die Berufe attraktiv?»

Michael Kraft, Leiter Bildung beim Kaufmännischen Verband, über die zentralen Fragen in der Berufsbildung, wie die Corona-Pandemie die Weiterbildung verändert und welche Kompetenzen gefragt sind.

Die höhere Berufsbildung bildet zusammen mit den Fachhochschulen und den Universitäten die Tertiärstufe des schweizerischen Bildungssystems. Mit einer eidgenössischen Prüfung oder einem Diplom einer höheren Fachschule (HF) vertieft man sein Fachwissen und seine Kompetenzen nach der Berufslehre und erwirbt eine Spezialisierung.

Michael Kraft, welche Prüfungen und Schulen umfasst die höhere Berufsbildung?

Die Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen fokussieren auf eine arbeitsmarktnahe Spezialisierung in einem Bereich – also für die kaufmännische Ausbildung etwa HR, Marketing, Kommunikation oder Finanz- und Rechnungswesen. Die Prüfungen führen zu einem eidgenössischen Fachausweis oder einem eidgenössischen Diplom.

Andererseits gibt es die höheren Fachschulen, welche etwas generalistischer und schulischer orientiert und als Studiengänge angelegt sind. Dort lauten die Titel dann zum Beispiel Betriebswirtschafterin HF oder Wirtschaftsinformatiker HF.

Die Prüfungsordnungen der Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen sind durch den Bund genehmigt. Bei den höheren Fachschulen sind die jeweiligen Studiengänge einer Institution, wie etwa des Schweizerischen Instituts für Betriebsökonomie (SIB), anerkannt. Beide Abschlüsse sind also eidgenössisch geregelt – ein klares Gütesiegel für diese Weiterbildungen.

Die höhere Berufsbildung ist geprägt durch ihre Trägerschaften und die Organisationen der Arbeitswelt. Das schafft eine starke Nähe zum Arbeitsmarkt: ein weiteres, grosses Plus.

Wie entwickelt sich die höhere Berufsbildung?
Was uns alle beschäftigt ist: Wohin steuern die einzelnen Berufe? Was muss man tun, damit die Berufe attraktiv bleiben? Das ist wichtig für jene, die sich weiterbilden möchten, aber auch für Arbeitgeber, die Personen mit den entsprechenden Fähigkeiten und Spezialisierungen einstellen möchten. Für beide Parteien muss klar sein, was man mit einem Abschluss kann.

«Die Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen fokussieren auf eine arbeitsmarktnahe Spezialisierung in einem Bereich – also für die kaufmännische Ausbildung etwa HR, Marketing, Kommunikation oder Finanz- und Rechnungswesen.»
Michael Kraft

Was sind die grössten Herausforderungen?

In unserer sich stark wandelnden Arbeitswelt müssen sich auch die Weiterbildungen ständig weiterentwickeln. Mit dem vom Arbeitsmarkt geforderten Tempo Schritt zu halten und neue Kompetenzen zu vermitteln ist eine grosse Herausforderung, vor allem mittel- und langfristig. Genau deswegen befinden sich die meisten Berufsbilder irgendwo in einem Reformprozess. Die Schwierigkeit dabei ist, dass es nicht möglich ist, künftige Entwicklungen treffsicher vorauszusagen. Es lassen sich einzig Prognosen aufstellen.

Somit hinken die Reformen den tatsächlichen Entwicklungen in der Arbeitswelt immer etwas hinterher und der politische Rahmen verlangsamt die Prozesse zusätzlich. Gleichzeitig verhindert dies Schnellschüsse: Eine Stärke der höheren Berufsbildung ist ihre Stabilität und Beständigkeit, die Abschlüsse sind etwas wert. In vielen Aus- und Weiterbildungen wird deshalb versucht, mehr Flexibilität innerhalb eines Bildungsgangs zu ermöglichen: So kann man zwar auf aktuelle Trends eingehen, das eigentliche Gerüst der Ausbildung bleibt jedoch stabil und nachhaltig.

Was die höhere Berufsbildung ebenfalls beschäftigt ist natürlich auch, wie die Abschlüsse wahrgenommen werden und wie sie im In- und Ausland anerkannt werden. So behandelt beispielsweise ein aktueller Vorstoss im Nationalrat das Thema englische Titel.

Welche Kompetenzen werden in Zukunft gefragt sein?

Wie in der kaufmännischen Grundbildung hat auch die höhere Berufsbildung den Anspruch, Handlungskompetenzen zu vermitteln. Dabei sind gewisse Rahmenbedingungen vom Bund vorgegeben. Und im Rahmen der Reformen in den diversen Berufen überlegt man sich: Was muss man im Berufsalltag können, wie wird ausgebildet, wie wird geprüft? Es geht auch in der höheren Berufsbildung längst nicht mehr alleine um Fachwissen. Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen sind genauso wichtig. Die Prüfungsformen werden entsprechend angepasst, man erstellt ein Portfolio oder muss sich in Handlungssimulationen beweisen.

Eine Spezialisierung ist aber ganz klar weiterhin gewollt. Bei den Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen vielleicht noch etwa stärker. Man hat ein klares Berufsbild vor Augen, etwa die Marketingleiterin oder den HR-Fachmann.

Was macht die Organisation dualstark?

dualstark ist die Konferenz der eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen. Sie vertritt die Interessen der höheren Berufsbildung und engagiert sich für eine Stärkung jener Prüfungen auf dem schweizerischen und internationalen Bildungs- und Arbeitsmarkt.

Ein Ziel ist der Austausch unter den Trägerschaften. Denn viele sehen sich mit denselben Herausforderungen konfrontiert: Sie sind im Reformprozess, müssen wegen der Corona-Pandemie umplanen oder kalkulieren, welche Gelder sie vom Bund erhalten. Austausch und Weiterbildung kombinieren wir jedes Jahr in einer Herbsttagung, die 2020 gänzlich online zum Thema «Herausforderungen und Lösungen in der Corona-Zeit» durchgeführt wurde. Zudem organisieren wir uns als gemeinsame Interessensvertretung gegenüber dem Bund.

«Genau deswegen befinden sich die meisten Berufsbilder irgendwo in einem Reformprozess. Die Schwierigkeit dabei ist, dass es nicht möglich ist, künftige Entwicklungen treffsicher vorauszusagen. Es lassen sich einzig Prognosen aufstellen.»
Michael Kraft

Wer soll sich weiterbilden und wann?

Es klingt fast schon etwas abgedroschen: Jede und jeder und ständig! Die meisten Personen in unserem Berufsfeld machen im Alter von 20 bis 30 Jahren eine erste Weiterbildung. Dann kann man ein paar Jahre Berufserfahrung nachweisen und wird für die Berufsprüfungen oder für HF-Studiengänge zugelassen. Eidgenössische Diplome sind spezialisierter, dort liegt das Durchschnittalter bei 30-40 Jahren. Weiterbildungen sind jedoch nicht nur etwas für Menschen in der ersten Hälfte des Berufslebens. Es spricht gar nichts dagegen, auch Ende 50 noch einen Zertifikatskurs zu beginnen, im Gegenteil. Wichtig scheint mir aber auch zu betonen, dass wir nicht nur durch formale Weiterbildungen lernen. Das lebenslange Lernen ist umfassend zu verstehen: Wir lernen ebenso on the job oder in ausserberuflichen Engagements und Projekten.

Wie gehen die Ausbildungen mit der Zeit?

Der Weiterbildungsmarkt ist frei und umkämpft. Es gibt Bildungsinstitutionen, die innovativ sind und neue Formate und Lernformen testen und andere, die eher traditioneller unterwegs sind. Einfluss nehmen können die Trägerschaften über die Prüfungen bzw. die Rahmenlehrpläne. Richtet man Prüfungen handlungskompetenzorientiert aus, indem zum Beispiel ein Portfolio beurteilt wird, muss auch der Unterricht, welcher darauf vorbereitet, anders gestaltet sein. Hier ist es wichtig, dass sich die Trägerschaften durch andere Berufe inspirieren lassen und Inputs von aussen zulassen – man kann nie alles alleine abdecken.

«Weiterbildungen sind jedoch nicht nur etwas für Menschen in der ersten Hälfte des Berufslebens. Es spricht gar nichts dagegen, auch Ende 50 noch einen Zertifikatskurs zu beginnen, im Gegenteil.»
Michael Kraft

Wie verändert sich die Weiterbildung im Zuge der Corona-Krise?

2020 lag der Fokus wegen Corona weniger auf Innovation als darauf, den Alltag zu bewältigen: Prüfungen mussten verschoben, Schutzkonzepte umgesetzt und der Unterricht neugestaltet werden.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – passiert in den Schulen gerade extrem viel. Sie mussten innert kürzester Zeit Dinge umsetzen, die vorher undenkbar waren. Es gab eine wahre digitale Disruption und viel learning by doing. Neue Tools wurden in kürzester Zeit eingeführt, Lehrpersonen mussten von einem Tag auf den anderen auf digital umstellen und den Unterricht anders gestalten. Man musste in zahlreichen Feuerwehrübungen Lösungen finden. Hier höre ich viel Begeisterung vonseiten Schulleitungen und Lehrpersonen darüber, was man erreicht hat.

Nun gilt es zu prüfen, was man mitnimmt und wie man digital und offline kombiniert. Als Schüler oder Studentin ist es extrem anstrengend, wenn man den ganzen Tag in Videokonferenzen arbeitet und Besprechungen abhält, und sich abends dann nochmals hinsetzen und via Video lernen muss.

Ich denke, wir sind jetzt in einer Übergangsphase. Es braucht etwas Abstand und Pause, um wieder aufzutanken, kreativ ins neue Jahr zu starten und dann Angebote weiterzuentwickeln und zu formalisieren.

Was hast du punkto Digitalisierung gelernt?

Mein Team und ich haben gelernt, wie man Online-Tagungen organisiert und durchführt. Eine Tagung lebt normalerweise vom direkten Austausch. Online kommt das Networking tatsächlich zu kurz, aber digitale Events haben andere Vorteile. Werden alle Inhalte nur digital präsentiert, muss man sich viel stärker überlegen, wie man die Inhalte aufbereitet und vermittelt, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dranbleiben.

Ich lernte auch etwas mehr Gelassenheit. Der Digitalisierungsschub durch Corona hat uns vor Augen geführt, wie stark wir von Tools und Technologien abhängig sind und wie dicht unsere Agenden getaktet sind. Wenn etwas dann nicht so funktioniert wie geplant, hilft schlicht nur Gelassenheit! 

Mein Team und ich stellten unsere Kommunikation zu Beginn der ersten Corona-Welle schnell um. Müssen Dinge diskutiert und entschieden werden, braucht es das Telefon oder den Video-Call. Dann haben wir gelernt – und lernen immer noch – wie wir je nach Ziel und Bedürfnis der Kommunikation die Tools gezielter einsetzen können. Ein Chat eignet sich nicht für komplexe Fragestellungen aber ist effizient, um kurze Ja-Nein-Fragen zu beantworten. Um eine Präsentation zu besprechen braucht man das Screensharing, und offizielle Regelungen müssen immer noch per E-Mail bestätigt werden. Hier merkt man auch rasch, welche Angewohnheiten man selber hat und kann diese ein bisschen challengen!

Veröffentlicht am: 27.01.2021

«Der Digitalisierungsschub durch Corona hat uns vor Augen geführt, wie stark wir von Tools und Technologien abhängig sind und wie dicht unsere Agenden getaktet sind. Wenn etwas dann nicht so funktioniert wie geplant, hilft schlicht nur Gelassenheit!»
Michael Kraft

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Autorin

  • Sibylle Zumstein

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