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«Wir sollten unsere Stärken kennen»

    Wer sich verändern will, braucht eine Vorstellung der eigenen Zukunft. Zu hoch gesteckte Ziele können überfordern, sagt Norina Peier.

    kfmv: Sie begleiten Organisationen und Privatpersonen bei Veränderungsprozessen. Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?

    Norina Peier: Unternehmen und Organisationen möchten sich weiterentwickeln. Sie wollen Ziele, Strategien und Massnahmen erarbeiten oder in der Teamentwicklung einen Schritt weiterkommen. Private Kunden befinden sich häufig in einer Umbruchphase, wenn sie zu mir kommen. Sie sind zum Beispiel unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation, sind aber unsicher, wie sie einen Stellenwechsel anpacken sollen. Andere möchten lernen, für eigene Anliegen einzustehen. In Beratungen und Workshops zu Auftrittskompetenz geht es häufig um Selbstsicherheit.

    Wie unterstützen Sie Menschen?

    Wer sich verändern will, braucht eine Vision, eine Vorstellung der eigenen Zukunft. Ich versuche, gemeinsam mit meinen Kundinnen und Kunden Ziele und Szenarien zu erarbeiten. Wichtig ist, dass man nicht einfach nur wegwill, also eine unangenehme Situation hinter sich lässt, sondern dass man sich auf etwas hinbewegt. Es braucht gleichsam eine Kraft, die einen zieht. Erst dann gelingt Veränderung. Viele verharren in einer unerträglichen Situation, solange sie keine Alternative sehen. Wird eine Alternative sichtbar, ist Veränderung viel einfacher.

    Wie funktioniert die Zielfindung? 

    Ich arbeite mit Fragen. Was tun Sie gerne? Was dürfte sich auf keinen Fall verändern? Was sind Ihre Stärken? Wann sind Sie im Flow? Was haben Sie als Kind bereits gerne getan? Nehmen wir an, wir treffen uns in fünf Jahren wieder und Sie haben das gefunden, was Sie gesucht haben, wie sieht Ihr Alltag dann aus? Wir arbeiten mit Phantasien und konkretisieren auf diese Weise Ziele. Bei diesem Prozess entdecken die Menschen möglicherweise Entscheidungsalternativen. Zum Beispiel: Ich muss nicht gleich den Job schmeissen, ich kann ja Teilzeit arbeiten und daneben etwas Neues aufbauen. Es braucht nicht immer Radikallösungen. Oder sie fassen den Mut, den Schritt zu wagen, zum Beispiel zu kündigen, sich von der Partnerin zu trennen, sich von Altem, was schon lange nicht mehr stimmig war, zu lösen. Dadurch schaffen sie Raum und Zeit und finden heraus, wie sie die Zukunft gestalten möchten.

    Was ist hinderlich? 

    Viele sind defizitorientiert. Sie kennen ihre Schwächen und haben Selbstzweifel. Ihre Stärken kennen sie nicht. Sie fokussieren auf das Negative, was bei Veränderungswünschen schlecht ist. Sie haben dauernd vor Augen, weshalb ihr Plan scheitern wird. Ich begegne immer wieder Menschen, die lieber im Gewohnten verharren – auch wenn das nicht stimmig ist –, als sich auf Neues einzulassen. Wer Neues ausprobiert, weiss nicht, was entsteht. Sich verändern heisst, sich auf Ungewisses einlassen. Natürlich kann das auch Angst machen.

    Womit hat die Fokussierung auf Defizite zu tun?

    Wir sind getrieben, uns unablässig zu verbessern. Die Selbstoptimierung führt dazu, dass wir uns auf Mängel konzentrieren. Wo ein Mangel ist, kann man nachbessern. Eine lösungsorientierte Sichtweise würde unsere Ressourcen ins Zentrum rücken. Ich kann dies und das, bin deshalb bestens gerüstet für eine Veränderung.

    Haben Sie Ähnliches erlebt?

    Ich habe in jugendlichen Jahren Erfahrungen pauschalisiert. Bei meiner Erstausbildung zur Schauspielerin hat mich Kritik viel grundsätzlicher getroffen. Heute gehe ich mit Kritik differenziert um und sie stellt mich nicht in Frage. Man kann Dinge, bei denen man unsicher ist, verbessern, gezielt anpacken und gleichzeitig sich bewusst sein, was man alles gut kann. Diese differenzierte Haltung versuche ich bei meinen Kunden
    zu stärken.

    «Die Selbstoptimierung führt dazu, dass wir auf Mängel fokussieren.»

    Welche Rolle spielt Scheitern bei Veränderungen?

    Man sollte Scheitern nicht überbewerten – und sich, wenn etwas misslingt, nicht grundsätzlich in Frage stellen. Scheitern heisst auch: Ich probe Szenen wie im Theater. Ich erlaube mir, nicht auf Anhieb zu reüssieren. Im Übrigen hat man Einfluss auf Erfolg und Misserfolg, je nachdem, welche Ziele man sich setzt. Sie sollten zu bewältigen sein, denn unrealistische Ziele überfordern die Menschen.

    Wie wichtig ist Geduld?

    Wer sie nicht aufbringt, hat es schwierig beim Verwirklichen eigener Pläne. Ich mache regelmässig die Erfahrung, dass ich besonders geduldig sein muss, wenn ich Neues anpacke. Bei Routinetätigkeiten bin ich schnell, aber wenn ich mich einer komplett neuen Aufgabe zuwende, dann benötige ich meist viel Zeit. Kommt hinzu, dass ich nie genau weiss, wie es am Schluss herauskommt. Ich stecke Energie in eine Sache, es kann etwas entstehen, von dem ich möglicherweise überrascht werde.

    Sie coachen Menschen in Auftrittskompetenz. Kann man das lernen?

    Ja, es ist ein Handwerk. Auch hier geht es zuerst einmal um Selbstbewusstsein. Ich unterstütze die Menschen darin, den eigenen Auftritt zu reflektieren, genau hinzuschauen: Was kommt an? Wann funktioniert der Auftritt? Welche Vorbereitung brauche ich? Wie hole ich mein Publikum ab? Ist meine Präsentation adressatengerecht? Dann sollte man üben, üben und nochmals üben, damit sich Routine einstellt. In meinen Workshops halten die Teilnehmenden mehrmals die gleiche Präsentation und probieren Verschiedenes aus, bis sie sich wohlfühlen und sich sogar auf ihren Auftritt freuen. 

    Welche drei Punkte sind unerlässlich für einen gelungenen Auftritt?

    Das Wichtigste ist die Freude und ein Lächeln im Gesicht. Ich muss von dem, was ich präsentiere, überzeugt sein, muss dahinterstehen – mit meinem ganzen Wesen. Die Zuhörer merken, ob ich einen Auftritt einfach absolviere oder mit Leidenschaft vortrage. Dann sollte ich eine Beziehung zum Publikum aufbauen, mit den Menschen in Verbindung stehen. Schliesslich muss ich gut vorbereitet, sicher im Stoff sein.

    Freie Rede oder nahe am Manuskript?

    Ich darf alles aufschreiben, aber ich sollte frei vortragen, das ist ganz wichtig. Wie man dahin kommt, ist eigentlich egal. Redner arbeiten je nach Typ mit Präsentationen, Kärtchen oder einem ausführlichen Manuskript.

    Wie bereiten Sie sich vor? 

    Ich arbeite mit Stichworten und überlege mir einen roten Faden. Einstieg und Schluss sind ebenfalls vorbereitet. Wenn ich in einer Fremdsprache präsentiere, verfasse ich ein ausführliches Manuskript.

    Wie kann man die Beziehung zum Publikum aufbauen?

    Es hilft, wenn ich mich vor dem Auftritt mit einzelnen Zuhörern unterhalte. So ist man sich schon ein wenig vertraut. Zur Beziehung gehören auch Blickkontakt, Humor oder der Austausch mit dem Publikum während des Referats. Wichtig ist auch die Körpersprache. Zu Beginn eines Auftritts sage ich meist nichts, bin einfach mit meinem ganzen Körper präsent.

    Wie soll man mit Pannen wie zum Beispiel einem Blackout umgehen?

    Pannen sind nicht schlimm, sie dürfen passieren. Schlimm ist eine Panne erst, wenn ich sie als Katastrophe bewerte und mich das dann noch mehr aus dem Konzept wirft. Man sollte Aussetzer gleich thematisieren: «Wo war ich? Ich habe den Faden verloren, helfen Sie mir.» Das Publikum ist der Rednerin gegenüber meist wohlgesinnt.

    Ihre grösste Panne?

    Ich hatte während eines längeren Referats den Hosenladen offen. Erst die nachfolgende Referentin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich habe es überlebt.

    Was kann man gegen Nervosität tun?

    Bewusst atmen, sich Zeit nehmen für die Vorbereitung, frühzeitig im Raum sein, sich gut zureden: «Ich schaffe das» Bewegung und Lockerungsübungen helfen, die hohe Körperspannung der Nervosität abzubauen. Ich habe von einem Speaker gehört, der vor seinen Auftritten einige Minuten auf einem Trampolin springt. Nervosität gehört zum Präsentieren. Sie hilft uns, auf die bevorstehende Herausforderung zu fokussieren. Meist verschwindet sie nach wenigen Minuten. Es geht nicht darum, die Nervosität wegzubringen, sondern einen Umgang mit ihr zu finden.

    Wie kommt Ihnen Ihre Ausbildung als Schauspielerin bei Workshops zugute?

    Ich bin mir des Zusammenhangs zwischen innen und aussen durchaus bewusst. Was ich wahrnehme, wie ich mich fühle, das findet im Körper Ausdruck. Zudem fällt es mir einfach, Dinge vorzuzeigen. Und ich habe ein Rollenbewusstsein. Wichtig ist beim Präsentieren die Authentizität, sich zu entscheiden, was man von sich zeigen und einbringen möchte. Ich spiele nichts vor, aber hebe je nach Kontext verschiedene Facetten meiner Persönlichkeit hervor. 

    «Die Zuhörer merken, ob ich einen Auftritt einfach absolviere oder mit Leidenschaft vortrage.»

    Zur Person

    1. ist Gründerin und Inhaberin der gleichnamigen Firma für Organisationsentwicklung. Nach ihrer Ausbildung zur Schauspielerin an der Zürcher Hochschule der Künste hat sie mehrere Jahre in der freien Theaterszene gearbeitet. Später wechselte sie als Coach in die Privatwirtschaft und studierte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Psychologie mit Vertiefung in Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie ist Co-Autorin der vor kurzem erschienen Publikation «Jeder Schritt ein Auftritt. Überzeugendes Auftreten kann man lernen».
      norinapeier.ch

    Autor

    • Rolf Murbach

    Beratungen