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Flexibles Arbeiten ist in der Schweiz gesetzlich nicht geregelt. Nachdem sich vor allem Homeoffice in den letzten Jahren stark ausgebreitet hat, bedingt auch durch die Corona-Pandemie, braucht es eine Revision der gesetzlichen Grundlagen, sagt Ursula Häfliger, Geschäftsführerin der plattform und Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband. Insbesondere der Gesundheitsschutz und die Arbeitszeiten müssen klar definiert werden. Nur so können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmende künftig auf gemeinsame Grundlagen berufen, um neue Arbeitsformen ausüben und gleichermassen davon profitieren zu können.

Homeoffice hat sich in der Arbeitswelt im Zuge der Corona-Pandemie durchgesetzt. Viele Arbeitgeber und Arbeitnehmende wollen daran festhalten. Was sind die Erkenntnisse?

Die Verbreitung und Akzeptanz von Homeoffice haben tatsächlich stark zugenommen. Eine Mitglieder-Umfrage der plattform hat viele Punkte, die früher als problematisch betrachtet wurden, mittlerweile identifiziert und gezeigt, dass diese lösbar sind: Präsenzzeiten, Erreichbarkeit, Abgrenzung zum Privatleben. Zudem haben wir die Erfahrung gemacht, dass die technischen Voraussetzungen fürs Homeoffice in der Regel keine unüberwindbare Hürde mehr darstellen, sofern sie klar zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer geregelt werden.

Nicht nur Arbeitnehmende profitieren von flexiblen Arbeitsformen.

Das ist richtig. Arbeitgeber profitieren von der erhöhten Effizienz und Motivation ihrer Mitarbeitenden. Zudem ermöglichen Remote Work und virtuelle Meetings das Einsparen von Reisezeit, so dass mehr Zeit fürs produktive Arbeiten bleibt. Wenn Unternehmen nun auch langfristig auf Homeoffice setzen, können sie ihren Raumbedarf reduzieren, wodurch sie Mietkosten sparen.

Was bedeuten die Veränderungen für die gesetzlichen Grundlagen?

Wir müssen die bestehende rechtliche Lage neu beurteilen. Insbesondere der Gesundheitsschutz, die Arbeitszeit und die für das Homeoffice notwendigen Rahmenbedingungen sollten im Gesetz berücksichtigt werden. Homeoffice ist bis jetzt in keinem Gesetz geregelt – weder im Arbeitsgesetz, im Obligationenrecht oder im Heimarbeitsgesetz. Die Besonderheit von Homeoffice liegt darin, dass die Arbeit zeitlich und örtlich flexibel ausgeführt werden kann. Meist arbeiten die Leute zu Hause, im Betrieb und unterwegs. Aus diesem Grund sollte man die relevanten Gesetzesartikel für örtlich flexibles Arbeiten ergänzen. Denkbar ist auch, dass das Arbeitsgesetz bezüglich flexibler Arbeitszeiten grundlegend überarbeitet wird. Die Vereinfachung und Flexibilisierung würden dann für alle Arbeitnehmenden gelten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb oder ausserhalb tätig sind.

Wird nach einer allfälligen Gesetzesrevision ein Arbeitgeber bzw. ein Arbeitnehmender Homeoffice einfordern können?

Bereits heute ist geregelt, dass der Arbeitgeber Homeoffice nicht einseitig einfordern kann. Die Möglichkeit von Homeoffice muss offen diskutiert und gemeinsam definiert werden – nicht überall und nicht für jede/n macht Remote Work Sinn. Auch bei einem revidierten Arbeitsgesetz sollte man darauf achten: Es braucht einvernehmlich vertraglich geregelte Rahmenbedingungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, z.B. im Arbeitsvertrag oder in den Anstellungsbedingungen.

Wie müsste sich der Gesundheitsschutz verändern?

Die Forschung beschäftigt sich seit langem damit, welche Arbeitsbedingungen sich wie auf die Gesundheit der Berufsleute auswirken. Früher stand die physische Gesundheit im Zentrum, in den letzten Jahren sind psychosoziale Aspekte in den Vordergrund gerückt. Wenn wir an Homeoffice denken, sollten wir die folgenden Gesundheitsaspekte berücksichtigen: Auswirkungen auf den Bewegungsapparat, Stress, Herz-Kreislauf-Beschwerden, aber auch die psychische Gesundheit, bedingt zum Beispiel durch Gefühle von Isolation, mangelnde Work-Life-Balance oder unzureichende Arbeitsorganisation. Allerdings haben Studien gezeigt, dass die positiven Auswirkungen von Telearbeit auf die Gesundheit überwiegen.

«Arbeitgeber profitieren von der erhöhten Effizienz und Motivation ihrer Mitarbeitenden.»
Ursula Häfliger

Homeoffice kann zusätzliche Ressourcen freisetzen.

Ja. Autonomie sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit kompensieren häufig Stressoren wie längere Arbeitszeiten oder bessere Erreichbarkeit. Allerdings darf man nicht vergessen, dass Homeoffice nicht für alle geeignet ist. Es braucht eine passende Infrastruktur zu Hause, einen ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz mit Tageslicht. Und man sollte ungestört arbeiten können. Hinzu kommen persönliche Präferenzen. Es gibt Menschen, die eine klare Trennung zwischen Arbeitsplatz und Wohnung wünschen und Rituale wie Pendeln brauchen.

Was gehört ebenfalls zu den persönlichen Merkmalen, die das Arbeiten im Homeoffice erleichtern?

Relevant sind Selbstmotivation, Selbstständigkeit, Zeitmanagement, Arbeitsorganisation, keine Mühe mit temporärer Isolation, fokussiertes Arbeiten sowie Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Wichtige Einflussfaktoren für erfolgreiches flexibles Arbeiten – im Betrieb und ausserhalb – sind zudem: ein bewusster Umgang mit den Arbeits- und Ruhezeiten sowie Pausen respektive Unterbrechungen der Ruhezeit. Diese Einflussfaktoren müssten in einem revidierten Arbeitsgesetz klar und flexibler geregelt sein.

Weshalb sind diese Einflussfaktoren so wichtig?

Lange, angeordnete Arbeitszeiten können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Schichtarbeit, Nachtarbeit und Wochenendarbeit beeinträchtigen die Erholung von Körper und Geist und stören den Schlaf. Das greift die psychische Gesundheit an und beeinträchtigt die Aufmerksamkeit, was wiederum eine erhöhte Unfallgefahr bedeutet. Wissensarbeiter haben es diesbezüglich besser. Dank der hohen Arbeitszeitautonomie verfügen sie über mehr Ressourcen zur Stressreduktion. Und: Wer die Arbeitszeit nicht erfassen muss, Leute in Führungspositionen zum Beispiel, fühlt sich tendenziell weniger gestresst als Arbeitskräfte, die ihre Stunden genau eintragen müssen. Allerdings führt die Vertrauensarbeitszeit häufig zu längeren Arbeitszeiten. Die Abgrenzung ist offenbar schwieriger.

Flexibles Arbeiten im Homeoffice wirkt sich nicht grundsätzlich negativ auf die Gesundheit aus.

Nein. Wichtig sind ein individuelles Gesundheitsmanagement und geeignete Rahmenbedingungen zu Hause. Das individuelle Gesundheitsmanagement soll gewährleisten, dass Angestellte ihre Arbeit möglichst frei gestalten und Erholung einplanen können.

Was wünschen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?

Umfragen, auch diejenige des Kaufmännischen Verbands von 2017, haben gezeigt, dass höher Qualifizierte eine grössere Arbeitszeitautonomie geniessen. Sie sind zufriedener als Arbeitnehmer, die ein engeres Arbeitszeitkorsett haben. Jüngere Befragte und Kadermitarbeitende wünschen sich eher mehr örtliche Flexibilität, während Vertreter von tieferen Funktionsstufen, die ohnehin weniger frei über ihre Zeit verfügen können, sich mehr zeitliche Flexibilität wünschen. Grundsätzlich sind Leute bereit, über die betriebliche Arbeitszeit hinaus zu arbeiten, in der Regel aber nicht mehr als 52 Stunden. Arbeitszeiterfassung wird geschätzt, Sonntagsarbeit ist meist unerwünscht.

Was hat die Mitgliederumfrage der plattform gezeigt?

Im Mai 2020 hat die plattform die erwerbstätigen Mitglieder ihrer Partner-Verbände zu den Arbeitsbedingungen im Homeoffice befragt. Die Resultate bestätigen, was auch andere Studien ergeben haben: Homeoffice ist bei Arbeitskräften in Dienstleistungs- und Wissensberufen beliebt. 96% der Befragten gaben an, gut von zu Hause aus arbeiten zu können, und 52% möchten künftig mehr im Homeoffice tätig sein. 45% wünschen sich zudem mehr virtuelle Meetings. Die Umfrage hat auch deutlich gemacht, dass flexibles Arbeiten neue gesetzliche Regelungen erfordert und folgende Fragen klären muss: Wie steht es um das Gesundheitsmanagement zu Hause? Wer zahlt die Infrastruktur im Homeoffice? Nur 25% der Arbeitgeber leisteten zum Beispiel einen materiellen oder finanziellen Beitrag an die Kosten, die dem Arbeitnehmer im Homeoffice erwachsen sind.

30.09.2021

Autonomie sowie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit kompensieren häufig Stressoren wie längere Arbeitszeiten oder bessere Erreichbarkeit.
  1. Daniel Jositsch, Zürcher Ständerat und Präsident des Kaufmännischen Verbands Schweiz, hat im Juni 2021 eine Motion zur Anpassung der arbeitsgesetzlichen Grundlagen an die gelebte Arbeitswelt eingereicht. Damit soll für Arbeitnehmende und Arbeitgeber Rechtssicherheit geschaffen werden. Der Vorschlag basiert auf einem Verständnis von Autonomie und gegenseitigem Vertrauen zwischen Arbeitgebern und ihren Mitarbeitenden. Er beinhaltet Eckpunkte einer Homeoffice-Vereinbarung, ohne deren Ausgestaltung final vorzuschreiben beziehungsweise zu definieren. Neben Zeit-Aspekten soll auch ein spezifisch auf das Homeoffice ausgerichteter Schutz der Arbeitnehmenden definiert werden.

  2. Im August 2021 haben zahlreiche Jugendliche ihre Ausbildung begonnen und dabei einen massiv veränderten Arbeitsalltag angetroffen. Denn im Zuge der Corona-Pandemie hat sich das Arbeiten im Homeoffice branchenübergreifend etabliert. Erstlehrjahrlernende stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung: Sie sind am Anfang ihrer Ausbildung und konnten noch keine Berufserfahrung – weder physisch noch remote – sammeln. 

    Eine neue Umfrage des Kaufmännischen Verbands Schweiz, welche über 700 Berufs- und Praxisbildner/innen aus KV-Lehrbetrieben zu den Ausbildungsbedingungen während der Corona-Pandemie befragt hat, zeigt, dass auch Ausbildner/innen die Fernausbildung während des Lockdowns als besonders schwierig wahrgenommen haben und mehr Unterstützung benötigen. Lernende und ihre Ausbildner/innen müssen in Zukunft besser und vor allem systematisch auf neue Arbeitsformen vorbereitet werden.

    Dafür braucht es neue Strategien, Konzepte und Regeln für die Berufslehre. Entsprechend fordert der Kaufmännische Verband Schweiz den Bundesrat auf, Bericht darüber zu erstatten, ob angesichts der sich verändernden Arbeitsrealität von Ausbildungsbetrieben eine Anpassung des Arbeitsgesetzes sowie der entsprechenden Verordnungen angesagt ist; insbesondere unter Art. 1 lit. der Verordnung des WBF über Gefährliche Arbeiten für Jugendliche ab 15 Jahren. Ein besonderes Augenmerk gilt Lernenden, die in Branchen und Unternehmen arbeiten, in denen flexible Arbeitsformen auch nach der Corona-Pandemie erhalten bleiben oder gefördert werden. Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbands Schweiz, hat eine entsprechende Interpellation in der Herbstsession eingereicht.

    Eine entsprechende Interpellation wird demnächst im Parlament eingereicht.

    Das aktualisierte Merkblatt «Homeoffice für KV-Lernende» liefert ausserdem wichtige Informationen und Praxistipps. Es steht Lernenden sowie Berufs- und Praxisbildner/innen kostenlos zur Verfügung.

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Autor

  • Rolf Murbach

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