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Der heimliche Blick ins Homeoffice

Überwachung am Arbeitsplatz wird technisch immer einfacher, auch im Büro zu Hause. Was ist erlaubt – und was überhaupt sinnvoll?

Mit dem Einzug von Homeoffice in unseren Arbeitsalltag verlieren Arbeitgebende ein Stück natürliche Kontrolle. Arbeiten meine Mitarbeitenden gleich viel wie im Büro? Stimmt die Qualität der Arbeiten? Oder machen sie sich auf meine Kosten einen gemütlichen Tag? Solche und weitere Unsicherheiten begleiten manche Führungskräfte und Unternehmer:innen mit zunehmender räumlicher Distanz zu ihrem Team. Während sich die Produktivität bei Wartungsdiensten, im Verkauf oder bei Callcentern noch relativ gut überprüfen lässt, ist es in kaufmännischen Berufen ungleich schwieriger. Wie schnell eine Treuhänderin die Buchhaltung eines Unternehmens erledigt hat, hängt von deren Komplexität ab und lässt sich nicht so genau beziffern. Und wie lange braucht wohl der Marketingfachmann, um einen tollen Event zu organisieren?

Mausbewegungen tracken oder Bildschirm filmen

Moderne Überwachungstools helfen Arbeitgebenden scheinbar aus ihrem Dilemma. Sie sind beispielsweise imstande, die Tastenanschläge zu zählen, Mausbewegungen zu tracken oder den Bildschirm zu filmen. Solche Werkzeuge sollen ans Licht bringen, ob Mitarbeitende auch im Homeoffice fleissig sind. Es lässt sich wahlweise messen, wie viele E-Mails die Mitarbeitenden an einem Arbeitstag verschicken, wie lange sie in Telefongesprächen sind oder ob sie zwischendurch im Internet surfen. Mit künstlicher Intelligenz gewappnete Software wie Enaible spucken aus einer Vielzahl gesammelter Daten gar Produktivitätswerte aus, die in permanentem Feedback zur eigenen Leistung münden.

Überwachung ist verboten

Diese vermeintlich einfachen Lösungen haben aber natürlich eine Kehrseite. Sie sind ethisch fragwürdig, schiessen oft am Ziel vorbei und sind nicht zuletzt rechtlich unzulässig. Beginnen wir bei der Gesetzeslage, die in der Schweiz grundsätzlich ziemlich eindeutig ist. Die Überwachung von Mitarbeitenden regelt der Artikel 26 in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (Verordnungen dienen dazu, Gesetze detaillierter auszuführen). Der Artikel besagt, dass die Überwachung des Verhaltens von Mitarbeitenden ausdrücklich verboten ist. Auch das Einverständnis der Belegschaft reicht nicht aus, um sie zu legitimieren.

Eine Ausnahme bildet einzig der Umstand eines höher geordneten Schutzes. Nicole de Cerjat, als juristische Beraterin beim Kaufmännischen Verband Schweiz auf arbeitsrechtliche Themen spezialisiert, bringt ein Beispiel: «In einer Tankstelle ist das Risiko für Überfälle bekanntlich erhöht. Das könnte das Installieren einer Überwachungskamera rechtfertigen. Es gibt hingegen keinen Grund, eine Bürokraft im Homeoffice via Webcam zu beobachten.»

Schmaler Grat zwischen Leistung und Verhalten

Letzterer Fall wurde de Cerjat von einem Mitglied am Anfang der Pandemie geschildert. Damals verlangte der Vorgesetzte von allen Mitarbeitenden, ihre Webcam während der Arbeit eingeschaltet zu haben – und kontrollierte die Anwesenheit auf seinem eigenen Bildschirm zu Hause. Rechtlich ist das klar verboten. So deutlich ist die Situation aber natürlich in den wenigsten Fällen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erwähnt in einem Merkblatt, dass das Überwachen von Leistung – im Gegensatz zum Verhalten – zulässig ist. Moderne Kollaborations- und Effizienztools wie Workplace Analytics bewegen sich hier auf einem schmalen Grat. Einerseits bieten sie mit Statistiken und Auswertungen die Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und Schwachpunkte zu identifizieren. Andererseits können sie schnell dazu missbraucht werden, das Verhalten von Mitarbeitenden zu kontrollieren. Zum Beispiel mit einem Check, ob private E-Mails verschickt wurden.

Nicole de Cerjat weist darauf hin, dass solche Kontrollen immerhin vor Gericht nicht als Beweise für eine Kündigung angebracht werden dürften. Da das Arbeitsrecht in der Schweiz allerdings sehr liberal ist, sind solche Beweise in den meisten Fällen auch gar nicht nötig. Bis anhin sind de Cerjat keine juristischen Fälle über die Mitarbeiterüberwachung bekannt. In der Beratung sei das Thema ebenfalls erstaunlich wenig präsent.

Kontrolle ist gut, Vertrauen besser

Es drängt sich die Frage auf, ob Überwachung denn wirklich sinnvoll ist beziehungsweise zu mehr Produktivität führt. Für die Unternehmensethikerin Bettina Palazzo, die Firmen bei der Entwicklung einer positiven Unternehmenskultur begleitet, handelt es sich hierbei um einen Grundsatzentscheid. «Führe ich eine Firma oder einzelne Angestellte, muss ich mich fragen: ‹Vertraue ich meinen Mitarbeitenden oder nicht?›.» Das Vertrauen sei die Basis für alles, was im Arbeitskontext von sich geht. Es beeinflusst das Arbeitsklima, die Zusammenarbeit, die Motivation und letztlich eben auch den Geschäftsgang. «Gehen wir davon aus, dass Menschen nur durch äussere Anreize bereit sind zu arbeiten, werden sie auch maximal ihren Job machen. Heutzutage benötigen wir aber die kollektive Intelligenz aller, möchten innovative Ideen entwickeln und mit der Komplexität unserer Welt zurechtkommen. Das geht nur mit Vertrauen.»

«Es gibt hingegen keinen Grund, eine Bürokraft im Homeoffice via Webcam zu beobachten.»
Nicole de Cerjat, juristische Beraterin beim Kaufmännischen Verband Schweiz:

Die promovierte Unternehmensethikerin führt aus, dass Vertrauen im Prinzip immer vorgeschossen werden muss. Arbeitgeber nehmen also das Risiko eines Missbrauchs in Kauf und reagieren, tritt dieser ein, im Nachgang. Eine neue, agilere Führungskultur – wie sie heute vielerorts Einzug findet – basiert auf Werten und Wertschätzung. Man kann also davon ausgehen, dass Überwachung am Arbeitsplatz die Produktivität sogar mindert. Vorausgesetzt, die Mitarbeitenden haben Kenntnis davon.

Wo es technische Mittel gibt, um Mitarbeitende zu überwachen, gibt es natürlich auch findige Gegenrezepte. Sogenannte Mausjiggler wurden eigens dafür erfunden, die Bewegungen einer Maus zu simulieren, damit der Computer keinen Ruhezustand aktiviert. Und im Internet kursieren zahlreiche Tipps, wie man Microsoft Teams überlisten kann, damit der Status «aktiv» bleibt. Genau hier setzen die Gedanken von Bettina Palazzo an: «Gehen Arbeitgeber von vornherein davon aus, dass ihre Angestellten schummeln, werden sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tun.»

Führen auf Distanz als neue Herausforderung

Welche Auswirkungen Homeoffice und neue Arbeitsformen auf das Führen von Mitarbeitenden hat, thematisiert übrigens auch die Medienpsychologin Sarah Genner im Interview mit dem Kaufmännischen Verband. Sie spricht darin an, wie Leadership heute funktionieren kann: «Selbstführung gewinnt in der neuen Arbeitswelt an Bedeutung, genauso wie Führung auf Distanz. Für Führungskräfte heisst das, dass sie vermehrt anhand von klar definierten Zielen führen und es dann den einzelnen Mitarbeitern überlassen, wieviel und wo sie arbeiten, um diese Ziele zu erreichen.»

Hochtechnologisierte Überwachungstools und die Vermessung aller Lebensbereiche vs. New Work mit abgeflachten Hierarchien, orts- und zeitunabhängigem Arbeiten sowie steigender Bedeutung einer gesunden Work-Life-Balance: Das sind zwei Trends, die irgendwie nicht so ganz zusammenpassen wollen. Und dennoch werden in naher Zukunft wohl beide Teil unseres Alltags sein. Vielfältige Daten über unsere Tätigkeiten geben zweifellos zumindest teilweise Aufschluss auf unser Verhalten. Überwachung in einem erweiterten Sinn gehört also vermutlich einfach zur neuen Normalität. Gleichzeitig wird keine Maschine je in der Lage sein, die Qualität komplexer Arbeit wirklich zu beurteilen.

Veröffentlicht am 21.6.2023

«Gehen Arbeitgeber von vornherein davon aus, dass ihre Angestellten schummeln, werden sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tun.»
Bettina Palazzo, Unternehmensethikerin:

Autor:in

  • Rahel Lüönd

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