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Viele althergebrachte Gewohnheiten im Arbeitsalltag machen mit flexibleren Arbeitsformen keinen Sinn mehr. Strukturen brauchen wir aber nach wie vor.

Morgens nimmt man immer den gleichen Zug und trifft gegen acht Uhr im Büro ein.  Man begrüsst die Kolleginnen und Kollegen, holt sich eine Tasse Kaffee, startet den Computer und checkt zuerst einmal die Mails. So oder ähnlich beginnen viele ihren Arbeitstag. Oder begannen. Denn die Anwesenheit im Büro ist heutzutage nicht mehr allerorts der Normalfall.

Spätestens mit dem Ausbruch der Pandemie haben viele Beschäftigte angefangen, zu Hause zu arbeiten und handhaben dies nun zumindest tageweise weiterhin so. Zeitlich und örtlich flexible Arbeitsmodelle sind aber bereits vor Corona immer populärer geworden und haben nun nochmals einen Schub erhalten. Doch damit gehen auch viele Gewohnheiten und Rituale verloren, welche den Arbeitsalltag strukturiert haben.

Gewohnheiten hinterfragen

«Rituale schaffen Stabilität», sagt Johann Weichbrodt, Organisationspsychologe an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Dies habe sowohl positive als auch negative Aspekte: Einerseits vermitteln Rituale und Routinen Sicherheit in einer häufig unübersichtlichen Welt. Zudem sparen sie mentale Ressourcen ein, indem wir uns nicht täglich überlegen müssen, was wir zuerst machen und wie wir vorgehen sollen. Anderseits werden häufig auch monotone, eingefahrene Muster aufrechterhalten, die wenig sinnvoll sind. So zum Beispiel das stundenlange starre Sitzen am Bürotisch, obwohl man dabei gar nicht immer produktiv ist.

Früher war die Strukturierung des Arbeitstags zu einem grossen Teil vorgegeben. In vielen Firmen musste man die Arbeitszeit durch Ein- und Ausstempeln erfassen. Dazwischen gab es klare Regeln und Aufgaben. Wer nicht an der gemeinsamen Kaffeepause teilnahm, wurde schnell zum Aussenseiter. Heute weicht sich die Gliederung der Arbeitszeit immer mehr auf – zumindest für jene, die am Computer arbeiten. Dazu gehört rund die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung.

«Rituale schaffen Stabilität»
Johann Weichbrodt

Regeln erlauben Freiheiten

Mit dieser Flexibilisierung können nicht alle gleich gut umgehen. Es gibt Menschen, die eine starke Trennung von Arbeit und Privatleben brauchen. Andere haben keine Probleme damit, wenn sich die beiden Bereiche ein wenig vermischen – also wenn sie zum Beispiel mal zwischendurch joggen oder einkaufen gehen können und dann dafür am Abend etwas länger dranbleiben müssen. «Es gibt kein Richtig oder Falsch», sagt Johann Weichbrodt, der an der FHNW seit 2013 darüber forscht, was das Homeoffice mit den Menschen macht. Das Setting erfordere ein erhöhtes Selbstmanagement, was chaotisch veranlagten Personen schwieriger falle als gut organisierten.

«Für manche bedeutet das flexible Arbeiten eine echte Herausforderung», stellt der Psychologe fest. Es sei deshalb wichtig, sich im Team gegenseitig zu unterstützen. Vorgesetzte müssten die Gestaltung der Arbeitszeit zum Thema machen und sich dafür interessieren, wie gut ihre Mitarbeitenden damit zurechtkommen. Schwierig sei auch, wenn einige ihre Freiheiten nutzen, ohne dabei auf die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen zu achten, stellt Weichbrodt klar. Es brauche feste Regeln dazu, wie die Zusammenarbeit organisiert ist und wann alle erreichbar sein müssen.

Erfolge feiern

In vielen Teams war es früher üblich, am Geburtstag einen Znüni zu spendieren oder von den Ferien eine Postkarte zu schicken. Wenn nur selten alle gleichzeitig vor Ort sind, machen solche Traditionen kaum noch Sinn. Trotzdem sind gemeinsame Rituale nach wie vor wichtig, um einem Team ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln – vielleicht sogar noch wichtiger, je flexibler und eigenständiger der Arbeitsalltag wird. «Wir müssen neue Rituale finden», betont Johann Weichbrodt. «Das können ganz kleine Dinge sein.»

Der Fachmann schlägt zum Beispiel vor, bei den Meetings – ob analog oder digital – stets eine kurze Check-in-Runde einzuplanen. Einige Minuten sollten dafür reserviert sein, sich gegenseitig als Personen wahrzunehmen, sich dafür zu interessieren, wie es den Kolleginnen und Kollegen geht und etwas Smalltalk  zu halten. Bald sollte es auch wieder möglich sein, sich mindestens an einem Wochentag persönlich zu treffen und dann vielleicht sogar gemeinsam essen zu gehen. In einigen Teams gilt die ungeschriebene Regel, dass in der Mittagspause nicht über Geschäftliches gesprochen wird. Wer es trotzdem tut, muss einen Fünfliber in eine Kasse zahlen. Ist diese gut gefüllt, wird das Geld für ein Nachtessen oder ein Fest verwendet. Auch die Einführung neuer Mitarbeitender ist eine gute Gelegenheit für besondere Momente wie etwa eine Vorstellungsrunde oder ein gemeinsamer Znüni.

Wichtig sei zudem das Feiern von Erfolgen, betont Johann Weichbrodt. «Das machen Arbeitsteams viel zu wenig.» Vorgesetzte sollten besondere Leistungen von Teammitgliedern würdigen. Dabei müssen sie jedoch darauf achten, dass sich andere nicht zurückgesetzt fühlen. Auch gemeinsam erreichte Ziele sollten gefeiert werden, indem man an einem Meeting etwas Zeit dafür einräumt. Noch schöner ist natürlich ein gemeinsamer Apéro.

01.10.2021

Vorgesetzte sollten besondere Leistungen von Teammitgliedern würdigen.

So strukturieren Sie Ihren Tag im Homeoffice

  1. Pendeln kann anstrengend sein, schafft jedoch Distanz zwischen Arbeit und Privatleben. Fällt der Arbeitsweg weg, muss man einen neuen täglichen Start in den Arbeitstag finden. Ziehen Sie sich wenn möglich in einen separaten, ruhigen Arbeitsraum zurück und planen Sie die anstehenden Aufgaben. Bereits kleine Rituale wie etwa ein Blick ins Intranet nach dem Aufschalten des Computers können etwas Struktur schaffen.

  2. Halten Sie mehr oder weniger regelmässige Arbeitszeiten ein und arbeiten Sie nicht im Pyjama. Machen Sie zwischendurch Pause.

  3. Kein Mensch kann acht oder mehr Stunden konzentriert am Computer arbeiten. Klinken Sie sich deshalb über Mittag mindestens eine halbe Stunde aus, besser etwas länger. Neben dem Essen sollten Sie etwas tun, das wirklich Erholung bringt: sich bewegen, etwas dösen, Zeitung lesen – wenn möglich nicht online.

  4. Wenn der Arbeitsweg wegfällt, muss man dafür sorgen, dass man trotzdem mal aus dem Haus kommt. Gehen Sie zwischendurch einkaufen, joggen oder spazieren. Machen Sie ein paar Yoga- oder Turnübungen. Wenn Sie während eines Online-Meetings zwischendurch die Kamera ausschalten, können Sie sogar vor dem Bildschirm ein wenig herumhampeln.

  5. Für intellektuelles und kreatives Arbeiten ist stundenlanges Auf-den-Bildschirm-Starren nicht förderlich. Die besten Ideen kommen häufig, wenn man etwas Abstand nimmt – etwa eine Tasse Kaffee holt, in den Garten geht oder die Wäsche aufhängt. Häufiges Aufstehen ist übrigens auch gesünder für den Rücken. Müssen Sie Unterlagen studieren, können Sie sich auch mal aufs Sofa fläzen.

  6. Im Homeoffice fallen die spontanen Begegnungen mit Arbeitskollegen weg. Kompensieren Sie dies mit Telefonaten, Chats und Online-Meetings.

  7. Fahren Sie den Computer runter, damit Sie nicht in Versuchung kommen, später nochmals die Geschäftsmails anzuschauen. Befriedigend und entlastend ist es, auf einer To-Do-Liste erledigte Punkte abzustreichen. Fällt Ihnen das Abschalten am Feierabend schwer, schaffen Sie bewusst Abstand: Gehen Sie für ein paar Schritte aus dem Haus oder duschen Sie und ziehen andere Kleider an.

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Autor

  • Andrea Söldi

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