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E-Mail- und Briefe schreiben können doch alle. Der feine Unterschied in der richtigen Wortwahl kann jedoch eine grosse Wirkung haben.

Entweder klingt es zu steif, distanziert und verstaubt oder zu lässig, anbiedernd und unprofessionell – beide Wirkungen wollen wir beim Schreiben von E-Mails, Nachrichten oder Briefen möglichst vermeiden. Noch vor 50 Jahren schienen viele Formeln geradezu in Stein gemeisselt: So wurden die «sehr geehrten Damen und Herren» am Schluss mit «vorzüglicher Hochachtung» gebauchpinselt. Heute sind Begrüssungen wie «Hallo Frau Meier» oder «Beste Grüsse» zum Abschied nichts Ungewöhnliches.

Wie schreibt man also richtig? Die Antwort ist simpel: Es gibt nicht die eine Regel, ja nicht einmal den einen Korrespondenzstil, auf den man jederzeit zurückgreifen kann. Dazu kommt, dass sich die Sprache stets wandelt und neuen Gegebenheiten und Zeitströmungen anpasst. Darüber hinaus ist je nach Situation, Unternehmen und Anlass der eine oder der andere Stil der Richtige. Zum Beispiel bei der Anrede. Von «Hallo alle» (oft fälschlicherweise gross geschrieben) bis zu «Grüezi», «Hallo» oder «Sehr geehrte…» ist seit ein paar Jahren eine immer grössere Vielfalt anzutreffen. Mit den neusten Kommunikationskanälen auf Social Media scheint es kaum mehr Regeln zu geben.

Nähe und Distanz

Auf welchem Kanal auch immer – in einem Brief oder einem E-Mail, auf WhatsApp oder Slack – den richtigen Ton zu treffen hat ganz viel mit zwischenmenschlicher Kommunikation zu tun. Das weiss Korrespondenzcoach Angelika Ramer aus langjähriger Erfahrung. Bereits die Anrede und der Gruss hängen ihrer Ansicht nach sehr eng mit den Themen Nähe und Distanz zusammen: «Wer schreibt, muss sich überlegen: Wie viel davon möchte ich zulassen? Wie kann ich persönlich schreiben, das heisst wie erreiche ich die Person am besten?»

Was die Anrede betrifft, benützt Angelika Ramer in Briefen und E-Mails alle möglichen Varianten des Grusses, von denen es einige gibt: sehr geehrte, guten Tag, geschätzte, liebe oder werte Frau XY. «Je nach Unternehmenskultur passt das eine oder das andere besser. Bei einer Privatbank würde ich eher nicht ‘Hallo’ als Anrede wählen», so Ramer. Was empfiehlt sie als Anrede, wenn man den Namen des Adressaten nicht kennt und doch nicht «Sehr geehrte Damen und Herren» schreiben will? «Grundsätzlich liege man mit «Sehr geehrte Damen und Herren gar nicht so falsch», schickt Angelika Ramer voraus. Es sei die unverfänglichste Anrede, die  immer geht, vergleichbar mit einer Garderobe aus klassischen Kleidungsstücken. Wenn sich der Mailverkehr fortsetzt, verändern beide Gesprächspartner ihr Kontaktverhalten, spielen mit Anrede und Gruss.

Mensch, nicht Automat

Es ist aber auch nicht falsch, etwas origineller zu grüssen. «Mit einer anderen Formulierung wagt man etwas und wird damit sichtbarer. Zum Beispiel mit  ‘Guten Tag’ oder ‘Guten Morgen in Luzern’, wenn sich die angesprochene Person in Luzern aufhält», sagt Angelika Ramer. Diese Art von Gruss bezeichnet sie als professionell und menschlich, weil damit klar wird, dass ein Mensch schreibt und nicht ein Automat. Mit dem Unpersönlichen, das durch vorgefertigte Floskeln und Textkonserven entsteht, vergeben sich viele Unternehmen so manche Chance, die Kundschaft individuell und persönlich anzusprechen, so der Schreibprofi.

«Durch das Verwenden von Textbausteinen und Standartvorlagen verlieren die Leute das Training und das Feingefühl für die situative Kommunikation.» Sprache sei auch ein Handwerk, eine Fertigkeit, die sich ausbauen und trainieren lässt. Das geht am besten mit Synonymen. Angelika Ramer lädt dazu ein, jeden Tag neue Wörter auszuprobieren. Der aktive und der passive Wortschatz würden es erlauben, mit Synonymen zu reagieren. Zum Beispiel sind Mitarbeitende im Beschwerdemanagement oft besonders herausgefordert: Wenn Kundinnen oder Kunden zu viel Emotionalität zeigen, ist es für viele schwierig, angemessen darauf zu reagieren.

Durch das Verwenden von Textbausteinen und Standartvorlagen verlieren die Leute das Training und das Feingefühl für die situative Kommunikation.

Erklären statt belehren

Es brauche Gefühl für das Situative und das richtige Augenmass, um flexibel auf die Leute einzugehen. Angelika Ramer bedauert, dass bis heute viele im «Sachbearbeiter-Modus» arbeiten. Dies stört sie, weil es in der Arbeitswelt nie um eine Sache, sondern immer um Menschen gehe. Dies drückt sich auch in der Sprache aus, was viele nicht wahrnehmen oder unterschätzen: «Wenn ich schreibe ‘in Ihrem Fall’ wirkt das sehr wertend. Besser wäre ‘in diesem Fall’.

Wenn die Menschen mit mehr Empathie schreiben würden, könnten sie sich besser in andere Menschen hineinversetzen. In ihren Trainings geht es Angelika Ramer deshalb oft um das Feingefühl. Anstelle der belehrend anmutenden Formulierung «gerne erklären wir Ihnen» ist ein «gerne erklären wir» passender – das klingt gleich sympathischer. «Dabei gilt es zu unterscheiden: Aus Sicht des anderen schreiben heisst nicht, gut zu finden, was der andere tut», so Angelika Ramer. Auch wie ein Text zwischen den Zeilen wirken kann, sind sich viele nicht bewusst.

Andere drohen offen – etwa in Briefen mit Zahlungsaufforderungen: «Wenn Sie nicht bis zum Datum XY zahlen, dann…». Das ist aus Sicht von Angelika Ramer höchst problematisch. Anstelle dieses Drohsatzes könnte man den neutraleren und informativen Satz «Ohne diese Zahlung nehmen Sie … Sanktion in Kauf» verwenden. Schreiben habe viel mit einer inneren Haltung zu tun, und «früher verstanden Verwaltungen ihre Aufgaben auch darin, Menschen zurechtzuweisen, zu erziehen, anzuleiten, zu korrigieren – oft von oben herab und drohend.»

Der richtige Ton

Weitere Tipps, um konstruktiv zusammenzuarbeiten sind, dem Gegenüber nach Möglichkeit auf Augenhöhe zu begegnen. «Wir möchten ja erreichen, dass die andere Person gut kommuniziert oder mit uns zusammenarbeitet», so Angelika Ramer. «Ein genervter oder passiv-aggressiver Unterton ist wenig hilfreich, den hört niemand gern. Wenn der Ton nicht stimmt, ist die Sachebene erledigt.»

Das heisst: Das Gegenüber aktiv und freundlich im Präsens auffordern statt mit der Vergangenheit  argumentieren. Zum Beispiel den Satz «Wir haben Sie gebeten, Dokument xy der Kundin XY einzureichen, …» ersetzen mit: «Wir möchten gerne für Kundin XY abrechnen. Bitte schicken Sie uns das Dokument zu.» Ein weiterer Hinweis des Coach: Wenn es unangenehm werde, wechseln die Schweizer oft ins Passive, auch mit anklagender Note.

Bleibt schliesslich die Schlussformel, die ebenso viele Möglichkeiten bietet wie die Begrüssung. Das Lieblingsunwort von Angelika Ramer ist der «schaurige» Begriff: «Wir bitten Sie um Kenntnisnahme», der leider noch nicht ganz ausgerottet ist. «Damit ist der Satz zubetoniert und die Beziehung blockiert», ist ihr Kommentar dazu. Auch für das Verständnis zu danken, das noch gar nicht zugesprochen wurde, sei heikel und respektlos.

Die Schlussformel bringt wieder alle möglichen Kombinationen zutage: Freundlich grüssen darf man immer, sonnige Grüsse senden auch, ebenso einen schönen Tag oder erholsame Ferien wünschen. Lockerheit und Menschlichkeit ist angesagt, und die Frage: Was möchte ich selber gerne lesen? Nur bei den Emojis ist etwas Vorsicht angebracht. Es reicht, wenn die sonnigen Grüsse aus dem Wallis von einem «Sünneli» unterstrichen werden und nicht von zehn.

«Ein genervter oder passiv-aggressiver Unterton ist wenig hilfreich, den hört niemand gern. Wenn der Ton nicht stimmt, ist die Sachebene erledigt.»
Angelika Ramer

Buchtipps

Grundregeln für guten Stil

Ein paar Grundregeln als Basisrezept für entspannte Texte:

  • Mensch vor Inhalt
  • Verben vor Nomen
  • Präsens vor Perfekt
  • positiv vor negativ
  • Lösung vor Problem
  • einfach vor kompliziert

Veröffentlich am 29.09.2021

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Autor

  • Susanne Wagner

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