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«Geld ist die letzte Frontlinie der Gleichstellung»

Mit der Finanzplattform «elleXX» vermitteln Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger seit November 2021 auf Frauen zugeschnittenes Finanzwissen und spezifische Finanzprodukte. Im Interview sprechen die Gründerinnen darüber, was Geld mit Gleichstellung zu tun hat. Sie zeigen auf, dass sich Frauen durchaus für Finanzen interessieren und warum Frau am besten schon gestern mit Investieren beginnen sollte.

Patrizia, Nadine und Simone: Vor einem Jahr habt ihr mit der «elleXX»-Plattform frauenfreundliche und nachhaltige Finanzprodukte lanciert. Was hat euch überrascht?

Patrizia: Wir sind immer noch überwältigt, dass wir innert kurzer Zeit die grösste Female Finance Community der Schweiz aufbauen konnten. Sie umfasst mittlerweile mehr als 30 000 Frauen. Das zeigt: Wir lagen mit dem Thema goldrichtig. Zuvor wurde uns jahrelang gesagt, dass sich Frauen nicht für Finanzen interessieren würden. Mittlerweile durften wir Tausende von Frauen schulen, haben eine umfassende Wissenssammlung zum Thema Geld-Lücken erstellt, teils alarmierende Geld-Gaps identifiziert und bieten mit unseren Produkten auch Lösungen an, um diese zu schliessen.

Simone: Wir hören auf unsere Community, ihre Bedürfnisse zählen. Daraus entwickeln wir dann entsprechende Angebote – das nennt sich so schön «Design Thinking». Beim Thema Investieren beispielsweise wollen unsere Userinnen klar eine unabhängige Vermögensberatung – und zwar von Frauen für Frauen. Wir haben deshalb das elleXX Wealth Management auf die Beine gestellt. Daneben beschäftigen wir uns auch stets mit der Zukunft der Finanzwelt und betreiben ein NFT-Lab. Wir haben den ersten Drop lanciert, also eine erste NFT-Kollektion entwickelt, und Frauen edukativ in diese Welt begleitet. Als Künstlerin ist es mir wichtig, auch mit Blick auf die Finanzwelt immer wieder den Status Quo zu hinterfragen und Innovationen zu fördern.

Ihr bewegt euch mit Finanzthemen in einer (noch) typischen Männerdomäne. Mit welchen Herausforderungen in Bezug auf gesellschaftliche Rollenbilder seid ihr konfrontiert und wie geht ihr diese an?

Simone: Es gibt im Fintech-Bereich kaum weibliche Gründerinnen. Wir sind Exotinnen. Beim Fundraising sehen wir uns deshalb mit allen möglichen Klischees konfrontiert. Wir erleben viel Mansplaining. Die männlichen Investoren erklären uns dann unser Business und die Welt. Oder sie interessieren sich schlicht nicht für das Problem, welches wir lösen wollen, weil sie von den enormen Vermögenslücken zwischen den Geschlechtern nicht betroffen sind. Die Konsequenz daraus? Sie investieren nicht. In den Jahren vor dem Launch der elleXX-Plattform im November 2021 hatten wir unseren Business Plan bereits x-fach vorgestellt und bestimmt 300 Neins kassiert. So oder ähnlich muss sich J. K. Rowling mit ihrem Harry-Potter-Manuskript gefühlt haben! Doch wir haben nicht lockergelassen. Jedes Nein hat uns noch mehr angespornt und dazu beigetragen, dass wir unsere Inhalte und Angebote weiterentwickelt haben. Dieser Antrieb ist eine wichtige Eigenschaft, die man als Gründerin mitbringen sollte.

Wie und wann sollen Frauen mit Investieren beginnen?

Patrizia: Gestern. Beim Investieren zählt jeder Tag. Investieren hat Sparen in den letzten Jahrzehnten klar geschlagen. Seit den 1990er-Jahren befinden wir uns in einem Tiefst- und Negativzinsumfeld. Der Zinseszins-Effekt ist beim Sparen deshalb komplett weggefallen. Es war im besten Fall nur noch eine flache lineare Gerade; es gab keine Wachstumskurve mehr. Blickt man hingegen auf die Märkte, so haben sich diese historisch gesehen positiv entwickelt. Und zwar im Durchschnitt zwischen 6 und 8 Prozent über einen Zeitraum von 10-15 Jahren. Hinzu kommt, dass die Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern keine Kapitalgewinnsteuer erhebt – Gewinne aus Aktien müssen also nicht versteuert werden. Unser Land setzt alle Anreize, um aus Geld noch mehr Geld zu machen. Wer Aktien mindestens sechs Monate lang hält, versteuert nichts auf dem Gewinn. Frauen müssen einfach investieren! Insbesondere auch deswegen, weil 92 Prozent der Frauen sich für nachhaltiges Investieren interessieren. Das ist ein potenziell grosser Hebel, um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen.

«Gestern.»
Patrizia Laeri auf die Frage, wann Frauen mit Investieren beginnen sollen:

Was sagt ihr Frauen, die sich zu wenig für Finanz- oder Vorsorgethemen interessieren?

Nadine: Ihr könnt das! Frauen haben oft das Gefühl, dass sie nicht angesprochen werden. Das hat auch historische Gründe: Bis vor 35 Jahren durften Frauen ohne Erlaubnis des Ehemannes kein eigenes Bankkonto eröffnen oder einem Beruf nachgehen. Negative Glaubenssätze wie «Geld interessiert mich nicht» sind ein Ergebnis davon. Hinzu kommt: Auch heute noch sprechen viele Bankberater nur den Mann im Gespräch an. Und bei der Steuererklärung ist bei verheirateten Paaren noch immer der Mann die Steuerperson Nummer 1, dessen AHV-Nummer als einzige hinterlegt ist, wenn man zum Beispiel eine telefonische Auskunft wünscht. Ein weiteres Beispiel: Eine Studie von BNY Mellon hat ergeben, dass 86 Prozent der Vermögensverwalter zugeben, dass sie hauptsächlich Männer adressieren, und dass sich 73 Prozent der Finanzprodukte an den Bedürfnissen von Männern ausrichten. Frauen sind schlicht und einfach ein «underserved market». Zudem haben sie andere Ansprüche an die Produkte, etwa in Bezug auf Nachhaltigkeit. All das führt dazu, dass sich Frauen weniger für gängige Finanzprodukte interessieren. Doch wir merken bereits jetzt, etwa durch die neuste Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht: Frauen werden sich vermehrt bewusst, dass sie sich um ihre Finanzen und Vorsorge kümmern müssen, denn Heiraten bietet heute keine finanzielle Absicherung mehr.

Wo seht ihr die grössten (Finanz-)Lücken und wie kann man diese schliessen?

Patrizia: Der grösste Geld-Gap ist der Gender-Gründungs-Gap. Gründerinnen erhalten 98 Prozent weniger Risikokapital für ihre Ideen, Produkte und Start-ups. Das hält Frauen auf und klein. Der begrenzte Zugang zu Kapital für Frauen ist meiner Meinung nach eine der grössten Ineffizienzen unseres Wirtschaftssystems. Dabei wären Frauen so wichtig für den nachhaltigen Wandel unserer Wirtschaft. Der Frauenanteil in den Verwaltungsräten und nachhaltiges Wirtschaften korreliert positiv.

Welche Massnahmen braucht es für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben?

Nadine: Es braucht generell bessere Rahmenbedingungen, damit es möglich wird, die Care-Arbeit für die Familie zu übernehmen und gleichzeitig auch Erwerbsarbeit zu leisten. Elternzeit und Individualbesteuerung sind sicher ganz wichtige Voraussetzungen dafür, aber auch eine bezahlbare, qualifizierte Kinderbetreuung in den Gemeinden, schulische Betreuung über Mittag und zu den Randzeiten, flexible Arbeitgeber und Teilzeitarbeit, insbesondere auch für Männer. Und die Care-Arbeit muss in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert erhalten – wer nicht erwerbstätig ist, kann kaum eine Vorsorge aufbauen. Gleichzeitig lohnt es sich für Zweitverdiener aufgrund der hohen Betreuungskosten und der Heiratsstrafe kaum, erwerbstätig zu sein. Eine faire Aufteilung der Care-Arbeit und die Berücksichtigung dieser auch in der Altersvorsorge müssen wir politisch auf jeden Fall neu verhandeln.

Was ratet ihr Frauen, die sich selbständig machen wollen?

Patrizia: Think big! Denkt gross und von Anfang an international. Schliesst euch zusammen, join forces, denn zusammen kann man viel mehr bewegen. Frauen werden stark darauf sozialisiert, bescheiden zu sein, klein zu denken, und sich – wenn überhaupt – als Einzelmaske selbständig zu machen. Oft tun sie dies dienstleistungsorientiert. Aber warum eigentlich? Eure Geschäftsideen sind viel wert, macht sie Venture-Capital-fähig, sucht Investoren und Investorinnen.

Nadine: Für viele Frauen ist die Selbständigkeit eine Flucht nach vorne, wenn eine Erwerbstätigkeit mit Kindern schwierig zu vereinbaren ist. Viele Frauen gründen dann kleine Dienstleistungsunternehmen, bei denen sie auch wieder zu wenig verdienen, um ihre Vorsorge aufzubauen. Das kann ebenfalls prekär werden. Hier ist es wichtig, sich von Anfang an einer Pensionskasse anzuschliessen, zum Beispiel über einen Berufsverband, allenfalls auch eine GmbH zu gründen und sich selbst anstellen zu lassen. Sinnvoll kann es sein, sich vor diesem Schritt beraten zu lassen.

Was bedeutet Gleichstellung für euch und wann ist diese erreicht?

Patrizia: Geld ist die letzte Frontlinie der Gleichstellung. Wir sind überzeugt: Wer Frauen stärkt, stärkt die Gesellschaft, die Wirtschaft und damit den Wohlstand. Wir wollen gleich viel Geld in den Händen von Frauen und Männern. Das wird laut Schätzungen des WEF aber noch mindestens 150 Jahre lang dauern. Das können wir so nicht akzeptieren. Wir wollen das noch erleben. Und dafür arbeiten wir bei elleXX rund um die Uhr.

Veröffentlicht am 8.12.2022

«Für viele Frauen ist die Selbständigkeit eine Flucht nach vorne, wenn eine Erwerbstätigkeit mit Kindern schwierig zu vereinbaren ist.»
Nadine Jürgensen über die Motivation zur Selbständigkeit:

Infobox

  1. elleXX ist eine Finanz- und Medienplattform, welche auf Frauen zugeschnittenes Finanzwissen und entsprechende Produkte anbietet. Dazu gehören ein Aktienprodukt, eine Säule 3a und eine Rechtschutzversicherung. Zudem vermittelt elleXX Wissen rund um Geld, Anlagen und Vorsorge – ganz nach der Philosophie nachhaltig, sozial, fair und langfristig.

    Mehr Informationen: ellexx.com

Autor:in

  • Sibylle Zumstein

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