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«Um gesundheitliche Probleme anzusprechen, braucht es Vorbilder»

Die Sensibilisierung für das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz hat zugenommen. Warum es gerade in Zeiten von New Work Vorbilder und Orientierung braucht, und was Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen zur psychischen und physischen Gesundheit beitragen können, erläutert Noémi Swoboda von der Stiftung «Gesundheitsförderung Schweiz».

Die Menschen in Wissensberufen arbeiten heute flexibler und verbringen mehr Zeit im Homeoffice als vor der Pandemie – Digitalisierung sei Dank. New Work und Remote Work bringen viele Vorteile, die die meisten Arbeitnehmer:innen nicht mehr missen möchten.

Für die Gesundheit bringt die Digitalisierung und das damit verbundene ortsunabhängige Arbeiten Chancen, birgt aber auch Risiken, wie Noémi Swoboda, Leiterin Betrieb und Entwicklung bei Gesundheitsförderung Schweiz, weiss: «Die Digitalisierung beschleunigt die Veränderungen in unserer Arbeitswelt. Dies erfordert viel Flexibilität und eine hohe Anpassungsfähigkeit vonseiten Arbeitnehmer:innen.» Doch gerade die jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt verfügen über weniger Ressourcen als erfahrene Arbeitnehmer:innen, um den damit verbundenen Belastungen standzuhalten. Dies zeigen Umfragen wie der Job-Stress-Index 2022 sowie die Lehrabgänger:innen-Umfrage 2021. «Die Ausfälle aufgrund psychischer Belastungen sowie die Invalidisierungsrate steigen», sagt Noémi Swoboda.

Enge Betreuung von Lernenden zentral 

Wie organisiere ich mich? Wie reagiere ich auf eine Stresssituation? Wie gehe ich mit Konflikten um, und wie bleibe ich gesund? «Für Antworten auf diese Fragen braucht es Vorbilder im Arbeitsalltag, an denen sich Jugendliche orientieren können», so Noémi Swoboda. Dabei brauchen sie Zeit, diese Kompetenzen zu entwickeln. «Lernende müssen insbesondere in den Themen Organisation und Selbstmanagement eng geführt und betreut werden: den Tagesablauf besprechen, Check-ins vereinbaren, Informationen und Unterstützung anbieten», sagt sie weiter. Dabei sei gerade in Zeiten von Homeoffice und Remote Work eine gute Balance zwischen physischem und ortsungebundenem Austausch unabdingbar für die Entwicklung und den Identitätsaufbau der Jugendlichen bei der Arbeit. 

Nicht nur für die Jugendlichen, sondern für Arbeitnehmer:innen jeden Alters ist die Entwicklung von branchen- und berufsübergreifenden «Future Skills» zentral. Nicht nur um gesund zu bleiben, sondern auch, um seine eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten und zu steigern. Denn Resilienz und Strategien für den Umgang mit Stress, Veränderung und Unsicherheit brauchen wir alle.

Wellbeing nicht mit Wellness verwechseln 

Gesundheit am Arbeitsplatz bedeutet, dass die Betriebe Verhältnisse bieten, welche die Gesundheit der Mitarbeitenden erhalten und fördern. Zudem sollen sich Mitarbeitende auch gesund verhalten können. Zu einem solchen Rahmen gehören die entsprechende Infrastruktur und eine angemessene Arbeitsbelastung genauso wie Möglichkeiten zur gesunden Verpflegung und eine wertschätzende Unternehmenskultur. «Es geht nicht um Wellness-Angebote als Zusatzleistungen – sondern darum, den Mitarbeitenden ein Umfeld zu bieten, in dem sie gesund bleiben», so Noémi Swoboda weiter. 

Und es braucht auch Eigenverantwortung vonseiten der Arbeitnehmer:innen. «Die besten Massnahmen zur Förderung der betrieblichen Gesundheit bringen nichts, wenn sie nicht genutzt werden und die Menschen ihrer Gesundheit keine Sorge tragen», betont Noémi Swoboda. 

Die Sensibilisierung für psychische Krankheiten nimmt zu 

Die Untersuchungen von Gesundheitsförderung Schweiz zeigen, dass sowohl Grossunternehmen wie KMU in Bezug auf psychische Krankheiten sensibilisierter sind als noch vor einigen Jahren. Auch auf Seiten Arbeitnehmer:innen hat das Bewusstsein für Gesundheitsthemen zugenommen. Insbesondere die jüngeren Generationen sind für Themen rund um mentale Gesundheit sensibilisierter. Im Betrieb spielen Führungskräfte bei der Früherkennung von psychischen Problemen eine zentrale Rolle. «Das bedeutet, dass man diese Themen ansprechen muss – und dies ist nur möglich, wenn ein Vertrauensverhältnis herrscht, in dem sich Mitarbeitende öffnen können», unterstreicht Noémi Swoboda. 

Psychologische Sicherheit in Zeiten von New Work 

Um Gehör zu finden, müssen sich Mitarbeitende äussern und mitteilen. Das bedeutet, über die eigenen Gefühle und Befindlichkeiten zu reden, damit das Team und die Führungskraft einen besser verstehen. «Fühlt man sich psychologisch sicher und stimmt die Unternehmenskultur, kann man ansprechen, wenn man über- oder unterfordert ist und Unterstützung suchen», sagt Noémi Swoboda. Dafür braucht es ein entsprechendes Teamgefüge, gerade in agilen Organisationen oder dort, wo häufig remote gearbeitet wird. Es gilt zudem zu klären, wie, wann und über welche Kanäle kommuniziert wird. Dabei hilft beispielsweise eine Teamcharta, in der Werte und Organisationsprinzipien festgehalten werden. «Die Unternehmen müssen sich überlegen: Wie gestalten wir die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz, wenn Teams räumlich und zeitlich flexibler und unabhängiger arbeiten?», so Noémi Swoboda. 

Denn ohne soziale Beziehungen bleibt die psychische Gesundheit auf der Strecke – zum Nachteil von beiden Seiten. Gesundheit ist ein Thema, das Unternehmen auch in Zukunft beschäftigen wird. Darin zu investieren lohnt sich – denn gesunde Mitarbeitende sind eine zentrale Voraussetzung für den Unternehmenserfolg.

Veröffentlicht am 5.10.2023

«Es geht nicht um Wellness-Angebote als Zusatzleistungen – sondern darum, den Mitarbeitenden ein Umfeld zu bieten, in dem sie gesund bleiben.»
Noémi Swoboda, Leiterin Betrieb und Entwicklung der Einheit betriebliches Gesundheitsmanagement bei «Gesundheitsförderung Schweiz»

Zur Person

Noémi Swoboda ist Leiterin Betrieb und Entwicklung der Einheit betriebliches Gesundheitsmanagement bei «Gesundheitsförderung Schweiz». Die Stiftung, finanziert durch Versicherer und Kantone, setzt sich für Prävention und Förderung der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung ein. Ihre Einheit stellt Betrieben Informationen und Tools zur Verfügung, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern. Dazu zählen Tools für Führungskräfte und HR-Verantwortliche von KMU, ein Instrument zur Förderung der psychischen Gesundheit bei Lernenden (Apprentice) oder auch eine Mitarbeitendenbefragung mit Fokus auf Belastungen und Ressourcen sowie das «Label Friendly Work Space» für die Umsetzung eines systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Tools und Unterlagen sind für alle Unternehmen in der Schweiz frei zugänglich. 

Praxistipps für Arbeitgeber:innen

  1. Mitarbeitende sind die wertvollste Ressource im Unternehmen. Deshalb lohnt es sich, über die gesetzlichen Anforderungen hinaus optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen Mitarbeitende sich entfalten und motiviert, gesund und leistungsfähig bleiben können.

  2. Wo drückt bei meinen Mitarbeitenden der Schuh? Wo kann man die betrieblichen Rahmenbedingungen verbessern? Es gilt, Informationen zu sammeln, zu vergleichen, und daraus Massnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung abzuleiten – und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein KMU mit fünf Mitarbeitenden oder ein Grosskonzern mit 10'000 Angestellten handelt.

  3. Gerade in Zeiten agiler Arbeitsweisen, Homeoffice und Remote Work sind klare Strukturen für den fachlichen und persönlichen Austausch unabdingbar. Es braucht Personen im Unternehmen, die Mitarbeitende begleiten und führen, das Gespräch suchen, Probleme erkennen und helfen, diese zu lösen.

Praxistipps für Arbeitnehmer:innen

  1. Jede:r Mitarbeiter:in trägt die Verantwortung für die eigene Gesundheit. Dazu gehört Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf. Man muss sich zudem reflektieren und überlegen: Was kann ich dazu beitragen, um in der heutigen Arbeitswelt psychisch und physisch gesund zu bleiben? Wenn Probleme aufkommen, wie kann ich diese ansprechen und lösen? 

  2. Bietet der Arbeitgeber Informationen und Kurse zur Gesundheitsförderung an, sollte man diese als Arbeitnehmer:in nutzen. Fehlt die Zeit dazu, muss man das Gespräch mit der Führungskraft suchen. Denn beide Seiten haben ein Interesse daran, dass Investitionen in die Gesundheit genutzt werden und erfolgreich sind.

  3. Die Arbeitswelt wandelt sich, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Für den Umgang damit und zur Förderung der eigenen Resilienz braucht es eine Offenheit gegenüber Veränderungen. Man kann lernen, Veränderungen als Chance zu nutzen, mitzugehen, die positiven Aspekte daraus zu ziehen und sie als Treiber für die eigene Entwicklung und das Selbstmanagement zu sehen. 

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Autor:in

  • Sibylle Zumstein

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