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Statistiker:innen haben recht behalten: Das Verhältnis von jungen und alten Menschen hat sich in den letzten 25 Jahren drastisch verändert. Auf sehr viele alte Menschen folgen ganz wenige Jugendliche. Fährt man Zug, sieht man nur noch graue Haare. Entsprechend kostbar sind die Jungen, die heute eine viel grössere Aufmerksamkeit als 2022 geniessen. Wir behandeln sie wie Edelsteine, weil wir wissen, wie sehr unsere Zukunft von ihren Ideen und ihrer Energie abhängt.

[Post aus der Zukunft von Dr. Joël Luc Cachelin]

Du fragst dich vielleicht, was die Jugend im Jahr 2047 auszeichnet? Überrascht es dich, dass die heute 20-Jährigen eine wütende Generation bilden? Kannst du verstehen, warum sie uns schneiden? Unsere Jugendlichen fällt es schwer zu verstehen, warum wir 2022 nicht alles unternommen haben, um den Klimawandel zu bremsen. Sie fragen uns Alten: Warum habt ihr so viel Fleisch gegessen? Warum habt ihr nicht früher begonnen, Gebäude nur noch mit Solarpanel-Fassaden zu errichten? Warum habt ihr eure Städte weiter mit Beton zugebaut? Warum seid ihr so viel geflogen? Warum ist es euch nicht gelungen, ein High-Speed-Zugnetz für Europa zu errichten? Wie konntet ihr glauben, die Elektromobilität stünde für eine nachhaltige Zukunft? Warum wart ihr so versessen darauf, für jedes Problem eine technologische Lösung zu finden? Sie hat viele Fragen, diese vergötterte wütende Jugend. Aber sie ist tüchtig, sie fordert, packt an.

Zusammen mit einzelnen Vertreter:innen unserer Generation denkt sie das Bauen, die Ernährung, die Energieversorgung, die Mobilität, die Stadt endlich neu. Die digitale Transformation hängt nicht mehr im leeren Raum, sondern wird genutzt, um die grossen Probleme der Menschheit zu lösen. Alle unsere Träumereien, die wir damals unter den Stichworten von leanen, smarten, effizienten Organisation diskutierten, realisieren sich jetzt. Zu knapp ist die Zeit, um die Welt neu zu bauen. Dabei ist die Fähigkeit essentiell geworden, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sich zu fokussieren gelingt uns nur, wenn wir uns abends gut auf den nächsten Tag vorbereiten. Weit verbreitet sind Planning-Quarters, in denen man während fünfzehn Minuten plant, was am nächsten Tag zu tun ist, mit wem man was klären will, welche Informationen man für seine Arbeit braucht und welche Räume am besten zu den geplanten Tätigkeiten passen.

Nach dem Green-Shift

Der Innovationsdiskurs der 2020er Jahre richtete die strategische Personalplanung der Unternehmen – aber auch die Lehrpläne der Schulen und Hochschulen neu aus. Man suchte nicht mehr nur nach Datenspezialist:innen und Blockchain-Architekt:innen, sondern genauso nach Menschen, welche die ökologischen Zusammenhänge des Planeten verstehen. An die Stelle des digitalen trat der grüne Skill-Shift. Statt zu digitalisieren wurde es für Manager:innen wichtiger, ihre Produkte und Prozesse nachhaltig zu gestalten. Das führte zu einem eindrücklichen Comeback alter, vergessener Berufe – wie Bauer oder Bäuerin, Förster:in oder Landschaftsgärtner:in. Häufig wurden diese alten Berufe aber neu interpretiert: Die Ausbildung zum Bauer oder zur Bäuerin beispielweise war bereits 2030 in der Spezialisierung des «Vertical Farmers» oder des «Veganismus» möglich.

Seit 2030 sprach man pausenlos über den Blue-Shift. Das Thema Wasser ist so wichtig geworden, wie du es dir kaum vorstellen kannst. Es ist knapp und muss entsalzen werden. Auf den Flüssen und Meeren werden Gemüse und Früchte angebaut. Die kontinentalen Netze wurden als Wasserstrassen neu gedacht. Statt zu fliegen, nimmt man heute häufig CO2-neutrale Fähren. Selbstverständlich setzte der grüne und blaue Wandel die digitale Kompetenz der 2010er-Jahre voraus. Menschen müssen sich immer noch schnell in neuen Wissensgebieten zurechtfinden, Daten interpretieren und visualisieren können. Zusätzlich erwartet man heute ökologische Sensibilität. Gefragte Mitarbeitende erkennen, welche Auswirkungen unternehmerisches Handeln auf die Umwelt hat und wie man den ökologischen Fussabdruck von Produkten und Prozessen verringern kann.

«Statt zu digitalisieren wurde es für Manager:innen wichtiger, ihre Produkte und Prozesse nachhaltig zu gestalten.»
Dr. Joël Luc Cachelin über die Nachhaltigkeit in 2047:

Und das KV?

Ich weiss, du interessierst dich für das KV. Keine Angst, so etwas ähnliches wie eine kaufmännische Ausbildung gibt es heute immer noch. Unsere Wirtschaft wird auch im Jahr 2047 wie vor 25 Jahren in der Struktur von Unternehmen organisiert. Sie ist auf Menschen angewiesen, die sicherstellen, dass Organisationen am Leben bleiben, dass sie atmen, Ideen und die Rückmeldungen der Anspruchsgruppen verarbeiten und sich weiterentwickeln können. Dazu brauchen sie Mitarbeitende, die Informationen aufbereiten, kontrollieren, visualisieren, inszenieren und dafür sorgen, dass die Arbeitswelten gesund statt toxisch sind. Die Älteren sprechen noch von kaufmännischen Angestellten, die Jüngeren von «Corporate Facilitators». Im Unterschied zu 2022 bestehen in der Ausbildung mehr Möglichkeiten der Spezialisierung. Denn wir haben verstanden: Nicht alle Menschen haben dieselben Fähigkeiten und interessieren sich für dieselben Prozesse und Perspektiven von Unternehmen. Sie arbeiten und lernen dann am motiviertesten, wenn sie etwas wirklich interessiert.

Deshalb bieten die Schulen heute drei Vertiefungen an. Die «Daten-Profis» erwerben Fähigkeiten im Programmieren sowie im Management, der Visualisierung und der Interpretation von Daten. Sie wissen, was in Bezug auf die Analyse und Datensicherheit eines Unternehmens entscheidend ist. Die «Menschennahen» verfügen über eine hohe soziale Kompetenz. Sie können gut kommunizieren und erkennen rasch, wie es anderen Menschen geht – aber auch wie die Stimmung im Unternehmen ist. Dagegen verfügen die «Nachhaltigen» über naturwissenschaftliches und ökologisches Wissen, um ein Unternehmen als Akteur:innen in den Kreisläufen der Natur ganzheitlich zu denken und Risiken, Krisen und Knappheiten zu antizipieren. Alle drei Profile wurzeln in der heutigen kaufmännischen Ausbildung – und verfügen deshalb über Kompetenzen des Recherchierens, Organisierens, Protokollierens, Verkaufens, Korrespondierens und Buchhaltens.

Vieles ist gleich und vieles ist anders. Aber eines ist sicher: Die Arbeit ist uns 2047 nicht ausgegangen…

Veröffentlicht am 15.9.2022

«Nicht alle Menschen haben dieselben Fähigkeiten und interessieren sich für dieselben Prozesse und Perspektiven von Unternehmen.»
Dr. Joël Luc Cachelin über die Arbeitswelten 2047:

Gast-Autor

  • Dr. Joël Luc Cachelin

    Gründer Wissensfabrik

Zur Person

  1. Dr. Joël Luc Cachelin (1981) ist ein Schweizer Futurist. Vor dreizehn Jahren gründete er die Wissensfabrik, um Unternehmen in Zukunftsfragen zu inspirieren, zu begleiten und zu beraten. Sein Wissen bringt er in Expertengremien ein, darunter in die Beiräte des Besuchszentrums der Schweizerischen Nationalbank und Swissmedic 4.0 sowie in die Expertenkommission zum Grundversorgungsauftrag der Post. Grundlage seiner Arbeit bildet ein Wirtschaftsstudium an der Universität St.Gallen. 2021 schloss er sein Zweitstudium mit einem Master in Geschichte an der Universität Luzern ab.

    Im Zentrum seiner Arbeit steht das Interesse für Veränderungen. Dabei beobachtet er einerseits wie die verschiedenen Transformationsprozesse unsere Vorstellungen von Zukunft, Innovation und Fortschritt prägen. Anderseits erkundet er, welche alten Zukünfte der Vergangenheit wieder relevant werden könnten. In seinen Zeitreisen hält er sich zwischen den Jahren 1850 und 2050 auf.

  2. Die Wissensfarbik ist ein Thinktank für die digitale Gesellschaft. Sie bietet Studien, Vorträge, Beratung und die Entwicklung von Managementinstrumenten an. In der Wissensfabrik entstehen Bücher. Zuletzt: «Antikörper - Innovation neu denken» (Stämpfli, 2021).

Eine Kolumne aus der Zukunft

Im Auftrag des Kaufmännischen Verbands hat sich Dr. Joël Luc Cachelin mit unseren Fokus-Themen Sinn-Ökonomie, New Work und Gesundheit, Future Skills und Gleichstellung auseinandergesetzt. Er wagt dabei einen Blick aus dem Jahr 2047 und bricht unsere traditionellen Denkmuster auf. Seine Kolumne [Post aus der Zukunft] wird viermal im Laufe des Jahres publiziert.

Für den Kaufmännischen Verband steht fest: Egal was die Zukunft bringt, wir stehen unseren Mitgliedern sowie Arbeitnehmer:innen im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Bereich und im Detailhandel  tatkräftig zur Seite und begleiten sie durch die Zeitreise.

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