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Enttabuisierung psychischer Probleme bei Lernenden

    Die aktuelle Lehrabgänger:innen-Umfrage zeigt, dass die meisten jungen Kaufleute die erschwerte Covid-19-Situation gut überstanden haben und positiv in ihre Zukunft blicken. Nichtsdestotrotz haben einige auch Sorgen und Ängste geäussert. Wieso die psychische Gesundheit mehr Beachtung in unserer Gesellschaft finden muss, erklärt Kathrin Ziltener, Fachverantwortliche Berufsbildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz.

    Wie geht es dem psychischem Wohlbefinden der Lehrabgänger:innen?

    Kathrin Ziltener: Die Ergebnisse der aktuellen Lehrabgänger:innen-Umfrage haben gezeigt, dass wir in Bezug auf das allgemeine Wohlbefinden der jungen Kaufleute eine positive Bilanz ziehen können. Über zwei Drittel haben angegeben, dass ihr allgemeines Wohlbefinden gut oder sogar sehr gut sei und fast ein Viertel sprach zumindest von einem mittelmässigen Wohlbefinden. Lediglich 7.5% fühlt sich nicht oder eher nicht so gut. Was wir besorgniserregend finden, ist die Tatsache, dass sich etwa 14% der Befragten in ihrem Umfeld nicht über Probleme und Sorgen austauschen können. Hier besteht somit dringender Handlungsbedarf.

    «Über zwei Drittel haben angegeben, dass ihr allgemeines Wohlbefinden gut oder sogar sehr gut sei.»
    Kathrin Ziltener, Fachverantwortliche Grundbildung und Jugendberatung
    1. Der Kaufmännische Verband Schweiz führt seit 2006 jährlich eine Befragung unter den Abgänger:innen der kaufmännischen Grundbildung durch. Das Ziel der Studie ist es, die Anstellungsbedingungen während und nach der Grundbildung, den Verlauf des Berufseinstieges und die Weiterbildungs- und Zukunftspläne der Abgänger:innen zu analysieren. Hierfür werden die Abgänger:innen eines Eidgenössisches Berufsattest (EBA) sowie eines Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) der betrieblich organisierten Grundbildung (BOG) und der schulisch organisierten Grundbildung (SOG) zu zwei Zeitpunkten befragt. 2021 nahmen an der ersten Erhebungswelle im Juli rund 3600 Personen und in der zweiten Erhebungswelle im November etwa 1200 Personen teil.

      Mehr: kfmv.ch/lau

    Welche Auswirkungen hatte die Pandemiezeit auf die Jugendlichen?

    Stress und psychische Belastungen haben aufgrund der Covid-19-Pandemie allgemein zugenommen – davon waren Kinder und Jugendliche besonders stark betroffen: Studien zeigen, dass Jugendliche während der Corona-Zeit insbesondere wegen Sorgen um die Zukunft sowie unter Stress gelitten haben.

    Geht es den Lernenden tendenziell schlechter als vor der Corona-Pandemie?

    Spezifisch auf die KV-Lernenden bezogen ist dies aufgrund der Resultate der Lehrabgänger:innen-Umfrage schwierig zu beurteilen. Viele andere Studien weisen jedoch darauf hin, dass die mit der Corona-Pandemie verbundenen Massnahmen besonders starke Auswirkungen auf Jugendliche und Kinder gehabt haben. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erwähnen, dass die Umfrage im November 2021 stattgefunden hat, als es im Gegensatz zu heute noch Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus gab. Die Resultate der Umfrage müssen daher als Momentaufnahme in einer aussergewöhnlichen Zeit gewertet werden.

    Durch Homeoffice und Homeschooling sind wichtige Kontakte weggefallen. Wie sind die jungen Berufsleute damit klargekommen?

    Da Jugendliche im Vergleich zu anderen Altersgruppen wenig Erfahrung mit herausfordernden Situationen haben, traf sie die Kontakt-Einschränkung besonders stark. Zudem mussten Jugendliche auf wichtige Erlebnisse und soziale Meilensteine verzichten: Wie der Übertritt ins Erwerbs- und Erwachsenenleben, Feiern zum Abschluss der Berufsbildung oder zum Erreichen der Volljährigkeit, die ersten Ferien ohne die Eltern oder das Besuchen von Veranstaltungen, Konzerten und Partys. All dies fand für eine gewisse Zeit entweder gar nicht oder nur eingeschränkt vor dem Bildschirm statt. Der Verzicht auf diese wichtigen Erfahrungen hat sich tendenziell negativ auf die Psyche der Jugendlichen ausgewirkt.

    Was können Berufs- oder Praxisbildner:innen und Lernende unternehmen, wenn man merkt, dass es jemandem nicht gut geht?

    So unterschiedlich die Probleme bei Lernenden sein können, so unterschiedlich sind die Hilfestellungen. Sich für die Lernenden Zeit nehmen und genau zuhören, ist sicher ein guter erster Schritt. Wenn es Lernenden jedoch über einen längeren Zeitraum nicht gut geht, ist es auch wichtig, anzuerkennen, dass es professionelle Hilfe bedarf. In diesem Zusammenhang ist für Berufs- und Praxisbildner:innen z.B. das Angebot Friendly Work Space Apprentice von Gesundheitsförderung Schweiz zu empfehlen: Das beinhaltet Kurse, eine nützliche Werkzeugkiste und Informationsmaterial für Berufsbildende zur Förderung der psychischen Gesundheit von Lernenden. Individuelle Beratung bieten auch die Profis des Kaufmännischen Verbands von der Fachgruppe «wbp – Wir Berufs- und Praxisbildner:innen» an. Lernenden empfehlen wir, der oder dem betroffenen Mitlernenden nahezulegen, sich an eine lokale Beratungsstelle zu wenden.  

    Empfehlen Sie Homeoffice für KV-Lernende auch nach der Krisenzeit fix einzuführen?

    In Nichtkrisenzeiten schätzen viele Jugendliche das Homeoffice - vorausgesetzt, dass die Betreuung gut ist und die Arbeit sowohl zu Hause wie auch im Büro stattfindet. Dafür müssen Lernende sowie Berufs- und Praxisbildner:innen besser und systematischer auf die Arbeitssituation Homeoffice vorbereitet werden. Es braucht zum Schutz der Lernenden Regeln, die Homeoffice während der Ausbildung ermöglichen, aber auch eingrenzen. Der psychischen Gesundheit der Lernenden muss dabei auf jeden Fall Sorge getragen werden. Der Kaufmännische Verband unterstützt Berufs- und Praxisbildner für den Umgang mit Homeoffice.

    Erstmals veröffentlicht: 07.04.2022

    «Der Verzicht auf wichtige Erfahrungen hat sich tendenziell negativ auf die Psyche der Jugendlichen ausgewirkt.»
    Kathrin Ziltener

    Zusammenarbeit mit Gesundheitsförderung Schweiz

    Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert die Stiftung Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten. Das langfristige Ziel ist eine gesündere Schweiz. Seit 1.4.2022 besteht eine Partnerschaft zwischen dem Kaufmännischen Verband Schweiz und Gesundheitsförderung Schweiz. Der Fokus liegt dabei auf der Gesundheit der Lernenden sowie die Gesundheitsförderung im Homeoffice.

    Gesundheitsförderung Schweiz

    Zur Person

    1. Kathrin Ziltener ist Fachverantwortliche Berufsbildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz. Jährlich analysiert sie die Situation der Lehrabgänger:innen und setzt sich für eine fortgeschrittene und zukunftsfähige Grundbildung ein.

    Autorin

    • Claudia Agnolazza

      Communications Manager beim Kaufmännischen Verband Schweiz

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