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Die Kunst der Unternehmenskultur

Besonders in unsicheren Zeiten, wenn Menschen einen Sinn in ihrer Arbeit suchen, ist eine gute Unternehmenskultur entscheidender denn je. Egal, ob Nestlibauer oder Nomaden, ob Boomer oder Snowflakes, ob zu Hause oder im Büro – Was jetzt zählt, ist Wertschätzung, Wohlbefinden und Orientierung.

Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsmarkt – so wie ihn sie bis anhin kannten – aufgewühlt. Unternehmen wurden ohne Vorlaufzeit gezwungen, neue Arbeitszeitmodelle einzuführen; In besonders angespannten epidemiologischen Zeiten wurde auch eine Homeoffice-Pflicht erlassen. Die richtigen technischen Strukturen zu schaffen, war dabei das kleinste Problem. Kulturell und organisatorisch jedoch standen und stehen wir vor einer riesigen Herausforderung.

Nachhaltigkeit in der Personalpolitik wurde zwar schon in der Zeit vor Corona für Unternehmen immer mehr zum Thema, jetzt aber kann sie der Rettungsanker zum Überleben werden.

Unternehmen und Angestellte, die sich als attraktive Arbeitgeber:innen positionieren konnten, sind jetzt im Vorteil gegenüber solchen, die sich nicht auf die neue Arbeitswelt eingestellt haben. Denn wer flexible Arbeitszeitmodelle, den Abbau von Hierarchien, mehr Autonomie und Verantwortung für Mitarbeitende bereits eingeführt hat, der kann jetzt auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden zählen, auch wenn sie nicht mehr tagtäglich physisch vor Ort erscheinen und ihre Arbeiten bis ins Detail kontrollierbar sind. Es zahlt sich gerade in Krisensituationen aus, wenn die Angestellten es sich gewohnt sind, mitzudenken und mitzureden.

Entscheidend für die Solidarität der Arbeitnehmenden gegenüber ihren Arbeitgeber:innen und vice versa ist die Identifikation des Personals mit dem Unternehmen. Eine Unternehmenskultur, die das ermöglicht, entsteht aber nicht von heute auf morgen. Bis vor kurzem hatten Firmen Mühe, qualifiziertes Personal zu finden und es zu behalten. Insbesondere Millennials und Snowflakes wechselten häufig die Stelle, was die Betriebe teuer zu stehen kam. Jetzt aber bangen viele um ihre Jobs und wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Veränderte Arbeitswelt

Einer, der in der Unternehmenskultur seit Jahren das zentrale Erfolgsrezept sieht, ist Benno Maggi,  Mitgründer, Partner und Geschäftsführer der Agentur Partner & Partner. Der Wandel der Arbeitswelt, die Arbeitgeberattraktivität und die Unternehmenskultur sind seine Themen als Arbeitgeber. Seine Leitfrage in all den Jahren vor Corona: «Was müssen wir tun, damit wir die richtigen Leute finden, diese sich bei uns wohlfühlen und leistungsfähig sind?»

Blenden wir zurück. 2019  haben Partner & Partner an einen neuen Standort gewechselt. Die Räume im ehemaligen Direktionsgebäude von Sulzer, einem neoklassizistischen Bau, haben sie dabei komplett neu interpretiert. Aus vielen kleinen Räumen machten sie ein Loft mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Die Location könnte auch als Speiselokal durchgehen: Über drei grossen runden Tischen hängen riesige Leuchter, welche zusammen mit einer grosszügigen, offenen Restaurantküche das Zentrum des Raums bilden. Einmal pro Woche kochen hier jeweils vier Mitarbeitende für die ganze Truppe. Das ist Teil der Unternehmenskultur, und alle kommen zum Zug: Berater:innen, Designer:innen, Texter:innen, Programmierer:innen, Geschäftsleitungsmitglieder und Lernende. Ab und zu kocht Maggi, der die Tradition vor vielen Jahren initiiert hat, zusammen mit Kunden. Nicht selten sitzen auch Kinder und Familienmitglieder der Angestellten am Tisch.

Vertrauen und Offenheit

So geht Arbeitswelt 4.0. Kein Empfang, nichts. An einer Säule steht: Help yourself. Obwohl rund 30 Leute präsent sind, ist es erstaunlich ruhig, keine lauten Telefongespräche, kaum Geräusche, nur ein paar Stimmen aus einer Sitzecke, wo sich Mitarbeitende unterhalten, und das Klappern des Geschirrs, weil gerade jemand den Geschirrspüler ausräumt. Was also zeichnet attraktive Arbeitgeber:innen aus? Benno Maggi legt los. Er erzählt vom Verzicht auf Hierarchien, von Selbstorganisation, Solidarität, Mut und Verantwortung, von Fehler- und Kritikkultur, transparenter Kommunikation, Work-Life-Integration und von den Erwartungen an Arbeitgeber:innen. «Wir gehen auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ein, planen langfristig und lassen sie dann machen», sagt Maggi. «Wir fragen sie: Was sind deine Pläne? Was ist deine Mission? Wofür brennst du?»

Eine will auf Weltreise, einer plant Familie, einige wollen das Pensum reduzieren, andere wünschen sich einen zweiten Job. Was auch immer. Die Biografien sind im Fluss, man lebt in mehreren Welten und will sie unter einen Hut bringen. Das ermöglicht die Agentur und profiliert sich dadurch als gefragte Arbeitgeberin. Diese Flexibilität schätzen die Mitarbeitenden und bleiben dem Unternehmen treu. «Room for growth» steht an der Eingangstür geschrieben. «Wir haben wenig Fluktuation. Die Leute verändern sich und bringen genug neue Impulse. Das ist nachhaltiger», so Maggi. Die Homeoffices sind längst etabliert und mit ihnen die dafür notwendige Arbeitsmethodik und Ethik.

Und doch ist jetzt plötzlich alles anders. Die Branche und mit ihr die Agentur trifft Corona wirtschaftlich hart. Der Kollateralschaden kann dank einer intakten Unternehmenskultur und flexiblen Arbeitszeitmodellen jedoch eher verhindert werden. Wer sich im Job wohlfühlt, identifiziert sich mit dem Unternehmen und ist bereit, mehr zu leisten. Gerade in schwierigen Zeiten.

«Wir gehen auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ein, planen langfristig und lassen sie dann machen.»
Benno Maggi

Diversität und Solidarität

Partner & Partner erlauben seit bald zehn Jahren bewusst jedes Arbeitszeitmodell, mit unterschiedlichen Anteilen von Homeoffice. Das kommt ihnen jetzt zugute: So erfordert die Corona-Krise keine grossen Umstellungen, sondern nur eine höhere Belastung des bereits erprobten Systems.

Auf die Frage nach dem Grund dieses Arbeitszeitmodells antwortet Benno Maggi: «Bei uns arbeiten Boomers, Millennials und Snowflakes, Uni- und Fachhochschulabsolventen, Mitarbeitende mit Berufsabschluss, Autodidakten, Lernende. Sie alle leben in unterschiedlichen Lebenssituationen: Familie, Empty Nester, Geschiedene, Patchwork, Paar, Singles, WG, Hotel Mama. Wir haben Nestlibauer und Nomaden, Schnelle und Genaue, Selbstbewusste und Schüchterne – sie alle haben unterschiedliche Bedürfnisse. Das mit diesem Modell zu koordinieren, stresst die Organisation zwar, aber bringt sie vor allem weiter.» Diversity Management nennt Maggi das. Nachhaltiges Arbeiten bedeute ein Geben und Nehmen. Nur wer seinen Mitarbeitenden ermögliche, was sie wünschten, könne von ihnen auch fordern, was er brauche. «Das ist unser Credo, und davon profitieren wir jetzt.» Er spricht vom Ineinandergreifen unterschiedlicher Lebenswelten mit Profit für beide Seiten.

Aber rechnet sich das? Benno Maggi kontert: «Ja, denn Fluktuation ist das, was sich nicht rechnet. Und die ist in unserer Branche recht hoch. Zu häufige Wechsel verschleissen Mitarbeitende und Kunden und sind schlecht für das Arbeitsklima. Wir kennen das nicht.»

Und in der aktuellen Situation? «Die ist eine Extrembelastung für alle. Wir profitieren aber jetzt von der Selbständigkeit jedes einzelnen und der Solidarität untereinander. Aber was Corona für einen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden anrichten wird, wissen wir nicht. Sicher ist, dass die Kultur der Transparenz jetzt hilft, dass die Mitarbeitenden nicht in Panik geraten, sondern das tun, was jetzt gefragt ist. Ich bin beeindruckt, wie selbständig und eigenverantwortlich im Sinne des Unternehmens gerade von allen gehandelt wird und die von der Krankheit Betroffenen nicht stigmatisiert werden. Unsere Leute engagierten sich schon vorher nicht bei uns, weil sie Ende Monat möglichst viel Geld in der Kasse haben wollten, sondern weil sie hier etwas bewirken und mitgestalten können.»

Erstmals veröffentlicht 12.5.2020

Aktualisiert: 8.2.2022

«Bei uns arbeiten Boomers, Millennials und Snowflakes, Uni- und Fachhochschulabsolventen, Mitarbeitende mit Berufsabschluss, Autodidakten, Lernende.»
Benno Maggi

Autor

  • Rolf Murbach

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