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«Die Lernkultur muss sich verändern»

Wir sollten die Zeit im Büro als Quality Time nutzen, zum Ideen- und Wissensaustausch, sagt Barbara Josef. Und sie hält es für enorm motivierend, wenn man von- und miteinander lernt.

Frau Josef, Sie engagieren sich seit vielen Jahren für neue Arbeitsformen. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stellten die Unternehmen praktisch über Nacht auf Homeoffice um. Hat es Sie überrascht, wie schnell es plötzlich ging?

Barbara Josef: Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Umstellung erfolgte, und zwar querbeet, vom KMU über die Verwaltung zum Grossunternehmen. Das zeigt uns, dass viele Barrieren, die es zuvor gab, nur in den Köpfen existierten und es eigentlich auch schon vorher möglich gewesen wäre, flexibler zusammenzuarbeiten.

Sie haben vor zehn Jahren bei Microsoft zusammen mit anderen Firmen den Homeoffice Day lanciert. Dass man auch von zu Hause aus arbeiten könnte, war eine völlig neue Idee.

Damals hatten wir eine Vision, und zwar stellten wir uns vor, dass flexible Arbeitsformen eines Tages so etabliert sein würden, dass wir im Gegenzug wieder einen Office Day würden propagieren müssen. Dabei wäre es um die Frage gegangen, wann und in welcher Absicht wir wieder im Büro präsent sind. Eigentlich ist genau das nun eingetroffen. 

Der Büroarbeitstag soll neu definiert werden?

Es wäre tatsächlich schade, wenn wir nach Corona einfach dort weitermachen würden, wo wir stehen geblieben sind. Wir sollten die Zeit im Büro als Quality Time sehen, also zum Ideen- und Wissensaustausch und zur Pflege von Beziehungen, und nicht indem jeder für sich stundenlang stumm vor dem PC sitzt und seine Pendenzen abarbeitet. Konsequenterweise sollten wir im Mail-Account eine In-The-Office-Message hinterlegen, welche informiert, dass wir im Büro sind und deshalb erst am folgenden Tag antworten werden.

Wo sehen Sie positive Aspekte in der Zeit des Lockdown?

Wir haben während dieser Phase einen Crashkurs in der Nutzung digitaler Instrumente absolviert und neue Formen der Zusammenarbeit erlernt. Daraus haben wir Vertrauen gewonnen. Auf manches waren wir nicht vorbereitet, oft mussten wir improvisieren. Mir gefällt in dem Zusammenhang der Ausdruck Best Effort sehr gut. Jeder gibt sein Bestes – und das muss in einer so ausserordentlichen Lage reichen. Ich hoffe, dieses Prinzip löst das unsinnige Streben nach einer Fehlerkultur ab.

Welche Chancen haben sich für die Unternehmen durch die Pandemie eröffnet?

Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen, dass es jetzt gar kein Change Management mehr braucht – zumindest fällt die Überzeugungsarbeit weg. Es haben alle in den vergangenen Monaten reelle Erfahrungen mit neuen Arbeitsformen gesammelt, die viel stärker wirken. Was es jetzt aber dringend braucht, ist ein gemeinsames Aushandeln der neuen Zusammenarbeit. Etwas vereinfacht gesagt geht es darum, das Beste aus der Welt vor und während Corona zusammenzuführen in ein neues Verständnis von Zusammenarbeit, das weit über «mehr Homeoffice» hinausgeht.

Zur Person
Barbara Josef (44) ist Mitgründerin der Firma «5to9», welche Organisationen in die digitale Zukunft begleitet. Bevor sich die HSG-Absolventin selbstständig machte, war sie bei Microsoft Schweiz Leiterin Kommunikation und gesellschaftliches Engagement.

Wie hat sich der Stellenwert von Homeoffice verändert?

Homeoffice ist nichts anderes als ein Symbol für eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und Wohlwollens. Natürlich hat es auch Vorteile für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie den Umweltschutz – und dies oft ohne Einbussen an Interaktionsqualität. Doch mir ist wichtig zu betonen, dass eine echte Transformation sich nicht darauf beschränkt, ein physisches Format durch ein digitales zu ersetzen, sondern darüber hinaus zu denken. Indem Firmen ihren Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung und Autonomie einräumen, eröffnet sich ihnen dadurch auch ein viel grösserer Talentmarkt – nicht nur geografisch.

Was tun, wenn die Leute nicht mehr zurück ins Büro wollen?

In einer gesunden Kultur ist diese Angst unbegründet. Bei allen positiven Erfahrungen im Homeoffice haben viele Angestellte ihre Kolleginnen und Kollegen doch vermisst. Sie sind sich bewusst, dass die Gemeinschaft sie auch inspiriert und ihnen Energie gibt. Und sie fühlen sich im Rahmen des Büroalltags als Teil von etwas Ganzem. Die Kunst besteht nun darin, eine gute Balance zu finden.

Was ist für Sie gute Führung?

Vor dem Hintergrund der aktuellen Umbruchsituation und Veränderungsdynamik ist gute Führung für mich situative Führung – sowohl in Bezug auf die zu lösende Herausforderung als auch die Individualität der Mitarbeitenden. Führungskräfte müssen heute in der Lage sein, zwischen verschiedenen Rollen zu wechseln. Einmal geht es darum, vorauszugehen und Orientierung zu schaffen, ein anderes Mal braucht es vielmehr den Coach im Hintergrund oder die Fragestellerin.

Wir führen dieses Gespräch im Wunderraum, einem Coworking Space in Pfäffikon. Hier befindet sich ihr Arbeitsplatz. Was gefällt Ihnen hier?

Alles. Vor allem beindruckt mich, wie deutlich und verbindlich die Werte und Vision der beiden Gründerinnen erlebbar sind. Für sie ist ein Coworking Space eine Art Club von Gleichgesinnten, der gleichzeitig Heimat und Inspiration bietet. Man kommt miteinander ins Gespräch und trifft auf Unerwartetes und Neues. Wir sprechen von Accelerated Serendipity und meinen damit, dass wir dem glücklichen Zufall ein wenig auf die Sprünge helfen.

Der Coworking Space hat gegenüber dem Homeoffice einige Vorteile.

Im Coworking Space ist das Umfeld professioneller als zu Hause. Man kann es auch als eine subtile Form von Weiterbildung betrachten, wenn man beispielsweise beim Kaffeetrinken mit einem Startup-Gründer Einblick in dessen Arbeitswelt erhält. Es wäre ideal, wenn sich Angestellte neben – sagen wir einmal – zwei fixen Büroarbeitstagen flexibel zwischen Homeoffice und Coworking Space entscheiden dürften. Die Firmen könnten ihre eigenen Büroflächen verschlanken und im Gegenzug den Mitarbeitenden ein Abo für den Coworking Space finanzieren. Beide Seiten könnten so profitieren. Ich verwende dafür den Begriff New Deal.   

Die Arbeitsweise in den Unternehmen verändert sich. Wie kann da die Weiterbildung mithalten?

Wir denken oft zuerst an das Vermitteln von neuen Inhalten, vergessen aber, dass sich auch die Lernkultur und Lernmethodik verändern müssen, wenn wir neue Themen nachhaltig verankern wollen. Man kann beispielsweise Agilität oder Unternehmergeist nicht schulen, nur erlebbar machen. Mit einem meiner Kunden habe ich kürzlich eine Unconference gemacht. Das ist nichts anderes als ein Marktplatz, wo jedes Mitglied der Organisation gleichzeitig Nachfrager und Anbieter von Inhalten ist – anstatt dass man von aussen Wissen auf Vorrat «zukauft». Dieses Format überzeugt mich aus drei Gründen sehr. Erstens macht man das Wissen und die Erfahrungen der Menschen in der Organisation sichtbar. Zweitens zahlt dieses Format super auf die Themen Eigenverantwortung und Intrapreneurship ein – Kompetenzen, die sich die meisten Organisationen wünschen. Drittens ist es enorm motivierend, wenn man von- und miteinander lernt, quasi auf Augenhöhe.

«Führungskräfte müssen heute in der Lage sein, zwischen verschiedenen Rollen zu wechseln. Einmal geht es darum, vorauszugehen und Orientierung zu schaffen, ein anderes Mal braucht es vielmehr den Coach im Hintergrund oder die Fragestellerin.»
Barbara Josef

Eine Tagung also ohne fixen Ablauf?

Eine klassische Unconference hat tatsächlich keine fixe Agenda. Diese entsteht am Tag selber. Wir sind davon ein wenig abgewichen, indem wir im Vorfeld die Bedürfnisse und Angebote der Teilnehmenden abgeholt und «gematched» haben. Und trotzdem konnte jeder, jede den Tag frei gestalten und bestimmen, wie er oder sie sich einbringt. Am meisten hatte mich beeindruckt, als die Direktorin am Morgen sagte, dass sie sich riesig auf den Tag freue, aber keine Ahnung habe, wie er herauskommen werde und deshalb auch ein bisschen nervös sei. Genau um das geht es doch: auch die eigene Verletzlichkeit zu thematisieren. Lernen ist immer mit Unsicherheit verbunden und wer diese einfach wegdrückt ist nicht ehrlich zu sich und den anderen.

Was zeichnet das Unternehmen als Lernort aus?

Für mich gibt es drei Formen von Lernen, die wichtig sind. Da ist zum einen das permanente Microlearning, also beispielsweise wenn jemand ins Teammeeting kommt und den Kolleginnen und Kollegen einen Trick mit einem digitalen Instrument zeigt. Ein weiteres Thema ist Erfahrungslernen, zum Beispiel, indem Mitarbeitende in einem interdisziplinären Projekt sind, dem ein externer Coach zur Seite gestellt wird und das Projektteam unterstützt. Und dann gibt es auch das soziale Lernen, also ganz im Sinne der Unconference, wo man in irgendeiner Form vom Wissen der Kollegen und Kolleginnen profitiert.

Nehmen die Unternehmen ihre Verantwortung bezüglich Weiterbildung ihrer Angestellten in ausreichendem Masse wahr?

Ja, ich finde, das tun sie – ich frage mich eher, ob die Angestellten ihren Teil beitragen. Die Offenheit für Neues und der Lernhunger müssen schon vom Mitarbeiter, von der Mitarbeiterin ausgehen, sonst bringt das beste Programm nichts. Bei der Frage, was es braucht, um fit zu sein für das digitale Zeitalter geht es am Ende meist um Selbstreflexion und Haltungsfragen und gar nicht um konkrete Bildungsinhalte. Und hier sind beide Seiten gefordert: Unternehmen müssen vermehrt Reflexions- und Lernräume schaffen beziehungsweise im Alltag integrieren und die Mitarbeitenden sollten sich stärker darauf einlassen.

Welchen Stellenwert haben formale Abschlüsse noch?

Ich finde, sie haben noch immer einen hohen Stellenwert. Wobei es weniger um den erlernten Inhalt geht, als um ein Signal, dass sich jemand weiterentwickeln will und Eigenverantwortung übernimmt.

Was empfehlen Sie jungen Leuten, damit sie erfolgreich werden im Beruf?

Dass sie ihre Neugierde und Begeisterungsfähigkeit während ihrer ganzen Berufslaufbahn nie verlieren. Das ist eigentlich das Wichtigste.

Veröffentlicht am: 30.6.2020

«Bei der Frage, was es braucht, um fit zu sein für das digitale Zeitalter geht es am Ende meist um Selbstreflexion und Haltungsfragen und gar nicht um konkrete Bildungsinhalte.»
Barbara Josef

Weitere Informationen

Im Office bei Barbara Josef, Mitgründerin der Firma «5to9»

Autorin

  • Therese Jäggi

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