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Neue Homeoffice-Realität erweist sich als grosse Herausforderung für Lehrbetriebe

Trotz düsterer Prognosen hat die Corona-Krise kaum einen Einfluss auf die Bereitschaft der KV-Betriebe, neue Lernende auszubilden oder Lehrabgänger/innen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Betreuung der Jugendlichen im Homeoffice, wie eine neue Umfrage des Kaufmännischen Verbands zeigt.

Im Mai und Juni 2021 hat der Kaufmännische Verband Schweiz KV-Lehrbetriebe und ihre zuständigen Berufs- und Praxisbildner/innen zu den Ausbildungsbedingungen während der Corona-Pandemie befragt. Die Umfrageteilnehmenden bestätigen, dass die Anzahl Arbeitsplätze und Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach der Ausbildung auf gleich hohem Niveau bleiben wie vor der Krise. Handlungsbedarf besteht jedoch in Bezug auf die neue Homeoffice-Realität, die auch nach der Pandemie ein fester Bestandteil des kaufmännischen Berufes bleiben wird und in vielen Büros zu erwarten ist. 

Damit Lernende und ihre Ausbildner/innen in Zukunft besser und vor allem systematisch auf die neuen Arbeitsformen vorbereitet werden, braucht es neue Strategien, Konzepte und Regeln für die Berufslehre. Entsprechend fordert der Kaufmännische Verband Schweiz den Bundesrat auf, Bericht darüber zu erstatten, ob angesichts der sich verändernden Arbeitsrealität von Ausbildungsbetrieben eine Anpassung des Arbeitsgesetzes sowie der entsprechenden Verordnungen angesagt ist; insbesondere unter Art. 1 lit. der Verordnung des WBF über Gefährliche Arbeiten für Jugendliche ab 15 Jahren. Ein besonderes Augenmerk gilt Lernenden, die in Branchen und Unternehmen arbeiten, in denen flexible Arbeitsformen auch nach der Corona-Pandemie erhalten bleiben oder gefördert werden.  

Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbands, hat eine entsprechende Interpellation in der Herbstsession 2021 eingereicht. Darin werden das Verhältnis von Homeoffice und Arbeit vor Ort sowie der Gesundheitsschutz und die psychische Gesundheit von Lernenden bezüglich Homeoffice klar thematisiert.

In diesem Zusammenhang hat die Fachgruppe «wbp – Wir Berufs- und Praxisbildner/innen» ausserdem das Merkblatt «Homeoffice für KV-Lernende» überarbeitet und ergänzt. Es liefert wichtige Informationen und Praxistipps und steht Lernenden sowie Berufs- und Praxisbildner/innen kostenlos zur Verfügung. 

Das Ziel der Umfrage unter den Ausbildungsbetrieben war, den Puls der Ausbildner/innen von KV-Lernenden zu fühlen und herauszufinden, wo es im Handlungsbereich des Kaufmännischen Verbandes sowie auf politischer Ebene Justierungsbedarf gibt. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick: 

Umfrageergebnisse

  1. Die Ergebnisse der Umfrage bei über 700 Berufs- und Praxisbildner/innen haben erfreulicherweise gezeigt, dass die Krise kaum Einfluss auf die Bereitschaft der Betriebe, neue Lernende auszubilden, hatte. 80 Prozent aller befragten Personen gaben an, dass in ihren Betrieben gleich viele Lernende wie in den Vorjahren eingestellt werden. Nur fünf Prozent der befragten Betriebe stellen in diesem Jahr weniger Lernende ein, drei Prozent planen, mehr einzustellen und zehn Prozent gaben an, dass sie im Sommer 2021 unabhängig von der Covid-19-Krise mehr oder weniger Lernende einstellen, als in den Vorjahren.

    Ein ähnliches Bild kann für die Weiterbeschäftigungspraxis der Betriebe von Lehrabgänger/innen gezeichnet werden. 76 Prozent der Befragten gaben an, dass die Pandemie keinen Einfluss auf die Anzahl der Lehrabgänger/innen habe, die nach Lehrabschluss im Betrieb bleiben können. Acht Prozent der Befragten behalten aufgrund der Krise weniger Lehrabgänger/innen, drei Prozent wiederum bieten den Lernenden (bewusst) ausnahmsweise eine Anschlusslösung an. Unabhängig von der Covid-19-Krise änderten acht Prozent der Befragten ihre Weiterbeschäftigungspraxis. Bei dieser Umfrage wurde die Art der Beschäftigung nach der Lehre (Festanstellung, befristete Anstellung, Praktikum) nicht erfragt.

  2. Von den befragten Berufs- und Praxisbildner/innen berichteten nur ein Fünftel von Herausforderungen aufgrund der wirtschaftlichen Situation. In Bezug auf die «Allgemeine Auftragslage / Arbeitsauslastung» gaben jedoch knapp die Hälfte der befragten Berufs- und Praxisbildner/innen an, dass diese eine Herausforderung darstellten.

    Es zeigt sich also, dass eine vorübergehend veränderte Arbeitsauslastung nicht zwingend zu einem Rückgang an angebotenen Lehrstellen und Anschlusslösungen nach der Lehre führt, was als sehr positiv zu bewerten ist.

  3. Weniger positiv sehen die Ergebnisse der Befragung rund um die Betreuung von Lernenden während der Krise aus: So empfanden 71 Prozent der Befragten die Ausübung ihrer Rolle als Berufs- und Praxisbildner/in angesichts der Covid-19-Krise als herausfordernd. Insbesondere die Betreuung im Homeoffice stellte sich als besonders schwierig heraus. Zudem berichteten mehr als die Hälfte aller Berufs- und Praxisbildner/innen von Motivationsproblemen der Lernenden aufgrund der Covid-19-Krise.

    Tendenziell positiv zu bewerten ist, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Bereitstellung der Infrastruktur für die Arbeit im Homeoffice als wenig herausfordernd empfanden. Dies deutet darauf hin, dass die betriebliche Berufsbildung im kaufmännischen Bereich für weitere Digitalisierungsfortschritte gewappnet ist.

  4. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Krise kaum einen Einfluss auf die Bereitschaft, Lernende einzustellen oder Lehrabgänger/innen zu behalten hatte. Im Bereich Homeoffice gab es jedoch viele Ausbildner/innen, die von Schwierigkeiten berichten, die Lernenden zu betreuen. Oftmals fehlte ihnen und auch den Lernenden das nötige Wissen bezüglich Voraussetzungen, Wissensvermittlung, gesetzliche Lage und Bedürfnisse von Jugendlichen, bzw. die Vorbereitung auf eine solche Arbeitssituation.

    Gegeben, dass Homeoffice auch in Zukunft einen festen Platz in Büroberufen einnehmen wird, ist der kaufmännische Verband der Ansicht, dass sowohl Berufs- und Praxisbildner/innen, wie auch Lernende besser und vor allem systematischer auf diese Arbeitssituation vorbereitet werden müssen und es Regeln für Homeoffice während der Ausbildung braucht. Dabei gilt es, die Gesundheit der Lernenden zu schützen und in diesem Zusammenhang ein besonderes Augenmerk auf die psychische Gesundheit zu legen.

Interpellation des Präsidenten

In der Herbstsession 2021 hat Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbands, eine entsprechende Interpellation zum Verhältnis von Homeoffice und Arbeit vor Ort sowie zum Gesundheitsschutz und der psychischen Gesundheit von Lernenden eingereicht. Darin stellt er dem Bundesrat folgende Fragen: 

  • Geht der Bundesrat davon aus, dass sich die Ausbildung von Lernenden in Berufen, wo örtlich flexible Arbeit (z.B. Homeoffice) möglich und gewünscht ist, ändert? Und inwiefern?
  • In welchem Verhältnis soll in Zukunft Homeoffice und Arbeit vor Ort für Lernende zulässig sein? Ist es für den Bundesrat denkbar, dass Lernende ihre Ausbildung in Zukunft mehrheitlich im Homeoffice absolvieren? Und falls nicht, wie plant der Bundesrat, dies zu verhindern?
  • Welchen Einfluss hat die veränderte Arbeitsorganisation von Berufsbildner/innen auf die Ausbildung der Lernenden? Ist es denkbar, dass Lernende in Zukunft von Berufsbildner/innen ausgebildet werden, die mehrheitlich örtlich flexibel arbeiten?
  • Wenn davon ausgegangen wird, dass sich die neue Realität durchsetzt, wie kann dann sichergestellt und überprüft werden, dass die Arbeitssicherheit für Lernende im Homeoffice gewährleistet wird? Und wie kann sichergestellt und überprüft werden, dass Artikel 1 lit. a der Verordnung des WBF (Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung) über «Gefährliche Arbeiten für Jugendliche» eingehalten wird?

Anfang Dezember 2021 hat der Bundesrat unsere Interpellation beantwortet und bestätigt, dass eine praxisnahe Vorbereitung auf die neuen Arbeitsformen bereits während der beruflichen Grundbildung sinnvoll ist, damit die Lernenden nicht erst nach der Lehre mit der Realität des Arbeitsmarkts konfrontiert werden. Um die Arbeitssicherheit/Ergonomie und den Jugendschutz sicherzustellen, verweist der Bundesrat auf die Verantwortung der jeweiligen Berufsbildner/innen und Kantone. Dieser Punkt geht dem Kaufmännischen Verband nicht weit genug. Eine gesamtschweizerische Strategie ist vonnöten, um gerade in den Dienstleistungsberufen mit viel Homeoffice-Möglichkeit, Ausbildner/innen sowie die Lehraufsicht der Kantone zu einem sicheren Umgang mit Homeoffice zu sensibilisieren. Gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen wird sich der Kaufmännische Verband auch im kommenden Jahr für bessere Hilfestellungen sowohl für Berufs- und Praxisbildner/innen wie auch für Lernende einsetzen.

Zur Interpellation 21.3999 

«Wir haben Homeoffice in unsere betriebliche Ausbildung bewusst integriert, weil wir gerade die jüngste Generation auf die Arbeitswelt von morgen vorbereiten möchten. Sie vom Wandel auszuschliessen, wäre nicht zielführend.»
Elio Toto, Berufsbildner bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung und Teilnehmer der wbp-Umfrage

Forderungen des Kaufmännischen Verbands

Für den kaufmännischen Verband ist klar, dass auf die Frage, ob Lernende auch in Zukunft im Homeoffice arbeiten sollen, «Ja, aber…» geantwortet werden muss.

Wenn Homeoffice Teil der Arbeitsrealität von vielen Berufen und allen voran von den kaufmännischen Berufen bleibt, sollen Lernende auch diesen Aspekt kennenlernen und erlernen können. Jedoch zeigen zahlreiche Studien zur Pandemie und ihren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, dass insbesondere Jugendliche unter fehlendem Kontakt leiden. Diese beiden Aspekte gilt es auszutarieren und zwar mit klaren Regeln sowie Hilfestellungen für Berufs- und Praxisbildner/innen und Lernende.

Erstmals veröffentlich: 16.08.2021
Aktualisiert: 03.12.2021

«Lernende und Berufs- und Praxisbildner/innen müssen besser und systematischer auf die Arbeitssituation Homeoffice vorbereitet werden. Dafür braucht es zum Schutz der Lernenden Regeln, die Homeoffice während der Ausbildung ermöglichen, aber auch eingrenzen. Der psychischen Gesundheit der Lernenden muss dabei auf jeden Fall Sorge getragen werden.»
Kathrin Ziltener, Fachverantwortliche Grundbildung & Jugendberatung beim Kaufmännischen Verband Schweiz

Autorin

  • Kathrin Ziltener

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