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Die Frauen sind auf dem Vormarsch

Dank Erkenntnis, Hartnäckigkeit und politischem Druck steigt der Frauenanteil in den Chefetagen kontinuierlich. Die Ziele sind aber noch lange nicht erreicht.

Der Erfolg von durchmischten Teams, der sich akzentuierende Fachkräftemangel, das brachliegende Potenzial einer hervorragend ausgebildeten Bevölkerungshälfte – es spricht vieles für mehr Gender Diversity bei der Unternehmensführung. Vor zwei Jahren (2020) griff diesbezüglich erstmals die Politik in die Wirtschaft ein: Grosse börsenkotierte Unternehmen mit Sitz in der Schweiz müssen bis 2025, resp. bis 2030, mindestens 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent in der Geschäftsleitung haben. Wer diese Richtwerte nicht erfüllt, muss zumindest die Gründe im Vergütungsbericht angeben und Massnahmen zur Verbesserung darlegen. Damit ist die Forderung klar: Das Parlament will «der verfassungsmässigen Pflicht zur Gleichstellung von Frau und Mann Rechnung tragen», wie es in einer entsprechenden Mitteilung des Bundes heisst.

SMI-Unternehmen bei 19 Prozent

Die 20 Schweizer Unternehmen, die im Swiss Market Index SMI vertreten sind, haben in der Geschäftsleitung einen Frauenanteil von 19 Prozent. In den Verwaltungsräten dieser Unternehmen liegt der Frauenanteil bereits bei 30 Prozent. Die Zahlen stützen sich auf den Schillingreport 2022, welcher jährlich die Führungsgremien der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber:innen untersucht und weitere Erkenntnisse aus diesem Bereich präsentiert.

Wenn man das Blickfeld etwas weiter öffnet, ist die Entwicklung aber durchaus spürbar. Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 im Schillingreport untersuchten Firmen erreichte dieses Jahr mit 17 Prozent einen Rekordwert und entwickelte sich um satte vier Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. 2005 lag er noch bei lediglich vier Prozent. In den Verwaltungsräten stieg der Frauenanteil auf 26 Prozent. Ein Grossteil des Wachstums fand nach 2018 statt, also zu der Zeit, als die Diskussion über Frauenquoten in der Schweiz lauter wurde. Dass der Druck auf die Firmen steigt, zeigt sich ganz besonders bei den Neueinstellungen: So gingen im Jahr 2021 rund 36 Prozent der freien Geschäftsleitungspositionen an Frauen.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass immer noch 31 Prozent der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber keine einzige Frau im obersten Führungsgremium beschäftigen – es gibt also noch viel Luft nach oben.

Gender Diversity
Grosse börsenkotierte Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sollen mindestens 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent in der Geschäftsleitung haben.

«Das beste Training für meinen Job sind meine Kinder»

Regina Grossmann hat in ihrem Leben nie gross geplant. Sie ist ihren Interessen gefolgt und hat Medizin studiert, um danach in der Chirurgie erste Berufserfahrungen zu sammeln. Nach einer Afrikareise wusste sie: «Der Klinikbetrieb ist nichts für mich» – und kündigte ins Blaue. Nach zwei weiteren Schlaufen gelangte sie zur Forschung am Universitätsspital Zürich. Und blieb hängen. «Die Forschung ist sehr stark reguliert, gleichzeitig sind extrem gute Ideen vorhanden. Dieses Spannungsfeld zwischen Regeln und Kreativität gefällt mir», erzählt die 40-Jährige. Sie leitet das Clinical Trials Center CTC und begleitet mit ihren 52 Mitarbeitenden klinische Forschungsprojekte. Die Fachärztin amtet als Vermittlerin, wenn es mal brennt. Aber auch sonst kann sie die Leute gut abholen und die nötige Klarheit schaffen. Im Coronajahr 2020 kam sie zwischenzeitlich an den Anschlag, telefonierte von früh bis spät und mutierte zur permanenten Troubleshooterin. Während andere Berufsgruppen zum Nichtstun verdammt waren, befand sich die Forschung im Ausnahmezustand.

Blicken wir zwei Jahre zurück, an einen Wendepunkt im Leben der Familie Grossmann: Als der Anruf ihrer Vorgängerin und heutigen Direktorin Forschung und Lehre Gabriela Senti kam, war Regina Grossmann überrascht. Bis dahin hatte sie ein Teilzeitpensum inne und ihre spontane Antwort, ob sie die Leitung übernehmen wolle, war: «Ich bin mit dem vierten Kind schwanger.» Nach reiflicher Überlegung entschied sie sich, diese einmalige Gelegenheit zu ergreifen. «Der schwierigste Schritt war mich, dass ich in dem Vollzeitjob weniger Zeit mit den Kindern haben würde», erzählt sie. Dank flexiblen Arbeitsbedingungen kann sie aber auch mal einen Mittwochnachmittag frei machen und sagt rückblickend: «Ich bin bewusster bei den Kindern, geniesse die gemeinsame Zeit sicher stärker.» Diese Flexibilität will sie als Chefin und Frauenförderin auch ihren Mitarbeitenden ermöglichen. Im CTC arbeiten 90 Prozent Frauen – der Grossteil davon sind beruflich hochqualifizierte Mütter, die Teilzeit arbeiten und die Vorzüge von Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten schon vor Corona schätzten. Die Gelassenheit, die Ruhe und das Vertrauen, das Regina Grossmann ausstrahlt, hat sie nicht zuletzt ihrer Mutterschaft zu verdanken: «Das beste Training für meinen Job sind zweifellos meine Kinder», sagt sie lachend.

«Ich arbeite mit Herz und Verstand»

Zeit ist Mangelware im Leben von Jorina Zehnder. Wenn es aber um die 35 Mitarbeitenden geht, die ihr unterstellt sind, hat sie immer ein offenes Ohr. «Kommunikation ist mir extrem wichtig. Wenn der Schuh drückt, bin ich da», erklärt die Geschäftsführerin der Versicherungsbroker Macam und VCW. Sie hat eine klare Linie, kommuniziert offen und ehrlich – aber immer wertschätzend. In der Führung setzt die Betriebsökonomin und Versicherungsexpertin auf Teamgeist, Fairness und Vertrauen. Sie spürt heraus, welche Persönlichkeit sie wie nehmen muss, damit die Zusammenarbeit am besten funktioniert. Das hängt natürlich auch von der Funktion und Erfahrung ab. Grundsätzlich erwarte sie von ihren Mitarbeitenden nur, was sie auch selber leisten könne. «Ich arbeite mit Herz und Verstand», sagt Jorina Zehnder. Mit diesem Gleichgewicht ist sie bis jetzt gut gefahren.

In der Unternehmensentwicklung ist die 29-Jährige der kritische Geist, der hinterfragt statt still ausführt. So hat auch Jorina Zehnders Karriereaufstieg begonnen. Als Generalagenten-Assistentin bei der Zurich merkte sie damals an, dass sie im Innendienst Optimierungspotenzial sehe. Kurze Zeit später war sie, mit lediglich 21 Jahren, Leiterin Backoffice. Zahlreiche Weiterbildungen, Disziplin und Engagement brachten die junge Frau schliesslich an die Position, die sie heute innehat. Bereits während des berufsbegleitenden Studiums hat sie die Leitung der Macam AG übernommen, welche sich 2021 durch die Partnerschaft mit VCW deutlich vergrössert hat. Ihre Aufgabe ist es nun, die beiden Unternehmen erfolgreich im Markt zu positionieren. «Man muss Chancen bekommen», sagt Jorina Zehnder, «dann aber auch den Mut haben, diese zu packen.»

Das ist es, was Jorina Zehnder den vielen talentierten und aufstrebenden Frauen am Arbeitsmarkt mit auf den Weg geben möchte: Dass Erfolg Spass machen kann, dass vieles möglich ist – wenn man es einfach ausprobiert.

«Wenn die Exotenrolle verschwindet, wird es für alle einfacher»

Biogen machte vergangenes Jahr mit der weiblichsten Geschäftsleitung der Schweiz Schlagzeilen: Der Frauenanteil der Schweizer Filiale des Pharmaunternehmens liegt bei 70 Prozent. «Ich habe immer auf einen Ausgleich geachtet», erzählt die Geschäftsführerin von Biogen Schweiz Katharina Gasser, «aber diese Quote ist dann doch Zufall.» Dass Biogen weiter ist als viele andere Schweizer Unternehmen, erklärt sich die 49-jährige Zugerin mit der globalen Ausrichtung, dem «War for Talents» und der Offenheit in der Branche. «Das Verständnis für und Bedürfnis nach Diversität, Gleichstellung und Inklusion ist bei uns schon stark verankert.»

Die Geschlechterverteilung ist nur ein Teil des ganzheitlichen Ansatzes für diverse Teams bei Biogen: Es geht auch um Mindset, Erfahrung, Ethnien, Alter, Handicap oder sexuelle Orientierung. «Wenn die Exotenrolle verschwindet, wird es für alle viel einfacher, sich aktiv zu beteiligen.» Früher in ihrer Karriere war Katharina Gasser als Frau selber oftmals in der Minderheit, «da musste ich mich manchmal überwinden, meine Meinung zu vertreten.» Die Mutter eines 21-jährigen Sohnes sagt das so engagiert und selbstbewusst, dass es schwierig vorstellbar ist.

Katharina Gasser ist mit zwei voll berufstätigen Elternteilen aufgewachsen und eigentlich war es für sie nie ein Thema, etwas anderes zu leben. Die Managerin liebt die Herausforderung, sprang immer wieder ins kalte Wasser. Auch mit bald 50 hat sie nichts von ihrer Neugierde eingebüsst. Diese Freude an Dynamik und Veränderung fordert sie auch von ihrem Team ein. «Im Gegenzug bieten wir interessante Entwicklungsmöglichkeiten und familienfreundliche Arbeitsmodelle. Lohngleichheit und flexible Arbeitszeiten gehören für uns ganz selbstverständlich dazu.»

Die Lockerheit, die sie sich in den Jahren angeeignet hat – und die gerne auch eher Männern zugeschrieben wird – würde uns allen guttun, ist Katharina Gasser überzeugt. Zu viel Perfektionismus, das musste sie sich zeitweise eingestehen, bringt nichts. Ein Beispiel? Sie kenne manche berufstätige Mutter, die noch schnell ein bisschen Glasur und Verzierung auf einem gekauften Kuchen verteilt hat, um an der Geburtstagsparty besser dazustehen. «Ich inklusive!»

Veröffentlicht: 18.8.2021
Aktualisiert: 23.9.2022

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Autorin

  • Rahel Lüönd

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