Seitennavigation & Suche

Gleichstellung geht auch Männer etwas an

    In Sachen Gleichstellung spielen auch Männer eine wichtige Rolle. Viele engagieren sich bereits dafür, obwohl das Umfeld in der Schweiz nicht gerade förderlich ist.

    Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter seit 38 Jahren in der Bundesverfassung verankert ist, wird diese in manchen Bereichen noch immer nicht umgesetzt. Frauen sind weiterhin eine kleine Minderheit in den Führungsetagen von Unternehmen, arbeiten viel öfter Teilzeit als ihre männlichen Kollegen und verdienen weniger. Oft ist zu hören, die Frauen müssten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Aber sollten nicht auch Männer ihren Teil zur Gleichstellung beitragen? „Die Ungleichheit betrifft selbstverständlich auch die Männer: Sie sind sowohl Teil des Problems als auch der Lösung“, sagt Sylvie Durrer, Leiterin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau. Ihrer Meinung nach fällt jede Ungleichheit zuungunsten der Frauen auf die Männer zurück und umgekehrt: „Bei Lohnungleichheit zum Beispiel fehlt das Geld kurzfristig den Frauen, aber schliesslich auch ihren Partnern und ihren Familien. Unnötig zu sagen, dass der fehlende Lohn im Fall einer Scheidung ein wichtiger Aspekt ist. Und langfristig beeinflusst er die Höhe der Alters- und auch der Invalidenrente. Kurz gesagt: Das Geld fehlt allen.“ Wie also können Männer mehr zur Gleichstellung beitragen? „Als Gruppe sind sie in der Politik und in den Unternehmensleitungen in der Mehrheit. Sie können also Rahmenbedingungen schaffen, die den Frauen entgegenkommen“, erklärt Sylvie Durrer. Als Einzelpersonen können sie die Berufstätigkeit ihrer Frauen fördern, indem sie Hausarbeiten übernehmen. „Es nervt, wenn gesagt wird, dass ein Mann seiner Frau hilft: Er hilft ihr nicht, sondern übernimmt Verantwortung und erledigt seine Arbeit.“

    Engagement ist gefragt

    Fühlen sich Männer von diesen Überlegungen betroffen? Das nationale Barometer zur Gleichstellung, das letztes Jahr von der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten (SKG) in Auftrag gegeben wurde, zeigt klar, dass die grosse Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer die Gleichstellung in den Bereichen Familie, Ausbildung und Arbeit für nicht erreicht hält. 88 Prozent der Männer und 98 Prozent der Frauen befürworten deshalb neue Massnahmen zugunsten der Lohngleichheit. „Angesichts dieser Resultate kann man nicht mehr von Frauenfragen sprechen“, ist Sylvie Durrer überzeugt. Für Männer ist Gleichstellung also ein Thema. Sind sie aber auch bereit, sich mehr dafür zu engagieren? „Den Geschirrspüler auszuräumen oder die Wäsche zu machen, ist nicht sehr spannend. Die Haushaltsarbeiten müssen aber nun einmal erledigt und die Kinder betreut werden, und meistens tun dies die Frauen. Die Zeit, die sie dafür benötigen, fehlt ihnen, um sich anderswo einzubringen. Langfristig hat dies Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Familie, aber auch auf die Wirtschaft und Politik“, erklärt Sylvie Durrer. Progressive Männer engagieren sich in diesen Fragen, insbesondere im Verein männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen, der sich seit rund 15 Jahren dafür einsetzt, dass Männer am Gleichstellungsprozess teilhaben. „Wir kämpfen für Rahmenbedingungen, die allen dieselben Chancen geben, ihre Wünsche zu verwirklichen und das zu tun, was sie am liebsten tun und am besten können“, sagt Gilles Crettenand, Sprecher des Verbands in der Westschweiz und Projektkoordinator des Programms MenCare Suisse romande.

    Ungenügende Familien-Politik

    „In der Schweiz fehlt eine Familienpolitik. Der Bund und vor allem die Kantone und Gemeinden betreiben sie auf Sparflamme, und es bestehen grosse Unterschiede. Die Schweizer Gesellschaftsstrukturen basieren immer noch auf dem Familienmodell der 1970er-Jahre, als der Mann zur Arbeit ging und die Frau für das Zuhause sorgte“, bedauert Gilles Crettenand und erinnert daran, dass heute fast 60 Prozent der Frauen berufstätig sind, vor allem weil ein Einkommen für den Lebensunterhalt nicht mehr ausreicht – insbesondere dann, wenn Kinder da sind. Die fehlenden Betreuungseinrichtungen verhindern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die vorhandenen sind zu teuer, sodass viele Familien sich lieber für das Modell Teilzeitarbeit entscheiden. Aufgrund der Lohnungleichheit sind es meistens die Frauen, die ihr Pensum reduzieren: „Weniger zu arbeiten, kann kurzfristig eine gute Lösung sein, aber mittel- und langfristig ist es problematisch, weil dadurch die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt sind und die Renten kleiner ausfallen“, warnt Sylvie Durrer. Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz, ist ebenfalls der Meinung, dass es familienpolitische Massnahmen braucht. „Die Elternbeiträge für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung müssten gesenkt werden. Und auf Steuerebene könnten konkrete Massnahmen wie eine Gleichbehandlung – unabhängig vom Zivilstand – und ein höherer Abzug bei den Kinderbetreuungskosten hilfreich sein. Dies dürfte auch aus steuerlichen Gründen einen Anreiz für die Erwerbsarbeit von Frauen bieten.“ Ausserdem sollte ihrer Meinung nach die Altersvorsorge so angepasst werden, dass Leute mit Einkommenslücken und niedrigem Einkommen nicht mehr benachteiligt werden. Die Schweiz gehört, zusammen mit Irland und Albanien, zu den letzten drei Ländern in Europa, die keinen Vaterschaftsurlaub kennen. Auch wenn gewisse Arbeitgeber ihn freiwillig gewähren, muss ein Mann nicht selten am Tag nach der Geburt seines Kindes wieder arbeiten. Zusammen mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft hat männer.ch eine Initiative für einen 20-tägigen Vaterschaftsurlaub lanciert, der in Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer flexibel während des ersten Jahres nach der Geburt bezogen werden kann. „Es ist zweifellos wünschenswert, dass Väter nach der Geburt Zeit haben, um mit dem Kind eine Beziehung aufzubauen“, meint dazu Ursula Häfliger. Doch wirkungsvoller und langfristig gesehen wäre ihrer Meinung nach eine mehrmonatige Elternzeit die beste Lösung.

    Teilzeitarbeit nimmt zu

    Neuere Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass der Anteil der Männer, die Teilzeit arbeiten, stark zugenommen hat (17,5 % im Jahr 2017 gegenüber ca. 7,7 % 1991). „Wenn man weiss, auf welche Schwierigkeiten und Risiken Männer stossen, wenn sie ihr Pensum reduzieren wollen, kann man diese Zunahme als eine tiefgreifende Veränderung interpretieren: Viele junge Männer wollen sich nicht zwischen Berufs- und Privatleben entscheiden und trotzdem Karriereziele verfolgen“, analysiert Gilles Crettenand. Bestehen die Möglichkeit und der Wunsch, Teilzeitarbeit zu gleichen Teilen auf das Paar zu verteilen (z. B. zwei Pensen zu 80 % statt eines zu 100 % und eines zu 60 %), kann dies eine weitgehende Gleichstellung bei den Hausarbeiten, den Karrierechancen und dem Zugang zur beruflichen Vorsorge erleichtern. Statistiken zeigen allerdings, dass viele Männer ihr Pensum nach der Geburt eines Kindes wieder erhöhen. Viele Paare sind jedoch aus finanziellen Gründen gezwungen, Vollzeit zu arbeiten. Und in gewissen Berufen ist Teilzeitarbeit schlicht nicht möglich. „Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir Eltern, die 100 Prozent arbeiten, nicht verurteilen. In der Schweiz muss es möglich sein, Modelle zu entwickeln, dank denen man Vollzeit arbeiten und trotzdem ein erfülltes Familienleben führen kann“, erklärt Sylvie Durrer.

    „Die Ungleichheit betrifft selbstverständlich auch die Männer: Sie sind sowohl Teil des Problems als auch der Lösung“
    Sylvie Durrer
    • Dominique Nussbaum

    Beliebte Inhalte