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«Es braucht bessere Rahmenbedingungen für die Frauen»

Die Reform der Altersvorsorge ist dringend. Gerade für Frauen müssen jetzt die Weichen richtig gestellt werden, sagt Ursula Häfliger, Geschäftsführerin der plattform.

Der Reformbedarf bei der Altersvorsorge ist unbestritten. In der ersten Säule führt der demographische Wandel dazu, dass immer weniger Berufstätige die Renten von immer mehr Rentnern finanzieren sollen. Die AHV ist in eine finanzielle Schieflage geraten, welche ohne Reformen schon in den nächsten Jahren zu Renteneinbussen führen könnte, sollte die Finanzierung nicht aufgestockt werden.

In der zweiten Säule hat ein verändertes Zinsumfeld dazu geführt, dass die sinkenden Erträge aus den Pensionskassenanlagen die Renten nicht mehr in dem Mass garantieren können, wie es der momentane gesetzlich vorgegebene Umwandlungssatz vorsieht. Das Resultat ist eine steigende Umverteilung von jung zu alt und von höheren zu tieferen Einkommen.

Reformen aktuell im Parlament

Im Anschluss an die gescheiterte Abstimmung vom 24. September 2017 zur Reform Altersvorsorge 2020 hat der Bundesrat beschlossen, die Reform der ersten und der zweiten Säule zu trennen. Die beiden Vorschläge, AHV 21 und BVG 21, werden aktuell im Parlament behandelt.

Reformbedarf Altersvorsorge
In der ersten Säule führt der demographische Wandel dazu, dass immer weniger Berufstätige die Renten von immer mehr Rentnern finanzieren sollen.

Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur AHV 21 sehen auf der Finanzierungsseite eine schrittweise Anhebung des Rentenalters der Frauen von 64 auf 65 Jahre und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 % vor. Durch die Steuerreform und AHV-Finanzierung (Abstimmung Mai 2019) fliessen zudem seit 2020 jährlich 2 Milliarden Franken zusätzlich in die AHV.

Für die Reform der beruflichen Vorsorge liegt von drei nationalen Dachorganisationen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Vorschlag vor, welcher eine Reduktion des Umwandlungssatzes, höhere Lohnbeiträge und die Einführung von Pauschalzuschlägen für Rentnerinnen und Rentner sowie eine Senkung des Koordinationsabzugs vorsieht.

Die Reformpläne der Sozialwerke betreffen Frauen besonders. Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband und Geschäftsführerin von der plattform, der politischen Allianz unabhängiger und lösungsorientierter Angestellten- und Berufsverbände, erläutert, was die Reform für die Frauen bedeutet und wie sich die plattform dazu stellt.

«Die strukturellen Ungleichheiten des Arbeitsmarktes werden direkt auf die Pensionierungsphase übertragen.»
Ursula Häfliger

Weshalb betrifft die Reform der Altersvorsorge die Frauen besonders?

Ursula Häfliger: Das 3-Säulen-Modell der Schweizer Altersvorsorge ist auf das Erwerbseinkommen abgestützt. In einem solchen Modell fallen Erwerbsausfälle, sei es durch Erwerbsunterbrüche oder Pensumsreduktion, viel stärker ins Gewicht. Frauen sind davon besonders betroffen. Die strukturellen Ungleichheiten des Arbeitsmarktes werden so direkt auf die Pensionierungsphase übertragen. Für tiefere Einkommen fallen diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern etwas weniger ins Gewicht, da beide Geschlechter vor allem aus der ersten Säule ihre Rente beziehen.

Was führt zu den grossen Unterschieden zwischen Männern und Frauen bezüglich Rentenhöhe?

Zivilstand, Elternstatus und Einkommen. Verheiratete Frauen mit Kindern und höherem Haushaltseinkommen weisen den grössten Pension-Gender-Gap auf. Dies hat mit der traditionellen Rollenteilung in der Familie und den damit verbundene Erwerbsausfällen von Frauen zu tun. Die Unterschiede in der Rentenleistung fallen vor allem in der zweiten Säule (67% Unterschied) und dritten Säule (54% Unterschied), welche an die Erwerbstätigkeit und die Höhe des Erwerbseinkommens gebunden sind, ins Gewicht. In der zweiten Säule erschweren zudem Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle die Situation für tiefere beziehungsweise Teilzeiteinkommen.

Was kann man dagegen tun?

Um diese Ungleichheit zu verringern, gibt es verschiedene Ansätze. Eine Variante wäre, dass man Einkommen und Rente weitgehend trennt und sozusagen das Modell erste Säule, also AHV, ausbaut und zum Beispiel mit anderen Mitteln (wie Steuereinnahmen) finanziert. Denn ein alleiniges Umlageverfahren ist aufgrund der benötigten Rentenhöhe und den demographischen Voraussetzungen nicht mehr möglich. Dies wäre allerdings ein kompletter Systemwechsel für die Schweiz und deshalb wenig realistisch. Es macht aus meiner Sicht mehr Sinn, den Pension-Gender-Gap mit besseren Rahmenbedingungen für Erwerbsarbeit zu beseitigen.

Es gibt Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt.

Diese müssen nivelliert werden. Das heisst, gleicher Lohn für Männer und Frauen sowie höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und in höheren Pensen. Schliesslich braucht es weniger, kürzere und gleichmässiger auf die Geschlechter verteilte Erwerbsunterbrüche aufgrund von Elternsein. Auch ein verlorenes Beitragsjahr durch frühere Pensionierung wirkt sich auf die Rente aus. Unter diesen Voraussetzungen gleichen sich die Erwerbseinkommen und somit auch die Renteneinkommen von Männern und Frauen über die Zeit an. Auch die Risiken auf dem Arbeitsmarkt durch das Elternsein verteilen sich gleichmässiger auf die Geschlechter. Wir wollen nicht einfach, dass Frauen mehr arbeiten, sondern dass es für Männer UND Frauen attraktiver wird Teilzeit zu arbeiten und gleichzeitig an ihrer Karriere arbeiten zu können.

«Ungleichheiten müssen nivelliert werden. Das heisst, gleicher Lohn für Männer und Frauen sowie höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und in höheren Pensen.»
Ursula Häfliger

Wie würde sich eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen auf die Sozialwerke auswirken?

Die Sozialwerke, insbesondere die AHV, profitieren davon. Eine Vergrösserung der Erwerbsbevölkerung reduziert den Altersabhängigkeitsquotienten der Schweiz und sichert die Vorsorgewerke nachhaltig. Es gilt also die Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen zu verbessern.

Welches ist die Haltung der plattform?

Die Rahmenbedingungen für eine Erwerbstätigkeit müssen für Frauen und Männer gleich sein, um auch die Rentensituation anzugleichen. Die plattform setzt sich, wie erwähnt, für Lohngleichheit, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie Anreize für die Erwerbsarbeit – wie eine Individualbesteuerung - für die betroffenen Bevölkerungsgruppen ein. Auch eine Elternzeit verteilt die finanziellen Risiken gleichmässiger auf beide Elternteile. Und: Frauen brauchen ähnlich lange Beitragsjahre und höhere Sparbeiträge für eine Verbesserung ihrer Rentensituation. Mehr Beitragsjahre, höhere Beiträge und Sparmöglichkeiten im Rentensystem auch bei tieferen oder Teilzeiteinkommen sind die Grundvoraussetzungen für eine Verkleinerung des Gender-Pension-Gaps in der Schweiz.

Wie stellt sich die plattform zur Vorlage des Bundesrates für die AHV?

Der Vorschlag des Bundesrats hat gute Ansätze. Wir unterstützen die vorgeschlagene Anpassung des Referenzalters für Frauen auf 65 und die damit verbundenen Kompensationsmassnahmen. Für die plattform sind aber die Anreize im Vorschlag des Bundesrats immer noch falsch gesetzt. Frühpensionierungen bleiben noch zu attraktiv, während die Arbeit über das Referenzalter hinaus zu wenig attraktiv ist. Für uns ist eine flexible (Teil-) Pensionierung zentral. Es muss deshalb auch sichergestellt werden, dass es versicherungsmathematisch exakt berechnet werden kann, damit Entscheidungsfindung und Planbarkeit verbessert werden. Eine Mehrwertsteuererhöhung in der Höhe der benötigten Zusatzfinanzierung ist sinnvoll, damit die Lasten besser verteilt werden. Aber wie gesagt, bei den Frauen liegen die Unterschiede zu den Männern vor allem bei der beruflichen Vorsorge, was die zukünftige Rente anbelangt.

Und was schlägt die plattform da vor?

Dass die berufliche Vorsorge der heutigen Realität angepasst wird. Insbesondere auch für Menschen mit Familie.  Das heisst, die Sparmöglichkeiten der beruflichen Vorsorge müssen verbessert werden: Koordinationsabzug senken, Eintrittsschwelle senken und Teilzeiteinkommen zusammenzählen. Auch Lücken durch Erwerbsunterbrüche müssen einfacher gestopft werden können.

Veröffentlicht am 11.06.2021

«Mehr Beitragsjahre, höhere Beiträge und Sparmöglichkeiten im Rentensystem auch bei tieferen oder Teilzeiteinkommen sind die Grundvoraussetzungen für eine Verkleinerung des Gender-Pension-Gaps in der Schweiz.»
Ursula Häfliger

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Autor

  • Rolf Murbach

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