Seitennavigation & Suche

ICT-Fachausweis: Lernen komplett neu gedacht

Der Kaufmännische Verband Schweiz und der ICT-Berufsverband haben einen neuen eidgenössischen Fachausweis zur digitalen Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Eine Studentin und eine Lehrerin erzählen vom Pilotlehrgang.

Der Name des neuen ICT-Fachausweises «Digital Collaboration Specialist» ist Programm: Der Lehrgang ist ausnahmslos auf die digitale Zusammenarbeit ausgerichtet und verzichtet entsprechend auf jeglichen Frontalunterricht. Dozierende stehen nicht mehr vorne und referieren, vielmehr entwickeln sich die Studierenden in einem angeleiteten Lernsetting eigenständig weiter. Ein Ansatz, der Zukunft hat – in dieser konsequenten Form aber selbst in der heutigen Zeit noch ungewohnt ist.

12 Module bilden eine Art Labor

Zurzeit läuft der Pilotlehrgang an verschiedenen Schulen in der ganzen Schweiz. Im Frühjahr 2023 absolviert die Pilotklasse die erste eidgenössische Prüfung. Das Herz des neuen Fachausweises ist das sogenannte MODU:LAB, bestehend aus 12 einzelnen Modulen. Diese sind in Warm-ups, Wissen, Storys und Wissens-Checks eingeteilt. Der Verlag SKV hat sie im Sinne eines massgeschneiderten Lernmediums entwickelt, das intuitiv und interaktiv funktioniert. Die Studierenden erarbeiten sich darin Kompetenzen wie zum Beispiel geeignete digitale Kollaborationswerkzeuge auszuwählen, Content für digitale Medien zu produzieren oder Daten auszuwerten. Aber auch klassisches Projektmanagement oder die Fähigkeit, Schulungen durchzuführen, lernen künftige Digital Collaboration Specialists. Insgesamt ein sehr breiter Lehrgang, der die Studierenden befähigt, die digitale Transformation in Unternehmen zu begleiten.

Der Rahmen ist aber nicht komplett frei. Es findet nach wie vor Unterricht statt, an dem man von zu Hause aus zu definierten Zeiten teilnimmt und sich per Bildschirmkamera zuschaltet. Je nach Wissensstand und Erfahrungen der Studierenden zückt die jeweilige Lehrperson passende Übungen und Lerninhalte.

Kein Unterricht aus der Schublade

Marianne Scherer, die mit ihrer Firma Blue Consulting unter anderem digitale Unterrichtsformen konzeptioniert und erstellt, entwickelt für den SKV einen Teil der Module. Gleichzeitig wirkt sie an der SIW Winterthur, einer digitalen Höheren Fachschule, als Lehrperson für den neuen Studiengang. Man müsse den Unterricht komplett neu denken, sagt Scherer: «Die Lehrperson wird zum Coach und leistet vor allem Hilfe zur Selbsthilfe.» Während des Pilotlehrgangs hätten sie die Module fortlaufend angepasst und teils neue Lehrpersonen eingesetzt. «Gerade bei technologischen Themen, die in der Regel sehr dynamisch sind, ist der Praxisbezug wichtig.» Marianne Scherer bringt als Beispiel das User Interface Design (Benutzerschnittstellen zwischen Mensch und Maschine gestalten) und fügt an: «Was ich den Studierenden diesen Frühling beigebracht habe, werde ich im nächsten Kurs überarbeiten müssen.» Die IT-Welt ist schnelllebig und der Anspruch des neuen Lehrgangs, dieser Agilität gerecht zu werden – Dozierende sind entsprechend gefordert. Sie müssen sich für spontaneren, individuelleren Unterricht wappnen.

Gefordert sind allerdings auch die Studierenden. Der Lehrgang trifft nämlich nicht nur in Bezug auf ICT den Nerv der Zeit, sondern knüpft bildungstechnisch auch sonst dort an, wovon derzeit alle Bildungsexperten sprechen. Kompetenzen- anstelle von Wissensaufbau und Kreativität als Schlüsselfertigkeit in der Arbeitswelt von morgen. Gesucht sind Fachkräfte, die komplexe Probleme eigenständig lösen können. Das erfordert Eigenverantwortung und Selbstdisziplin. «Auch die Studierenden mussten erst herausfinden, wie sie in diesem Setting lernen und sich die nötigen Kompetenzen aneignen», erzählt Marianne Scherer. Anfangs sei noch die Frage aufgetaucht, welche Stellen sie in welchem Fachbuch lesen sollten. Bücher allerdings gibt es bei MODU:LAB keine mehr. Dieser Start sei aber überraschend gut geglückt, sagt Marianne Scherer.

Beruflich weiterkommen in der IT

Susanna, die aktuell in der Unternehmensberatung tätig ist, hat sich für den Pilotlehrgang entschieden. «Ich wollte beruflich weiterkommen und Neues dazulernen», erzählt die eidgenössisch diplomierte Marketingleiterin. In ihrem aktuellen Betrieb unterstützt sie die digitale Umwandlung und hat erkannt, dass die Bedeutung der Digitalisierung in den letzten Jahren noch einmal massiv zugenommen hat. Über den neuen ICT-Fachausweis möchte Susanna selbst noch weitere Anwendungen kennen lernen, mit der digitalen Welt vertrauter werden und anschliessend Mitarbeitende motivieren, neue Collaboration-Tools anzuwenden.

Dem bisherigen Unterricht stellt sie ein gutes Zeugnis aus: «Zum Teil merkt man zwar, dass wir die erste Klasse sind und auch bei den Dozenten spürt man, wer wie viel Erfahrung im Online-Unterrichten hat. Aber wir fühlen uns gut aufgehoben, die Stimmung in der Klasse ist super und die Schulleitung bemüht sich sehr.» Vorteilhaft sei zudem, dass jede Lektion aufgenommen werde. «So kann man jederzeit nochmals nachschauen, wenn man etwas verpasst oder nicht verstanden hat.»

Die nötige Selbstdisziplin sei nicht immer einfach, habe bis anhin aber ganz gut geklappt. Obwohl sie den Online-Unterricht schätzt, würde Susanna zudem ein sporadisches physisches Treffen begrüssen. «So würden wir Studierenden einander noch besser kennen lernen und hätten von der Weiterbildung auch einen Networking-Benefit.»

Auf dem richtigen Weg

Der Pilotlehrgang, der in mehreren Schulen in der ganzen Schweiz angeboten wird, spricht Studierende mit ganz unterschiedlichen Hintergründen an. Konzipiert ist der neue eidgenössische Fachausweis insbesondere für Personen mit kaufmännischem oder betriebswirtschaftlichem Hintergrund. Es gibt aber auch Fachkräfte mit einem soliden IT-Know-how, die als Digital Collaboration Specialists wieder auf den aktuellsten Stand kommen möchten.

Das Ziel der Weiterbildung ist es, die Absolventinnen und Absolventen zu treibenden Kräften bezüglich digitaler Transformation im Arbeitsumfeld zu befähigen. Sie setzen entsprechende Strategien um und suchen die für ihre Unternehmen passenden Tools aus. Kurz: Mit technischem Verständnis, methodischem Know-how und einer hohen Serviceorientierung sorgen sie dafür, dass ihre Unternehmen den Herausforderungen des digitalen Geschäftsalltags gewachsen sind.

Internetzugang während Prüfung erlaubt

Der ICT-Berufsverband, der den Lehrgang gemeinsam mit dem Kaufmännischen Verband Schweiz entwickelt hat und die Berufsprüfungen durchführen wird, hat kürzlich eine Nullserie der Prüfung herausgegeben. Marianne Scherer bezeichnet dies als weiteren Meilenstein: «Wir konnten die Probeprüfung mit unserem Unterricht abgleichen und haben festgestellt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Für die Studierenden sei insbesondere die Information, dass die Prüfung «open web» stattfinden werde, ein Befreiungsschlag gewesen. Auch hier steht der Praxisbezug an oberster Stelle. Das heisst freilich nicht, dass die Arbeit am neu entwickelten Lehrgang abgeschlossen ist. Die Agilität, die ihn auszeichnet, wird bleiben. Und das ist gut so.

«Die Lehrperson wird zum Coach und leistet vor allem Hilfe zur Selbsthilfe.»
Marianne Scherer

Erstmals veröffentlicht: 16.08.2022

Autorin

  • Rahel Lüönd

Fragen zum neuen Fachausweis?

Beliebte Inhalte