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Wertschätzung guter Arbeit und Kundenzufriedenheit als Kompass

Jean-François Meyer ist gelernter Kaufmann und hat seine Karriere der Uhrenbranche gewidmet. Seine vielfältige berufliche Laufbahn führte ihn in alle Ecken der Erde. Dabei hat er den Wandel der Zeit und den technologischen Fortschritt hautnah miterlebt. Seit 55 Jahren ist er Mitglied des Kaufmännischen Verbands.

Jean-François Meyer wächst in den 1950er Jahren in Crémines im Herzen des Uhrengebiets und gleichzeitig nur wenige Kilometer von der Sprachgrenze zum Kanton Solothurn entfernt auf: zwei Merkmale, die sich für seinen weiteren Berufsweg als bedeutungsvoll erweisen werden. Sein Vater ist Stationsvorstand des kleinen Bahnhofs von Gänsbrunnen: «Das ist ein Kaff am Eingang des Tunnels unter dem Weissenstein, zwischen Moutier und Solothurn. Der Bahnhof, wo wir auch wohnten, lag zwischen der Strasse und der Eisenbahnlinie - wir konnten so viel Lärm machen, wie wir wollten. Und seitdem kann ich überall einschlafen, ohne von Umgebungslärm gestört zu werden», erklärt Jean-François Meyer. Die berufliche Situation seines Vaters ist zwar gut, aber im Haushalt leben noch zwei weitere Kinder: «Für mich war klar, dass ich nach der obligatorischen Schulzeit eine Lehre machen würde, um schnell mein eigenes Geld zu verdienen.»

Lehre mit Umwegen

Jean-François Meyer beginnt seine Ausbildung zum Kaufmann in Delémont. Von seinem Wohnort aus ist es ein langer Arbeitsweg. Dies führt zu Müdigkeit am Arbeitsplatz und das macht sich bald auch in der Schule bemerkbar. Sein Lehrmeister zeigt wenig Verständnis und entlässt ihn nach zwei Jahren, obwohl seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist: «Er hat mir gesagt, dass ich für die kaufmännische Arbeit nicht geeignet sei und dass ich mich besser für eine Lehre als Automechaniker entscheiden sollte. Das war ein harter Schlag». Zu seinem Glück ergibt sich die Chance bei einem kleinen Uhrenhersteller in Welschenrohr im Kanton Solothurn. Er kann seine Ausbildung näher an seinem Wohnort abschliessen, besucht die Handelsschule in Moutier (ECC) und eignet sich zudem hervorragende Kenntnisse in Deutsch und Schweizerdeutsch an.

Obwohl Jean-François Meyer seine obligatorische Schulzeit in der Primarschule absolviert hat, erzielt er im Gegensatz zu vielen seiner Mitschüler aus der Sekundarstufe bei der Abschlussprüfung hervorragende Ergebnisse. Eine schlechte Leistung im Fach Berufskenntnisse kostete ihn leider die Auszeichnung. «Mein Lehrbetrieb stellte damals Roskopf-Uhren her, die zwar ungenau, aber leicht zu produzieren waren. Manche sprachen von der Uhr des armen Mannes. Der Prüfungsexperte, ein Mann aus der Luxusuhrenbranche, bemerkte, ich würde dazu beitragen, der Schweizer Uhrenindustrie zu schaden. Obwohl ich nichts dafür konnte, hat mich sein Vorwurf derart verunsichert, dass ich blockiert und nicht in der Lage war, meine Kenntnisse in diesem Bereich zu zeigen. Das lag mir lange schwer auf dem Herzen», gibt Jean-François Meyer zu.

«Für mich war klar, dass ich nach der obligatorischen Schulzeit eine Lehre machen würde, um schnell mein eigenes Geld zu verdienen.»
Jean-François Meyer

Start in der Berufswelt

Mit seinem Abschluss in der Tasche findet Jean-François Meyer eine Stelle bei einem mittelständischen Uhrenhersteller in Zuchwil in der Region Solothurn. Als einziger kaufmännischer Angestellter unter den rund 20 Mitarbeitenden des Unternehmens hat er als Berufseinsteiger viel Verantwortung, was sich für ihn als lehrreich erweist. Doch er will mehr und meldet sich für drei Monate am Swiss Mercantile College in London an, um Englisch zu lernen. Nach Abschluss des Programms verspürt er das Bedürfnis, eine Weile auf dieser Seite des Ärmelkanals zu bleiben, um seine neu erworbenen Fähigkeiten in die Praxis umzusetzen.

Er findet eine Stelle in London bei einem Importeur, der insbesondere die Produkte des Schweizer Unternehmens Caran D'Ache importiert und einen zweisprachigen Korrespondenten für Französisch und Deutsch sucht. Ein Jahr lang ist er hauptsächlich für die Korrespondenz mit den deutsch- und französischsprachigen Lieferanten zuständig. Er wohnt in einem kleinen Zimmer bei einer Familie zur Untermiete, und verbessert seine Englischkenntnisse weiterhin in Abendkursen. Seine Arbeit wird geschätzt: Als er seinem Chef mitteilt, dass er in sein Heimatland zurückkehren wird, versucht dieser mit allerlei Mitteln, ihn davon abzuhalten.

Fortsetzung des Londoner Abenteuers

Der Betrieb, in dem er seine Lehre abgeschlossen hatte, wartet seit einem Jahr auf ihn: Jean-François Meyer hat dort zwei Jahre lang die Stelle des Einkaufsleiters inne. Dann stösst er auf ein Stellenangebot eines deutsch-schweizerischen Unternehmens, das Geschäftsstellen in New York, Tokio und Hongkong unterhält und ein Büro in London eröffnen möchte. Er versucht sein Glück. Beim Vorstellungsgespräch scheint die Tatsache, dass er keine höhere Schulbildung besitzt, zunächst ein Problem darzustellen. Er schafft es jedoch, pointiert aufzutreten und das Know-how hervorzuheben, welches er sich während seiner bisherigen Laufbahn bereits angeeignet hat. In seiner neuen Position ist er für die Verkaufsförderung und den Kundendienst zuständig. Er hat auch die Aufgabe, die Kunden des Unternehmens in der Schweiz und in Asien bei britischen und irischen Importeuren einzuführen, und wirbt bei Veranstaltungen der Uhrenbranche in Grossbritannien und Irland für die Produkte seines Arbeitgebers.

Zu seiner Arbeit gehört auch das Verfassen von Werbebroschüren und Newslettern, die er wegen ihres wertvollen Inhalts, aber vielleicht auch als Erinnerung an eine längst vergangene Zeit sorgfältig aufbewahrt hat. «Ich war allein und habe alles mit einer Hermes Baby-Schreibmaschine getippt», schmunzelt er. Der Konkurs des Unternehmens in der Schweiz zwingt die Familie von Jean-François Meyer Anfang der 1980er Jahre, ihre Koffer zu packen, aber nur ungern: «Mir gefiel es in England sehr gut, mein Sohn wurde dort geboren und wir hatten sogar ein Haus dort gekauft. Ich war auch sehr gut in die britischen Uhrenverbände integriert. Als ich ihnen meine Rückkehr in die Schweiz ankündigte, sagten mir meine Kontakte in Grossbritannien und Irland: <You can't go, you're one of us!> Das hat mich sehr berührt».

«Als ich ihnen meine Rückkehr in die Schweiz ankündigte, sagten mir meine Kontakte in Grossbritannien und Irland: <You can't go, you're one of us!> Das hat mich sehr berührt»

Zurück in der Schweiz

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wird er bei einem Uhrenunternehmen angestellt, das ihm die Projektleitung zur Einführung einer Markenpolitik überträgt. Zu seinem Pech geht das Unternehmen ein Jahr später in Konkurs. «Ich war zum zweiten Mal arbeitslos und dachte, dass die Zeit in der Uhrenbranche für mich vorbei war!» Er lässt seinen Worten Taten folgen, sucht Arbeit in einer anderen Branche und erhält bald eine verantwortungsvolle Stelle in einem Unternehmen angeboten, das Papier für Kardiogramme und LKW-Tachometer herstellt: Man lässt ihm freie Hand bei der Leitung des Vertriebsbereichs. Er geht vom Vorstellungsgespräch nach Hause und ist überzeugt, eine neue berufliche Richtung eingeschlagen zu haben.

Doch dann kommt unerwartet ein Anruf des Verkaufsleiters eines Uhrenherstellers. «Er bot mir an, Private Label, d.h. auf die Kundenwünsche massgeschneiderte Produkte zu verkaufen. Das war zu interessant, um abzulehnen», erinnert er sich. In seiner neuen Position reist er viel durch Europa und hat mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun. «Ich hatte nicht nur mit Geschäftsleuten zu tun, sondern auch mit Privatleuten, Banken, Clubs, aus allen Gesellschaftsschichten, die personalisierte Uhren kaufen wollten, zum Beispiel für einen Geburtstag oder ein besonderes Ereignis. Ich schaute mit ihnen, was in Abhängigkeit von ihrem Budget und den Herstellungspreisen möglich war - manchmal musste man ein wenig jonglieren.» Er wird zum Handlungsbevollmächtigten ernannt und ist Mitunterzeichner von Schecks, die manchmal mehrere Millionen Franken betragen. Auch wenn er in seinen verschiedenen Aufgaben aufblüht, sind die Bedingungen schwierig. «Ich war um 7 Uhr morgens im Büro und oft rief mich meine Frau um 21 Uhr an, um zu fragen, ob ich die Nacht im Büro verbringen würde. Das war eine harte Zeit für sie. Mir fielen alle Haare aus. Nach sechs Jahren hatte ich genug davon», erinnert sich Jean-François Meyer.

Botschafter der Schweizer Uhrenindustrie

«Eines Tages sah ich, dass der Verband der Schweizer Uhrenindustrie FH die Stelle des Abteilungsleiters für Werbemassnahmen ausschrieb. Sie suchten einen jungen Akademiker mit einem Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Ich war 41 Jahre alt und kaufmännischer Angestellter, ich entsprach also nicht ganz dem gesuchten Profil». Trotzdem wird er zum Bewerbungsgespräch eingeladen, und so bietet sich ihm die Möglichkeit, seine gesamten beruflichen Erfolge zu präsentieren. Die Worte des Präsidenten am Ende des Gesprächs bleiben ihm im Gedächtnis: «Sie sind zu teuer und zu alt, aber angesichts Ihres Lebenslaufs können wir Sie nicht gehen lassen.»

Seine Hauptaufgabe besteht  im Organisieren von Ausstellungen, an verschiedenen Orten weltweit. Er mietet Flächen bzw. Stände und verkauft diese an die Schweizer Uhrenmarken, die er während der Messe begleitet. «Zu Beginn meiner Tätigkeithatten wir manchmal zwanzig Marken, die anreisten», erinnert er sich. Doch die Zeiten ändern sich, und im Lauf der Zeit verabschieden sich die Marken des gehobenen Segments von dieser Form der Geschäftstätigkeit. Es muss also eine agilere und kostengünstigere Lösung gefunden werden, um die Schweizer Uhren weiterhin weltweit zu vermarkten.

«Stattdessen haben wir eine Wanderausstellung mit grossen Videowänden zu verschiedenen Themen rund um die Schweizer Uhrmacherei zusammengestellt. Ich besuchte Einkaufszentren im Ausland und schlug diesen vor, eine Animation zur Unterhaltung der Kundschaft mitzubringen: In der Regel gefiel die Idee und wir erhielten den Platz kostenlos. Danach wies ich lokale Vertretungen oder Geschäfte verschiedener Schweizer Marken auf diese Ausstellungen hin, die dann mit einem Schaukasten vor Ort erschienen, um Uhren zu verkaufen. Manchmal kontaktierte ich auch die Schweizer Botschaft und lokale Vereine und organisierte eine mit dem Ereignis verknüpfte Abendveranstaltung. Diese Formel funktionierte gut», erinnert sich Jean-François Meyer.

Seine Neugier und sein berufliches Selbstverständnis veranlassen ihn ausserdem, sich intensiv mit dem Erlernen von neuen Sprachkenntnissen zu beschäftigen. Während seiner Sommerferien reiste Jean-François Meyer drei Jahre hintereinander nach Barcelona, um Spanisch zu lernen, und fünf Jahre hintereinander an die Moskauer Universität für Sprache, um Russisch zu lernen, jeweils für einen Monat.

«Sie sind zu teuer und zu alt, aber angesichts Ihres Lebenslaufs können wir Sie nicht gehen lassen.»

Ressourcen im Blick auf Schwierigkeiten

Er sollte den Posten beim Verband der Schweizer Uhrenindustrie FH zwanzig Jahre lang bis zu seiner Pensionierung innehaben, währenddessen es immer wieder zu Führungswechseln und Umstrukturierungen kam. Eines Tages lässt ein Abteilungsleiter unbewusst einen Satz fallen, der Jean-François Meyer teuer zu stehen kommt: «Meyer und der Präsident sind die Personen im Verband, welche die meisten Leute in der Uhrenbranche kennen». Das gefällt dem damaligen Direktor nicht, der in ihm offensichtlich eine Bedrohung sieht: Von einem Tag auf den anderen wird ihm seine Funktion als Vertreter des Verbands in verschiedenen Organisationen entzogen.

Später erhält er einen Vorgesetzten, zu dem er keinen Draht findet und der ihm das Leben schwer macht. Was soll's, er macht seine Arbeit weiterhin sauber und korrekt, so wie er es immer getan hat. «Ich glaube, ich war unantastbar, weil ich rentabel war und meine Arbeit gut machte. Meine Stärke lag auch darin, dass ich mich selbst nicht zu ernst nahm und meine Motivation immer aus dem Kontakt mit Menschen und der Zufriedenheit der Kunden schöpfte, noch vor der Zufriedenheit meiner Vorgesetzten. Immerhin hatte ich, als ich den Verband verliess, durch meine Tätigkeit als Sekretär des Komitees der Schweizer Aussteller einer Uhrenmesse (Baselworld) eine halbe Million Franken beiseitegelegt», erinnert sich Jean-François Meyer mit einem gewissen Stolz.

Im Alter von sechzig Jahren hatte er über hundert Ferientage zu viel angesammelt. «Mein Chef sagte mir, ich solle eine Lösung finden, um sie zu reduzieren. Im Grunde hat er mir einen Gefallen getan: Ich habe auf einige Aufgaben verzichtet und jeden Freitag frei genommen. Im Sommer unternahm ich Touren zu Hütten im Hochgebirge. Mittlerweile habe ich 67 Hütten besucht. Im Winter fuhr ich Ski. Dadurch konnte ich mich fit halten, in schwierigen Zeiten den Kopf frei bekommen und in gewisser Weise meinen Ruhestand vorbereiten, da es Aktivitäten sind, die ich auch heute noch ausübe.»

Hommage an seine Frau

Jean-François Meyer gesteht, dass er seiner japanischstämmigen Frau Machiko viel zu verdanken hat: «Sie hat mich in die asiatischen Gepflogenheiten eingeführt und mir beigebracht, wie man mit diesen Menschen kommuniziert. Sie hat viel zu meinem beruflichen Erfolg beigetragen.»

Erstmals veröffentlicht: 2.5.2023

«Meine Stärke lag auch darin, dass ich mich selbst nicht zu ernst nahm und meine Motivation immer aus dem Kontakt mit Menschen und der Zufriedenheit der Kunden schöpfte, noch vor der Zufriedenheit meiner Vorgesetzten.»

Autor

  • Dominique Nussbaum

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