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Teilzeit arbeiten gefährdet die Karriere

Reduzierte Arbeitspensen sind gefragter denn je. Nicht zuletzt, weil auch die Wirtschaft das Modell unterstützt. Doch wer Teilzeit tätig ist, muss weiterhin damit rechnen, seine beruflichen Aussichten zu schmälern.

Die demografische Entwicklung wird in den nächsten Jahren den Fachkräftemangel verstärken. Mit der Alterung der Gesellschaft werden jährlich 50 000 Personen mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden als hinzukommen, weiss Fredy Greuter, Kommunikationschef des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. «Das setzt die Unternehmen vermehrt unter Druck, sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren. Dazu gehört auch, interessante Teilzeitstellen mit Entwicklungspotenzial auf verschiedenen Stufen anzubieten.» Mit anderen Worten: Wer sich für eine Teilzeitstelle entscheidet, soll gleichwohl Karrierechancen haben. So zumindest die Theorie. Allerdings zeigte bereits der «Gender Intelligence Report» 2018 des Firmennetzwerks Advance auf, dass Frauen und Männer mit einem Arbeitspensum von 80 bis 90 Prozent bei Beförderungen deutlich seltener berücksichtigt werden als Beschäftigte mit einem Vollzeitjob. Für die Studie wurden die Rohdaten von 50 Unternehmen mit insgesamt 238 700 Mitarbeitenden untersucht, darunter jene von rund 71 600 Managerinnen und Managern. Das Fazit von Studienleiterin Gudrun Sander: «Im Grundsatz gilt immer noch, dass wer Karriere machen will, Vollzeit arbeiten muss; insbesondere auf Management-Ebene.» Es gebe in einigen Firmen zwar echte Bemühungen, hier mehr Flexibilität zu gewähren. «Aber die Ergebnisse sind noch bescheiden», weiss die Titularprofessorin und Diversity-Spezialistin der Universität St. Gallen.

Gefahr sinkender Motivation

Auf die Frage, ob sich manche Firmen eventuell gar nicht bewusst seien, dass Teilzeitarbeitende bei ihnen schlechtere Karrierechancen geniessen, antwortet Sander: «Jein. Ich vermute, es ist eher eine unausgesprochene, und nicht im Einzelfall überprüfte, Annahme, dass jemand der Teilzeit arbeitet, weniger Ambitionen hat.» Was als Signal interpretiert werden könne, dass der Arbeitnehmer noch über andere wichtige Lebensbereiche verfügt. «Besonders bei jungen Müttern ist das häufig der Fall. Sie sind hoch engagiert und arbeiten Vollzeit, dann kommt das erste Kind und aus verschiedensten Überlegungen reduzieren die Frauen ihr Pensum. Bei den Vorgesetzten wird das dann sehr schnell mit ‹jetzt haben sie keine beruflichen Ambitionen mehr› interpretiert», so Sander. Mit der Folge, dass die nach wie vor ehrgeizigen Betroffenen keine spannenden Projekte mehr erhalten und ihre Motivation entsprechend sinkt. Wodurch sich die gehegten Vorurteile wiederum bestätigen. «Das ist ein Teufelskreis», erklärt sie. «Daher rate ich den Vorgesetzten, wirklich stets nachzufragen und die jungen Mütter dazu zu ermuntern, einen nächsten Entwicklungsschritt zu machen.» Doch nicht nur Frauen, sondern auch Männer seien von der Teilzeitstrafe betroffen, betont Sander. «Und zwar gleichermassen.» Um gegen das Vorurteil anzukämpfen, dass Teilzeitarbeitende gar nicht an einer Karriere interessiert sind, empfiehlt sie, die Fakten mittels Analysen und Auswertungen auf den Tisch zu legen. Und Fragen zu erörtern wie: Haben wir in der Firma tatsächlich eine Teilzeitstrafe? Wenn ja: In sämtlichen Bereichen oder nur in bestimmten? Und setzt diese «Strafe» bereits bei geringfügiger Reduktion des Pensums ein? Schliesslich rät Gudrun Sander den Firmen, auf das Mehr-Augen- Prinzip zu setzen. «Insbesondere bei Beförderungen.»

Gemeinsames Ausloten der Möglichkeiten

Laut Fredy Greuter vom Schweizerischen Arbeitgeberverband liegt es in der Natur der Sache, dass ein Mitarbeitender mit einem reduzierten Pensum weniger Möglichkeiten als ein vollzeitarbeitender Kollege hat, sich zu beweisen und sich für eine Karriere zu empfehlen. «Wer den Wunsch nach einer Pensumsreduktion verspürt, soll in jedem Fall das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen und gemeinsam die Möglichkeiten ausloten.» Man müsse sich dabei jedoch bewusst sein, dass ein geringeres Pensum unter Umständen Konsequenzen hat. «Es mag sein, dass die bisherige Funktion nicht mehr wie bis anhin ausgeübt werden kann und sich das Aufgabenprofil verändert.»

Bei der Credit Suisse ist man sich bewusst, wie wichtig es ist, beim Angebot flexibler Arbeitszeitmodelle auf die Bedürfnisse der verschiedenen Generationen einzugehen. «Wo immer möglich, kommen wir den jeweiligen Wünschen nach, sei es beim Thema Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder Homeoffice», sagt Heike Schubert, Leiterin Experienced & Campus Recruitment Schweiz. Das gelte nicht nur für Frauen, die nach dem Mutterschaftsurlaub ein kleineres Arbeitspensum ausüben, sondern auch für Männer, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. «Aber nicht nur Familie ist ein Grund, die Arbeitszeit zu reduzieren. Mitarbeitende entscheiden sich aus den verschiedensten Gründen für ein Teilzeitpensum. Wenn immer möglich schreiben wir Stellen zwischen 80 –  100% aus und offerieren den Bewerbern so die Möglichkeit eines Teilzeitpensum. Aktuell arbeiten rund 20 Prozent der Credit-Suisse-Angestellten in der Schweiz Teilzeit», weiss Schubert.

Höhere Stufe, höheres Arbeitspensum

Auch auf Kaderstufe verfüge das Finanzinstitut über sehr gute Erfahrungen mit Teilzeitpensen. «Die Mitarbeitenden sind häufig motivierter, wenn sie die Möglichkeit haben, im reduzierten Pensum zu arbeiten und zeigen überdies eine grosse Loyalität gegenüber der Bank», so Schubert. Sie verhehlt jedoch nicht, dass bei vielen Führungspositionen ab Ebene Kaderstufe ein eher höheres Arbeitspensum erforderlich ist. «Wir motivieren jedoch alle unsere Mitarbeitenden, sich mit dem Thema Weiterentwicklung und Karriere intensiv auseinanderzusetzen und dies selbstständig in die Hand zu nehmen. Die Vorgesetzten und internen Experten sind angehalten, die Mitarbeitenden hierbei zu unterstützen.» Zwischen Voll- und Teilzeitangestellten wird dabei nicht unterschieden. Bei der Post, dem drittgrössten Arbeitgeber der Schweiz, stellt man seit 2004 eine Zunahme der Teilzeitarbeit fest, auch im Bereich Kader. «Dem Unternehmen geht es darum, bessere Möglichkeiten für qualifizierte Teilzeitarbeit zu schaffen», führt Mediensprecher Oliver Flüeler aus. «Sämtliche Stellen im Top- und oberen Kader werden konsequent 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben.» Das klingt gut, ist jedoch nicht frei von Fallstricken. Studienleiterin Gudrun Sander gibt zu bedenken: «Wenn Bewerberinnen und Bewerber merken, dass sie mit 80 Prozent keine Aussicht auf eine Beförderung haben, dann folgt die grosse Enttäuschung.»

Gefragt ist der Dialog

Für die Leiterin der Abteilung Diversity & Inclusion, Corina Merz, bei der AXA, stehen der Dialog sowie Lösungen im Vordergrund, welche die betrieblichen Anforderungen und individuellen Wünsche in Einklang bringen. Beim Versicherungsunternehmen, das auf «flexible Arbeitsgestaltung» setzt, hat sich der Anteil teilzeitarbeitender Männer seit 2009 von 8,5 auf 20 Prozent erhöht. Bei den Frauen liegt die Zahl aktuell sogar bei 51 Prozent. Gemäss Merz interessieren sich bei der AXA längst nicht ausschliesslich Menschen mit Kindern für dieses Modell. «Es gibt auch Mitarbeitende, die Teilzeit bevorzugen, weil sie zusätzlich eine Ausbildung absolvieren oder nebenher an einem Start-up Unternehmen beteiligt sind.»  Merz betont, dass die Mitarbeitenden nicht an ihrer Präsenz, sondern an ihrem Output gemessen würden. Laut Firmenreglement ist bei der AXA mindestens ein 50-Prozent- Pensum erforderlich, um auf Management-Ebene tätig zu sein. «Allerdings gewinnen Job-Sharing-Modelle auch in diesem Bereich zunehmend an Relevanz», erzählt Merz. Bei der Versicherung werden ebenfalls alle Stellen mit einem Pensum von 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben. «Arbeitet man nicht Vollzeit, wird der Austausch mit dem Team noch wichtiger», hält Merz fest. Sie ist überzeugt, dass sich Teilzeitmitarbeitende insbesondere auch flexibel zeigen müssen. Dann ist ein berufliches Weiterkommen im Unternehmen möglich – selbst bei reduziertem Pensum. Dementsprechend arbeiten bei der AXA bereits 24 Prozent des Kaders Teilzeit, darunter auch jemand aus der Geschäftsleitung.

«Wo immer möglich, kommen wir den jeweiligen Wünschen nach, sei es beim Thema Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder Homeoffice»
Heike Schubert

Kontakt

  • Kaufmännischer Verband Schweiz

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