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Auf einmal war alles anders

Die Coronakrise betrifft junge Menschen besonders, weil die Unternehmen weniger Stellen ausschreiben. Fünf junge Frauen und Männer berichten, wie sie den Lockdown erlebt haben.

Dario Wyss (24), Bankangestellter, verantwortlich für den Geschäftskundensupport

«Am anderen Ende der Welt, mitten im Dschungel von Australien. Die Zeit meines Lebens. Und dann das: Der Bundesrat empfiehlt allen Schweizerinnen und Schweizern, die sich im Ausland befinden, aufgrund des Corona-Virus schnellstmöglich nach Hause zu fliegen. Mein Handy explodierte fast vor Nachrichten. Mein Reisekollege und ich versuchten aber erst mal ruhig zu bleiben und abzuwarten. So entschieden wir uns, entgegen der Meinung anderer Schweizer Reisenden, wie geplant auf die Whitsunday Island zu fahren. Die beste Entscheidung überhaupt.

Als wir drei Tage später das Festland wieder erreichten, merkten wir, dass sich die Corona-Panik ausgebreitet hatte, wie ein Buschfeuer. Kurz darauf beschloss Australien, die Grenzen zwischen den Staaten zu schliessen. Ab da war klar, dass auch wir uns mit der Heimreise auseinandersetzen mussten. Wir flogen also am nächsten Tag nach Sydney, um von dort einen Flug zurück nach Hause zu buchen. Fünf Tage später waren wir in Zürich gelandet. Es war ein Kulturschock. Überall standen Polizisten herum. Leute schrien sich an und ich sah nur noch genervte Gesichter.

Nach zehn Tage in Quarantäne sass ich wieder auf meinem Bürostuhl. Diesbezüglich hatte ich Glück. Nicht nur wurden mir aufgrund der misslichen Lage eine Woche Urlaub zurückvergütet, sondern ich durfte auch unter Einhaltung der Regeln weiterhin ins Büro gehen. Darüber war ich sehr froh – nicht zuletzt aufgrund des sozialen Aspektes, welcher mir im Homeoffice sicher sehr gefehlt hätte.»

«Die Zeit meines Lebens. Und dann das: Der Bundesrat empfiehlt allen Schweizerinnen und Schweizern, die sich im Ausland befinden, aufgrund des Corona-Virus schnellstmöglich nach Hause zu fliegen.»
Dario Wyss

Soraya Stäheli (21), Detailhandelsfachfrau bei Jelmoli

«Da ich als Detailhandelsfachfrau im Non-Food Bereich arbeite, war Homeoffice noch nie eine Option. Auch nicht nach dem Bundesratsentscheid von Anfang März. Dieser war für mich ein echter Dämpfer. Ich war tagelang geknickt, fühlte mich unterfordert und wusste nichts mit meiner Zeit anzufangen.

Ich – und zugegebenermassen auch meine Eltern – waren sehr erleichtert, als sich mein Vorgesetzter bei mir meldete. Er bot mir an, dass ich während des Lockdowns ein paar Mal die Woche in der Lebensmittelabteilung aushelfen könne. Dieses Angebot nahm ich natürlich dankend an.

Von da an ging es für mich wieder etwas bergauf. Neben der Teilzeitarbeit nutzte ich nun die freie Zeit viel nachhaltiger. Mit meiner Familie zum Beispiel. Zeit, welche ich in meiner Berufstätigkeit sonst nicht habe. Sowieso lernte ich in dieser ausserordentlichen Phase Selbstverständlichkeiten wieder mehr zu schätzen. Sport an der frischen Luft. Oder das Gefühl, einen geregelten Tagesablauf zu haben. Zudem wünschte ich mir vor der Corona-Krise so oft Zeit herbei, um einmal nichts zu tun. Als ich aber nur noch Zuhause sein musste, merkte ich, wie viel mir die Arbeit doch gibt. Und auch wenn noch nicht klar ist, wie lange und in welcher Form das Coronavirus meinen Arbeitsalltag noch einschränken wird, so war ich in erster Linie einfach dankbar, ab dem 11. Mai wieder arbeiten gehen zu dürfen.»

«Da ich als Detailhandelsfachfrau im Non-Food Bereich arbeite, war Homeoffice noch nie eine Option.»
Soraya Stäheli

Isabelle Oeschger (30), Primarschullehrerin in einer 5. Klasse

«Lehrerin zu sein, war für mich schon immer mehr als ein Beruf – eine Berufung trifft es schon eher. Ich hatte mich darum mit Anfang 20 bewusst für ein Pädagogik-Studium entschieden, um mit jungen Menschen zusammenarbeiten zu können und stundenlanges Vor-dem-Computer-Bildschirm-Sitzen zu vermeiden. Das Coronavirus spielte mir also nicht wirklich in die Karten.

Früher ein Klassenzimmer, nun ein Küchentisch mit Stuhl und Laptop. Ein normaler Schultag hatte bisher bis zu sieben Lektionen. Der Lockdown-Schultag hingegen sah nicht mehr als zweieinhalb Stunden Hausarbeit pro Kind vor. Es war herausfordernd, die richtige Menge an Ufzgi für die Kinder zusammenzustellen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es nicht reichte, den Kindern nur Aufträge zu schicken. Ich musste auch nachprüfen können, ob und wie diese erledigt wurden. Dies stellte sich als äusserst schwierig heraus. Ich versuchte, mich täglich mit den Schülern auszutauschen. Da sich aber einige selten bis nie zur abgemachten Zeit in das Kommunikationsprogramm eingeloggt hatten, musste ich immer wieder die Eltern anrufen, um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei.

Auch wenn Homeschooling einige Vorteile mit sich bringen mag, verliert man sich so viel schneller aus den Augen. Beim Frontalunterricht merke ich zum Beispiel schnell, wenn ein Kind psychisch angeschlagen ist. Ich kann das Kind zu mir nehmen und es emotional abholen. Über eine Laptop-Kamera ist das kaum möglich.»

«Beim Frontalunterricht merke ich zum Beispiel schnell, wenn ein Kind psychisch angeschlagen ist. Ich kann das Kind zu mir nehmen und es emotional abholen.»
Isabelle Oeschger

Sheila Wiederkehr (27), kaufmännische Angestellte, Assistentin des Geschäftsführers in einer Treuhand- und Rechtsberatungsfirma

«Homeoffice war für mich bisher nur ein Wort. So auch für meine Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten. Für unser Unternehmen bedeutete der Bundesratsentscheid daher vor allem, auf Teufel komm raus ein Homeoffice-Konzept auf die Beine zu stellen. Nach kurzer Eingewöhnungszeit ging für mich jedoch technisch alles wieder seinen gewohnten Lauf – einfach nicht mehr im Büro, umgeben von Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, sondern zuhause, im Beisein meiner Katzen und meines Freundes.

Schon wenige Tage nach dem Lockdown stellten wir fest, dass unsere Firmenkunden grössere Ausgaben auf ein Minimum reduzierten. Da unser Geschäft aber von eben solchen Ausgaben abhängt, musste mein Chef schon bald nach dem Lockdown Kurzarbeit anmelden. Dies verschaffte mir ein ganz komisches Gefühl und ich erlebte einen bisher unbekannten Druck. Die Arbeitstage fühlten sich plötzlich an wie Ferientage. Dies waren sie aber natürlich nicht, da ich trotzdem jederzeit erreichbar, sprich am Laptop und Telefon, bleiben musste.

Die Corona-Pandemie hat für mich auch eine positive Seite: Die Erkenntnis und Dankbarkeit, ein geregeltes Einkommen zu haben, die Zusammengehörigkeit innerhalb des Teams zu spüren und nicht zuletzt auch die offene Kommunikation mit unserer Geschäftsleitung. Heute glaube ich, dass sich die Haltung der Unternehmensleitung durch den Lockdown gegenüber dem Konzept Homeoffice verändert hat. Dies würde ich begrüssen.»

«Schon wenige Tage nach dem Lockdown stellten wir fest, dass unsere Firmenkunden grössere Ausgaben auf ein Minimum reduzierten.»
Sheila Wiederkehr

Max Fischer (25), Bachelor of Arts in Organisationskommunikation, Kurier und als freischaffender Journalist auf Arbeitssuche

«Als die Corona-Pandemie in der Schweiz ausbrach, arbeitete ich gerade als Teilzeit-Kurier. Bis spätestens Ende Frühjahr 2020 wollte ich eine feste Anstellung in der Organisationskommunikation finden – auf diesem Gebiet hatte ich im Sommer 2019 den Bachelor gemacht. Anfang 2020 begann ich, eine passende Stelle zu suchen. Die Jobsuche empfand ich schon vor der Corona-Krise als Spiessrutenlauf. Der Lockdown erschwerte die Suche aber nochmals ungemein. Laufende Bewerbungsprozesse wurden eingestellt und aufgeschaltete Stelleninserate vom Netz genommen. Ich dachte mir, in Zeiten der Corona-Krise würden wenigstens Kurierdienste kaum unter der Krise leiden. Weit gefehlt!

Der Kurierdienst, für den ich arbeite, wird vor allem von Geschäftskunden genutzt. Diese erteilten jedoch immer weniger Aufträge. Zeitweise war die Auftragslage so prekär, dass der Betrieb Kurzarbeit beantragen musste. In den Monaten März und April konnte ich deshalb kaum arbeiten. Besonders einschneidend war, dass der Bundesrat zu Beginn der Krise noch keine Kurzarbeitsentschädigung für Arbeitnehmende auf Aushilfsbasis vorgesehen hatte. Neben der Langeweile entwickelte sich in diesen Wochen für mich ein grosser finanzieller Druck und eine zunehmende generelle Verunsicherung. Die Kurzarbeitsentschädigung für Teilzeit-Arbeitnehmende verschaffte mir dann etwas Luft. Doch der Druck, aufgrund der wirtschaftlich kritischen Lage keine passende Stelle zu finden, beschäftigt mich jeden Tag.»

Veröffentlicht am: 29.5.2020

«Zeitweise war die Auftragslage so prekär, dass der Betrieb Kurzarbeit beantragen musste. In den Monaten März und April konnte ich deshalb kaum arbeiten.»
Max Fischer

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Autorin

  • Jasmine Oeschger

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