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In Kantinen wird viel Fleisch gegessen. Eine Studie zeigt, wie Gäste häufiger zum Vegi-Menü greifen – manchmal sogar, ohne es zu merken.

Das Tomatenrisotto mit Basilikum, Mascarpone und Gemüse schmeckt den beiden jungen Frauen. «Ich habe mir vorgenommen, der Umwelt zuliebe öfters fleischlos zu essen», sagt die eine der KV-Lernenden. Dies falle ihr auch überhaupt nicht schwer, ergänzt die 17-Jährige. Ihre Kollegin pflichtet ihr bei: In der Kantine des KV Zürich seien regelmässig attraktive Menüs ohne Fleisch im Angebot. Derweil haben drei Männer am Nebentisch das Chicken Sweet and Sour mit Jasminreis gewählt – wie die meisten Besucher an diesem Tag. Das Gericht wird zuvorderst am Büfett ausgeschöpft und das Poulet riecht bereits beim Betreten des Restaurants verführerisch. Weitere Angebote an diesem Donnerstag im Februar sind der Cheebab – in Fladenbrot gewickelter Käse mit Salat und Sauce – sowie der Cheeseburger mit Rindfleisch.

Das KV-Restaurant gehört zur SV Group, die in der Schweiz sowie in Deutschland und Österreich rund 600 Gastronomiebetriebe führt – ein Grossteil davon in Ausbildungsinstitutionen und Firmen. Der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt, den CO₂-Fussabdruck stetig zu reduzieren und das Angebot an vegetarischen und veganen Gerichten auszubauen. Weiter soll der Anteil an Fleisch aus tierfreundlicher Haltung von 60 auf 80 Prozent vergrössert werden. Bei der Umsetzung dieser Vorhaben arbeitet der Konzern mit dem WWF und dem Schweizer Tierschutz zusammen. Auch beteiligt sich die SV Schweiz an der Entwicklung von neuen Fleischersatzprodukten.

Dass ein grösserer Anteil an pflanzlichen Zutaten besser ist für die Umwelt als Speisen, bei denen Fleisch und andere tierische Produkte im Zentrum stehen, ist mittlerweile weitum bekannt. Doch trotz hoher Präsenz der veganen Bewegung geht der durchschnittliche Fleischkonsum in der Schweiz kaum zurück. Jährlich stehen gut 50 Kilogramm pro Jahr zur Verfügung, wobei nicht ganz klar ist, wie viel davon tatsächlich gegessen wird. Noch nicht eingerechnet in dieser Menge sind Fisch und Einkäufe im Ausland. Und was viele nicht wissen: Gemäss Erhebungen des Branchenverbands Proviande werden rund 50 Prozent des Fleisches auswärts gegessen. Somit hätten Gastronomie-Betriebe – insbesondere im Bereich Mittagsverpflegung – einen grossen Hebel in der Hand, um die Klimabelastung zu senken.

Grösseres fleischloses Angebot

Wie dies gelingen könnte, zeigt ein Versuch, den Wissenschaftler der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften 2017 durchgeführt haben. In zwei Kantinen der Fachhochschule in Wädenswil, die ebenfalls von der SV Schweiz betrieben werden, haben sie während sechs Wochen das fleischlose Angebot vergrössert. Stehen normalerweise zwei Fleisch- und ein Vegi-Menü zur Wahl, so waren es in den sechs Interventionswochen nur noch eines mit Fleisch sowie ein vegetarisches und ein veganes – wobei manchmal zusätzlich übrig gebliebene Menüs vom Vortag dazukamen.

Zudem waren die fleischlosen Menüs nicht als solche gekennzeichnet. Vegi-Menüs hätten bei vielen einen schlechten Ruf, erklärt Co-Studienleiterin Priska Baur. «Deshalb wollten wir untersuchen, ob sich die Gäste eher für ein vegetarisches oder veganes Gericht entscheiden, wenn es nicht entsprechend angepriesen wird.» Dazu müsse allerdings die Qualität stimmen. Nur einfach Fleisch durch verkochtes Gemüse zu ersetzen, funktioniere nicht. In den Versuchswochen standen zum Beispiel Bündner Capuns mit Wurzelgemüse, Linsen-Gemüsecurry mit Samosa oder Burrito auf dem Speiseplan.

Die Auswertung zeigte, dass in den Vegi-Wochen deutlich weniger Fleischmenüs gewählt wurden als in den Vergleichswochen. Bei den Frauen, die generell weniger Fleisch essen, ging der Anteil von knapp 40 auf gut 28 Prozent zurück und bei den Männern von 65 auf 50 Prozent. Gleichzeitig nahm die mittlere Klimabelastung pro Gericht um fast einen Viertel ab. Insgesamt konnten über 26 000 Menüverkäufe ausgewertet werden. Das sei einzigartig, sagt Baur: Es gebe erst wenige wissenschaftliche Untersuchungen zum tatsächlichen Essverhalten von Menschen generell sowie in der Gastronomie.

«Wir wollten untersuchen, ob sich die Gäste eher für ein vegetarisches oder veganes Gericht entscheiden, wenn es nicht entsprechend angepriesen wird.»
Priska Baur

Die meisten sind flexibel

Bei der begleitenden Befragung von rund 1 200 Personen auf dem Campus zeigte sich zudem, dass die Zufriedenheit nicht unter dem Fleischentzug gelitten hatte – entgegen den Befürchtungen der Betreiber, welche einen Rückgang der Gäste sowie finanzielle Einbussen für möglich hielten. Bemerkenswert fand die Agrarökonomin auch, dass einige angaben, nie vegetarisch oder vegan zu essen, obwohl die Daten zeigten, dass sie dies sehr wohl hin und wieder taten. «Bei einer gluschtigen Gemüselasagne zum Beispiel denken eben viele gar nicht in den festgefahrenen Kategorien. Es geht einfach um gutes Essen».

Eine weitere interessante Erkenntnis war, dass lediglich eine sehr kleine Minderheit immer oder gar nie Fleisch wählte. «Eine wachsende Mehrheit gehört zu den Flexitariern», ist Baur zum Schluss gekommen. «Sie isst bewusst, findet einen moderaten Fleischkonsum aber in Ordnung.» Dies widerspreche der verbreiteten Meinung, man esse entweder immer oder nie Fleisch. Die Untersuchungen sind Teil des gross angelegten Forschungsprojekts Novanimal.ch, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde.

Viele Köche wurden in der Ausbildung nur unzureichend auf eine zeitgemässe Ernährung mit weniger Fleisch vorbereitet. Die SV Schweiz schickt ihre Köche deshalb in Kurse der Hiltl-Akademie in Zürich, wo sie neue Ideen erhalten und Zubereitungsarten kennen lernen. «Die Teilnahme an der Studie in Wädenswil war für uns sehr spannend und hat uns bestärkt, diesen Weg weiter zu gehen», sagt Manuela Stockmeyer von der Kommunikationsstelle. Bereits jetzt sei das Angebot in nahezu allen SV-Restaurants zu 50 Prozent vegetarisch. «Wir denken schon seit einiger Zeit nicht mehr in den Kategorien Fleisch/Fisch oder vegi, sondern haben Menüpläne, auf denen die Menus springen.»

«Eine wachsende Mehrheit gehört zu den Flexitariern»
Priska Baur

Die Bedürfnisse der Gäste

Ein Blick in die Speisekarten der einzelnen Betriebe zeigt jedoch, dass diese Strategie noch nicht überall angekommen ist. Auch am KV Zürich stehen an vielen Tagen drei Fleisch- und lediglich ein Vegi-Menü zur Auswahl. Dazu kommt ein Büfett mit vielen pflanzlichen Gerichten, aber auch Fleisch. Vegane Speisen stehen lediglich etwa einmal pro Woche auf dem Menüplan. Auch saisonales Gemüse ist im Winter rar. In diesem Betrieb sei die Nachfrage nach Fleisch relativ gross, so Stockmeyer. «Wir versuchen zwar, die Gäste mit schmackhaften vegetarischen Gerichten vom Fleisch wegzulocken, wollen aber die Bedürfnisse der Gäste nicht ausser Acht lassen.»

Auch die neuen Fleischersatzprodukte, die in anderen Kantinen bereits eingesetzt werden, gibt es im KV-Restaurant noch nicht. Die SV Schweiz pflegt eine Kooperation mit dem ETH-Spin-off planted.ch. Dieses hat kürzlich ein Produkt aus Erbsenmehl auf den Markt gebracht, das geschnetzeltem Poulet in Aussehen, Konsistenz und Geschmack sehr nahekommt. Damit können herkömmliche, beliebte Gerichte wie etwa Geschnetzeltes an Rahmsauce klimaschonend und tierfreundlich zubereitet werden. Seit 2012 habe man die Klimabelastung bereits um 12 Prozent reduzieren können, sagt Manuela Stockmeyer. «Wir sehen allerdings, dass eine weitere Reduktion immer schwieriger wird. Um eine zusätzliche Senkung zu erreichen, muss auch die Nachfrage von Seiten unserer Gäste hin zu mehr vegetarischen Menus zunehmen.»

Veröffentlicht am: 12.5.2020

«Wir sehen allerdings, dass eine weitere Reduktion immer schwieriger wird. Um eine zusätzliche Senkung zu erreichen, muss auch die Nachfrage von Seiten unserer Gäste hin zu mehr vegetarischen Menus zunehmen.»
Manuela Stockmeyer

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Autorin

  • Andrea Söldi

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