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«Der Mitgliederschwund und der Kostendruck zwingen uns zu Veränderungen»

Der Kaufmännische Verband steht vor einer umfassenden Reform. Ab 2022 übernehmen die Sektionen Mitglieder-Dienstleistungen, die bis anhin der Dachverband erbracht hat. Publishing und Rechtsberatung zum Beispiel sind künftig beim Kaufmännischen Verband Zürich angesiedelt. Damit sollen Doppelspurigkeiten beseitigt und Kosten gespart werden, sagt Verbandspräsident Daniel Jositsch.

Context: Der Kaufmännische Verband plant eine Totalrevision seiner Statuten. Weshalb?

Der Verband hat seit vielen Jahren einen durchschnittlichen Verlust von 1000 Mitgliedern pro Jahr. Diese negative Entwicklung gilt es zu stoppen. Wir stehen unter grossem Konkurrenzdruck, insbesondere von gut organisierten und positionierten Fachverbänden, welche die berufliche Spezialisierung als ihre Chance gepackt haben. Darauf müssen wir reagieren.

Haben sich die Ansprüche und Erwartungen der Mitglieder verändert?

Die heutigen Mitglieder sind mobil, digital unterwegs und nutzenorientiert. Es ist ihnen mehrheitlich egal, wer eine Dienstleistung wo anbietet. Entscheidend ist, ob die Dienstleistung interessiert und dass sie rasch, kostengünstig und in guter Qualität zur Verfügung steht.

Wird der Verband diesen Ansprüchen und Erwartungen nicht mehr gerecht?

Unsere Organisation ist während gut 150 Jahren gewachsen. Sie ist föderal organisiert und hat in der Vergangenheit bestens funktioniert. Unsere Kunden haben sich aber verändert, damit muss sich auch unsere Organisation entwickeln. Die Kunden entscheiden Jahr für Jahr, ob sie die Mitgliederrechnung weiterhin bezahlen. Sie entscheiden, ob wir für sie noch attraktiv sind. Diese Attraktivität ist in den letzten Jahren offenbar gesunken, die Mitgliederzahlen zeigen das. Hier haben wir also Handlungsbedarf. Unsere aktuelle Struktur ist zu teuer, sie ist nicht effizient genug und zwingt viele Organisationseinheiten, ihre Reserven aufzubrauchen. Das ist nicht nachhaltig und schon gar nicht innovativ. Es ist also höchste Zeit, etwas zu verändern.

«Unsere aktuelle Struktur ist zu teuer, sie ist nicht effizient genug und zwingt viele Organisationseinheiten, ihre Reserven aufzubrauchen. Das ist nicht nachhaltig und schon gar nicht innovativ.»
Daniel Jositsch

Welchen Einfluss hat die aktuelle Krise auf die Strukturreform?

Die Delegiertenversammlung hat schon 2019 beschlossen, dass bis 2022 eine Totalrevision der Statuten erfolgen muss. Mit der Corona-Situation hat sich die Lage zusätzlich verschärft. Einerseits hat der finanzielle Druck stark zugenommen. Anderseits hat sich gezeigt, dass sich die verbandsinternen Strukturen in Krisensituationen nicht bewähren. Der Zentralvorstand hat daher nun schon jetzt beschlossen, die Strukturen und die Aufgabenverteilung zwischen den Sektionen und ihrem Dachverband anzupassen.

Welches sind die geplanten Änderungen?

Aufgaben und Kompetenzen sollen sauber getrennt und Doppelspurigkeiten, wie es sie bis anhin gibt, vermieden werden. So bieten heute zum Beispiel der Kaufmännische Verband Schweiz und mehrere Sektionen für die Mitglieder eine Rechtsberatung an. Das macht wenig Sinn. Künftig sollen alle Dienstleistungen für die Mitglieder von den Sektionen beziehungsweise den Regionen erbracht und Redundanzen beseitigt werden. Das bedeutet unter anderem, dass künftig Rechtsdienst, Mitgliedermarketing und Mitgliederverwaltung zu den Aufgaben der Sektionen gehört.

Auf eine jahrelange Zentralisierung gewisser Dienstleistungen für alle Mitglieder folgt eine Regionalisierung. Ist das sinnvoll und kann man damit Kosten einsparen?

Die Sektionen des Kaufmännischen Verbands waren schon immer autonom. Der Dachverband hat gegenüber ihnen keine Weisungsbefugnis. Mit der Übernahme gewisser Aufgaben und der daraus resultierenden finanziellen Verantwortung halten sie an ihrer Autonomie fest. Und mit den Massnahmen entfällt konsequenterweise der Beitrag, welcher die Sektionen an den Dachverband leisten (ZV-Beitrag). Die Sektionen zahlen somit keinen obligatorischen Betrag mehr an den KV Schweiz, sondern verfügen über ihre eigenen Mittel und finanzieren damit die Dienstleistungen, die gegenüber den Mitgliedern erbracht werden, indem sie sie entweder selbst erbringen oder über Leistungsvereinbarungen bei anderen Sektionen respektive Regionen oder beim KV Schweiz einkaufen. Damit wird die Finanzierung transparent und effizient. Der KV Schweiz wiederum finanziert sich aus seinen eigenen Mitteln, namentlich aus den Erträgen seines Vermögens (Tochtergesellschaften HWZ, SIB, SKV Immobilien, Verlag SKV, examen.ch und SIZ AG), seiner Dienstleistungen sowie aus den Erträgen seiner Stiftung Sozial- und Bildungsfonds.

«Künftig sollen alle Dienstleistungen für die Mitglieder von den Sektionen beziehungsweise den Regionen erbracht und Redundanzen beseitigt werden.»
Daniel Jositsch

Der Dachverband verliert also an Aufgaben.

Es bedeutet nicht, dass die erwähnten Aufgaben zwingend ausschliesslich von den Sektionen erbracht werden müssen. Der Dachverband kann einen Teil der Aufgaben übernehmen, falls dies von den Sektionen gewünscht wird. Die Sektionen wiederum werden sich untereinander organisieren. So ist beispielsweise geplant, dass der Kaufmännische Verband Zürich für alle Sektionen ein Publishing-Konzept entwickelt. In anderen Bereichen können Dienstleistungen weiterhin im Rahmen von Leistungsvereinbarungen vom Dachverband erbracht werden. Federführend sind bei diesen Dienstleistungen aber die Sektionen und nicht mehr der Dachverband. Das Ziel ist also, einerseits die Verantwortlichkeit zu klären, andererseits eine effiziente Leistungserbringung zu gewährleisten. Der KV Schweiz nimmt nach wie vor die übergeordneten Aufgaben wahr, also insbesondere die Verbandspolitik, die Bildung, die Sozialpartnerschaft, die nationale Kommunikation, das nationale Marketing. Zudem gewährleistet er die Präsenz des Verbands in allen Landesteilen sowie die Dreisprachigkeit. Hier sind zurzeit Gespräche im Gang, wie das ausgestaltet sein wird.

Die Mitarbeitenden des Dachverbands sind verunsichert. Müssen sie aufgrund der Verschiebung gewisser Aufgaben vom Dachverband zu den Sektionen mit einem Stellenabbau rechnen?

Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage ist das möglich. Aber es ist noch zu früh, dies definitiv zu sagen.  Es ist auch denkbar, dass es zu Verschiebungen kommt, das heisst, Mitarbeitende, die bis anhin für den Dachverband tätig waren, finden eine Anstellung bei den Sektionen, die ja künftig Aufgaben übernehmen werden, für die bis anhin der Dachverband zuständig war – sofern die Mitarbeitenden das möchten.

Die Reform zieht auch strukturelle Veränderungen nach sich.

Das ist richtig. Zu den Reformen gehören die folgenden geplanten strukturellen Veränderungen: eine Neuorganisation des Zentralvorstandes und der Delegiertenversammlung sowie die Abschaffung der operativen Gesamtleitung. Damit möchte der Zentralvorstand die Effizienz und Rentabilität des Kaufmännischen Verbands und seiner Aktivitäten steigern.

Veröffentlicht am: 06.05.2021

«Das Ziel ist also, einerseits die Verantwortlichkeit zu klären, andererseits eine effiziente Leistungserbringung zu gewährleisten.»
Daniel Jositsch

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Autor

  • Rolf Murbach

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