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Führungs- Selbst- und Sozialkompetenzen gewinnen an Bedeutung, zeigt eine Studie der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich im Auftrag des Kaufmännischen Verbands. Zudem werden IT-Anwendungskompetenz und Kollaboration immer wichtiger für den beruflichen Erfolg, sagt Studienautorin Sybille Sachs.

Context: Frau Sachs, Ihre Studie zeigt auf, welche Kompetenzen künftig gefordert sind. Was hat Sie überrascht?

Sybille Sachs: Überrascht hat mich, dass in Zukunft sehr viel mehr Mitarbeitende Führungskompetenzen mitbringen müssen, als dies noch vor kurzem der Fall war. Sie sind in unterschiedlichen Projekten tätig, übernehmen einmal den Lead und sind ein andermal Fachkräfte. Das bedeutet, es gibt nicht mehr nur die klassische Führungskraft, sondern der Lead wechselt projektabhängig. Und das heisst auch: Herkömmliche Hierarchien verlieren an Bedeutung.

Wir stehen mitten in einem grossen Wandel. Wie kann man sich darauf vorbereiten?

In Bildungsinstitutionen und in Unternehmen ist diese Transformation im Gang. Aus- und Weiterbildung fokussieren auf ein breites Kompetenzenportfolio mit Generalisten- und Fachwissen. Die anstehende Reform der kaufmännischen Grundbildung trägt dem Rechnung. In den Unternehmen wiederum sind, wie gesagt, die Hierarchien fluider. Projektverantwortliche verfügen über grössere Entscheidungskompetenzen. Sie sollen in ihrer Arbeit nicht durch schwerfällige hierarchische Strukturen behindert werden. Kommt hinzu: Führung ist künftig kollaborativer. Einsame Top-Down-Entscheide sind meist nicht mehr zielführend. Die Mitarbeitenden denken mit und bringen sich ein, was zu einer grösseren Identifikation mit dem Unternehmen führt und sich positiv auf Innovation und Produktivität auswirkt. Die Firmen bereiten sich auf den Wandel vor beziehungsweise leben ihn, indem sie ihn einüben. Das bedingt eine Kultur der Veränderungsbereitschaft.

Lassen sich die Führungskräfte darauf ein? Immerhin müssen sie Macht abtreten. Da ist Widerstand denkbar.

In den letzten zwei, drei Jahren haben viele Betriebe einen Wandel durchgemacht, die Widerstände sind zurückgegangen – auch weil die Unternehmen gemerkt haben, dass sie in der schnelllebigen Arbeitswelt nur erfolgreich sind, wenn sie agil auf Veränderungen reagieren können. Es gibt unterdessen auch Betriebe, die ihre Abteilungen holokratisch führen. Die Mitarbeitenden entscheiden mit, haben grosse Autonomie und tragen Verantwortung. Kurskorrekturen sind so schneller möglich, weil langwierige und bürokratische Abläufe wegfallen. Natürlich gibt es immer noch Führungskräfte, die mit der neuen Kultur Mühe haben und am Alten festhalten. Aber es werden immer weniger.

Zur Person
Sybille Sachs ist Leiterin des Instituts für Strategisches Management an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Sie ist Initiantin und Co-Autorin der Studie «Betriebswirtschaftliche Berufsbilder 2030».

Welche weiteren Kompetenzen sind künftig gefragt?

Methodenkompetenz ist auch ganz wichtig. Mitarbeitende müssen in der Lage sein, sich gegenseitig zu motivieren, Wege aufzuzeigen, wohin die Reise geht. Dazu gehört auch Kreativität, also die Fähigkeit, etwas einmal ganz anders anzupacken, Ungewohntes zu tun, von immer gleichen Vorgehensweisen abzurücken. Dies wiederum bedingt eine Fehlerkultur: Man soll und darf Fehler machen, ohne dafür abgestraft zu werden.

Immer wichtiger werden auch die Kommunikationskompetenzen: Anliegen verständlich formulieren, gut zuhören, andere verstehen, sich im Team, aber auch mit externen Stakeholdern austauschen. Überhaupt wird die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Playern immer wichtiger. Kollaboration ist ein Erfolgsfaktor schlechthin, weil viele Projekte sehr komplex sind und den Austausch von Spezialistinnen und Spezialisten bedingen. Wer das Handwerk von Kommunikation und Zusammenarbeit beherrscht, ist im Vorteil. Schliesslich ist die Selbstführung eine bedeutsame persönliche Kompetenz. Ich muss zum Beispiel wissen, wann ich welche Leute involviere oder wann ich in einem Projekt selbstständig voranschreite. Das ist sehr anspruchsvoll, vor allem für Menschen, die sich dies nicht gewohnt sind.

Eine weitere Kompetenz ist die Reflexionsfähigkeit.

Ja, ich muss in der Lage sein, das eigene Handeln zu reflektieren. Was habe ich gut gemacht? Wo muss ich ein nächstes Mal einen anderen Weg einschlagen? Weshalb ist ein Projekt gelungen und weshalb nicht? Ich lerne nur, wenn ich mir über mein Handeln bewusst bin. Und zum Lernen: Die Weiterbildungsbereitschaft gehört ebenfalls zu einer wichtigen Kompetenz. Es gibt Berufe, in denen regelmässige Weiterbildung selbstverständlich ist. Denken wir an Piloten, Ärztinnen oder Chauffeure. In anderen Berufen leisten es sich Fachkräfte, über Jahre keine Kurse zu besuchen. Das funktioniert in einer Arbeitswelt, die sich so schnell verändert, nicht mehr. Lebenslanges Lernen ist unerlässlich.

Lernfähigkeit und Entwicklung fussen ebenfalls auf Reflexion.

Stimmt. Ich sollte erkennen, was ich brauche. Weiterbildungen gestalten sich mit voranschreitender Laufbahn und Spezialisierung immer differenzierter. Es macht keinen Sinn, irgendwelche Weiterbildungen auf Vorrat zu absolvieren. Es gibt den Trend zu kurzen und massgeschneiderten Angeboten. Weiterbildung funktioniert aber nur, wenn auch die Unternehmen bereit sind, ihren Beitrag zu leisten. Sie müssen die Mitarbeitenden zur Weiterbildung ermutigen und auch Zeit dafür bereitstellen. Von überlasteten Angestellten zum Beispiel kann man nicht verlangen, sich in der Freizeit weiterzubilden.

«Kollaboration ist ein Erfolgsfaktor schlechthin, weil viele Projekte sehr komplex sind und den Austausch von Spezialistinnen und Spezialisten bedingen. Wer das Handwerk von Kommunikation und Zusammenarbeit beherrscht, ist im Vorteil.»
Sybille Sachs

Was bedeuten all die Kompetenzen für die anstehende Reform der kaufmännischen Grundbildung?

Sie werden in die Reform einfliessen. Die neue KV-Lehre soll sich ja an Kompetenzen orientieren. Das kaufmännische Fachwissen, das branchenabhängig vertieft wird, ist aber nach wie vor wesentlich. Hinzu kommt ein breites Generalistenwissen, weil sich Berufe im Wandel befinden. Schliesslich werden IT-Grund-und Anwenderkenntnisse immer wichtiger. Die Geschäftsmodelle verändern sich, zum Beispiel aufgrund von Blockchain oder Künstlicher Intelligenz. Das müssen KV-Absolventen verstehen.

Wie verändert sich der Unterricht?

Es ist sehr erfreulich, dass viele Schulen bereits heute neue Lernsettings erproben oder eingeführt haben. Das selbstgesteuerte und projektbezogene Lernen ist im Vormarsch, was den Erwerb von Sozial- und persönlichen Kompetenzen unterstützt. Der Unterricht wird vielfältiger, es kommen ganz unterschiedliche Formate und Methoden zum Zug. Verändern wird sich auch die Rolle der Dozierenden. Sie werden noch mehr in der Rolle des Coachs arbeiten.

Es ist von Handlungs-, Sozial- und Selbstkompetenzen die Rede. Bleibt die Bildung auf der Strecke, Literatur zum Beispiel?

Wenn es gelingt, Bildung in Beziehung zur eigenen Lebens- und Berufswelt zu setzen, glaube ich das nicht. Nehmen wir die Buddenbrooks von Thomas Mann, die Geschichte des Untergangs einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Junge Menschen interessieren sich für solche Themen, wenn sie sehen, wie aktuell sie sind. Die Frage ist, wie man einen Stoff attraktiv aufbereitet und zugänglich macht. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir interdisziplinär lernen und arbeiten – Literatur und Betriebswirtschaft ist ein schönes Beispiel dafür –, weil das auch in der Arbeitswelt immer mehr gefordert ist. Sinnvoll ist im Hinblick auf die Reform auch eine engere Zusammenarbeit von Ausbildungsbetrieben, überbetrieblichen Kursen und Grundbildung. Diesen Wunsch höre ich oft.

«Das selbstgesteuerte und projektbezogene Lernen ist im Vormarsch, was den Erwerb von Sozial- und persönlichen Kompetenzen unterstützt.»
Sybille Sachs

Viele Berufe erfahren ein sogenanntes «upskilling». Die Aufgaben sind anspruchsvoller. Das ist für leistungsschwächere Lernende schwierig. Was kann man für sie tun?

Gerade in kaufmännischen Berufen ist dieses «upskilling» bedeutsam. Routineaufgaben verschwinden, die berufliche Weiterentwicklung ist unerlässlich. Die Situation von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern ist den Berufsschulen bewusst und man wird sich darüber Gedanken machen, welche Fördermassnahmen hilfreich sind. Zudem können auch Unternehmen einen Beitrag leisten, indem sie die Lernenden massgeschneidert unterstützen. Die Förderung beginnt aber schon in der obligatorischen Schule, wo Schülerinnen und Schüler auf eine anspruchsvolle Berufswelt vorbereitet werden.

Als Sie Ihre Studie durchführten, war Corona noch kein Thema. Es herrschte Normalität. Wie schlägt sich die Krise auf die Aus- und Weiterbildung nieder?

Wir erfahren gerade einen enormen Weiterbildungs- und Digitalisierungsschub. Freiberufler, Mitarbeitende, Studierende, Dozierende, Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler: Alle mussten in kürzester Zeit auf digitale Tools umstellen. Was bis anhin undenkbar war, Homeschooling und flächendeckendes Homeoffice, wurde in kürzester Zeit verwirklicht. Zudem erfahren wir noch stärker, wie wichtig Zusammenarbeit, Solidarität und ein wertschätzender Umgang miteinander sind.

«Gerade in kaufmännischen Berufen ist dieses «upskilling» bedeutsam. Routineaufgaben verschwinden, die berufliche Weiterentwicklung ist unerlässlich.»
Sybille Sachs

Studie Betriebswirtschaftliche Berufsbilder 2030

Das Ziel der von der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich durchgeführten Studie war, die zukünftig geforderten Kompetenzen von Nachwuchskräften in unteren und mittleren Kaderpositionen in Unternehmen sowie den langfristen Bedarf an solchen Nachwuchskräften in der Schweiz zu identifizieren. Zudem ermittelten die Studienautoren die sich verändernden Anforderungen an eine entsprechende allgemeine kaufmännische Grundbildung.

Wichtige Resultate

Zukünftig werden die Anforderungen für Nachwuchskräfte mit betriebswirtschaftlichen Berufsbildern zunehmen, da sie über vielfältige Kompetenzen (fachliche, methodische, soziale und persönliche) verfügen und diese auch anwenden müssen. Bei den Fachkompetenzen gewinnen IT-Anwendungskompetenzen an Relevanz. Der Wert von berufsspezifischem (bzw. kaufmännischem) Fachwissen bleibt weiterhin bestehen, jedoch wird sich das Fachwissen in Zukunft immer schneller verändern.

Zu den wichtiger werdenden Sozialkompetenzen gehören die Fähigkeit, im Team zu arbeiten und mit anderen zu kooperieren, sowie die Fähigkeit, mit anderen Mitarbeitenden, aber auch mit Kunden und Kundinnen oder Geschäftspartnern und -partnerinnen kommunizieren zu können. Auch die Führungskompetenz wurde als wichtige Sozialkompetenz eingeschätzt, da Mitarbeitende vermehrt eine aktive Rolle im Führungsprozess übernehmen werden. Zukünftig wird der Bedarf nach Führungskräften abnehmen, der Bedarf nach Mitarbeitenden, die auch über Führungskompetenzen verfügen, wird jedoch stark steigen.

Von grosser Relevanz bereits auf Stufe der kaufmännischen Grundbildung sind die persönlichen Kompetenzen. Die flacheren Hierarchien in Unternehmen verlangen von Mitarbeitenden zukünftig mehr Selbstmanagement.

Durch die Digitalisierung und Automatisierung werden Routinearbeiten in vielen Fällen wegfallen, weshalb Methodenkompetenzen wie Kreativität, Problemlösungs- sowie Entscheidungskompetenzen an Bedeutung gewinnen. Insbesondere erforderlich sind auch analytische Fähigkeiten, um mit komplexen Daten umgehen und Zusammenhänge erkennen zu können.

Lernformenmix

Für die Entwicklung dieses Kompetenzportfolios schlägt die Studie einen Lernformenmix vor, der sich aus (Inter-)Disziplinarität sowie Handlungs- und Teamorientierung zusammensetzt.

Und für den Veränderungsprozess der kaufmännischen Grundbildung ist laut Studie eine Mindset-Veränderung aller beteiligten Institutionen eine notwendige Bedingung, die zeitintensiv sein wird. Die Bildungsinstitutionen selbst sollten sich diesem Veränderungsprozess stellen, damit Lehrpläne flexibler und die Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg gefördert werden können. Zudem sollte auch die Kooperation mit den Lehrbetrieben für eine praxisnahe Lernumgebung verstärkt werden. Lehrbetriebe werden in Zukunft voraussichtlich häufiger als Verbundeinheiten auftreten.

Ziel der Studie
Die zukünftig geforderten Kompetenzen von Nachwuchskräften in unteren und mittleren Kaderpositionen in Unternehmen sowie den langfristen Bedarf an solchen Nachwuchskräften in der Schweiz zu identifizieren

Weitere Informationen

Autor

  • Rolf Murbach

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