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Macherin mit vielen Talenten

Nina Kleiner war Praktikantin in Tokio und arbeitete als Schulleiterin in Zürich. Anschliessend studierte die ehemalige KV-Absolventin Psychologie.

Nach der Berufsmatura-Diplomfeier war Nina Kleiner im Juli 2014 zusammen mit ihren Eltern in einem Restaurant beim Nachtessen. Die erfolgreich absolvierte Weiterbildung galt es zu feiern. Am Nebentisch hielt sich eine Delegation von Mitsubishi Motors auf. Mit dabei war auch ein Bekannter ihres Vaters.

Nina Kleiner stand kurz vor einer mehrmonatigen Auslandsreise, welche sie nach Neuseeland, Indien und Südostasien bringen sollte. Abschluss sollte ein dreimonatiger Aufenthalt in Japan sein. Dort wollte die heute 29-Jährige ein Praktikum machen. Ihre Motivation damals: Eine aus Schweizer Sicht möglichst fremde Arbeitskultur kennenlernen. Und sie hatte deswegen auch bereits mehrere Firmen kontaktiert, jedoch erfolglos.

Das sollte sich an diesem Abend ändern. Sie fragte den CEO von Mitsubishi Schweiz, ob das Unternehmen in Tokio Praktikantinnen anstelle. Er verwies sie an die ebenfalls anwesende Verantwortliche für die Schweiz in Japan. Von dieser erhielt Nina Kleiner die Visitenkarte und bewarb sich dann erfolgreich.

Montagmorgen in Tokio

Einige Monate später: Ihr erster Arbeitstag in Tokio. Am Tag zuvor, einem Sonntag, hatte sie ihren Arbeitsweg probehalber einmal zurückgelegt. «Nur konnte ich mir nicht vorstellen, dass es am Montag mit den unglaublich vielen Berufstätigen ganz anders aussehen würde», erinnert sie sich. Sie habe beinahe Panik bekommen angesichts der Menschenmassen auf dem U-Bahn-Steig und befürchtet, niemals rechtzeitig ins Büro zu kommen. Doch das war unbegründet. «Es funktioniert alles sehr gut in Tokio.»

Bei Mitsubishi Motors kam sie ins Europe Sales Departement. Ihre Vorgesetzte war die ihr bereits bekannte Country-Managerin für die Schweiz. Diese unterstützte sie bei allen Fragen rund um die Arbeit, und deren Mutter half ihr bei der Organisation des täglichen Lebens. Mit jedem Tag lernte Nina Kleiner die japanische Arbeitskultur ein wenig besser kennen. Dabei ging es häufig um Höflichkeit und Respekt. Eine besondere Bedeutung hatte die hierarchische Position der Vorgesetzten und Mitarbeitenden sowie zum Beispiel die Frage, ob beim Grüssen die Hand gereicht wird oder ob man sich traditionell verbeugt. Am meisten verblüffte sie die lange Arbeitszeit. «Der Abteilungsleiter arbeitete oft von morgens um 6.30 Uhr bis nachts um 22.30 Uhr.» Die übrigen Mitarbeitenden waren meistens genauso lange anwesend.  Für sie – die erste ausländische  Praktikantin von Mitsubishi Motors in Tokio – galten andere Regeln. Sie arbeitete täglich achteinhalb Stunden.

«Der Abteilungsleiter arbeitete oft von morgens um 6.30 Uhr bis nachts um 22.30 Uhr.»
Nina Kleiner über die Arbeitskultur in Japan:

KV-Lehre als gute Wahl

«Dass ich diese ausgedehnte Reise unternahm, hatte sicher auch mit meiner damaligen Arbeitgeberin, der Flughafen Zürich AG, zu tun», sagt Nina Kleiner. Nach Abschluss des 10. Schuljahres begann sie 2009 mit der kaufmännischen Lehre bei der Eigentümerin und Betreiberin des Flughafens. Sie ist ganz in der Nähe aufgewachsen, und so war eine Lehre beim Flughafen nicht nur aus geografischen Gründen naheliegend. Ihre Lehrzeit hat sie in positiver Erinnerung. «Wir waren 30 Lernende in sechs verschiedenen Lehrberufen.» Der Zusammenhalt unter ihnen sei sehr gut gewesen, in den Lernendenlagern hätten sie jeweils gegenseitig von ihren unterschiedlichen Fähigkeiten profitieren können. Nach Lehrabschluss im Sommer 2012 blieb sie noch für weitere zwei Jahre im Unternehmen. Sie arbeitete in einem Teilzeitpensum zunächst im Praktikanten- und Lernendenwesen und danach an den Informationsschaltern am Flughafen. Berufsbegleitend besuchte sie den Berufsmatura-Lehrgang an der KV Business School Zürich.

«Während der Lehre ist bei mir der Knopf aufgegangen», sagt sie rückblickend. Zuvor lief es schulisch nicht immer ganz wie geplant. Nach der zweiten Sekundarschule misslang ihr die Aufnahmeprüfung ans Kurzzeitgymnasium und es sei damals nicht einfach gewesen, sich neu zu orientieren. Als sehr befreiend während der Lehre empfand sie, dass – wegen dem Praxisteil – das Schulische nicht mehr diesen ausschliesslichen Stellenwert hatte und gerade deshalb sei ihr das Lernen dann auch leichter gefallen. Heute ist sie überzeugt: «Das Gymi wäre nichts gewesen für mich.»

Mehrere Standbeine

Zurück aus Tokio begann sie im Sommer 2015 mit einem Bachelor-Studium in Wirtschaft an der Hochschule Luzern. Die Wahl dieses Studienfachs habe sich ganz logisch ergeben aus ihrem Interesse an den entsprechenden Fächern in der Berufsschule. Eine weitere Option wäre Psychologie gewesen, doch sei ihr dieser Ausbildungsweg damals als zu lang erschienen. Im Laufe der ersten Semester stellte sie fest, dass ihr das Wirtschaftsstudium nicht wirklich gefiel. «Vielleicht habe ich mich zu wenig damit auseinandergesetzt, was mich erwartet.» Während dieser Phase gründete sie zusammen mit zwei Musikerinnen «music & audiation», eine GmbH mit dem Zweck, eine Ausbildung nach der Theorie von Edwin E. Gordon für Musiklehrpersonen anzubieten. Bis 2018 war sie für alle administrativen und rechtlichen Belange zuständig. Sie ist überzeugt, dass im Berufsleben mehrere Standbeine von Vorteil sind. So übernimmt sie für den Psychoanalytiker Peter Schneider gewisse administrative Aufgaben sowie Arbeiten zur Vorlesungsvorbereitung. Und im Auftrag der Flughafen Zürich AG ist sie Teil eines Marktforschungsteams und arbeitet gelegentlich an Studien mit.

Während sie vor dem 5. Semester steht, treffen wir uns auf dem Zürcher Toni-Areal an einem Nachmittag im Februar 2020 zum Gespräch. Dort, wo sie nun nicht mehr Wirtschaft, sondern Angewandte Psychologie studiert – an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Noch sind Semesterferien, die Stimmung auf dem Campus ist gemächlich, gelassen. 2017 hat sie sich entschieden, das Studienfach zu wechseln, das heisst, sie wollte es versuchen. Sie durchlief ein mehrstufiges Assessment an der ZHAW und absolvierte gleichzeitig die Semesterprüfungen an der Hochschule Luzern, um sich auch diesen Weg offen zu halten. Dass sie an der ZHAW angenommen würde, war keineswegs sicher. Nur gerade ein Drittel der Kandidierenden schloss das Assessement damals erfolgreich ab. Nina Kleiner aber gehörte zu diesen. Der Wechsel von Luzern nach Zürich fiel ihr nicht schwer.

«Während der Lehre ist bei mir der Knopf aufgegangen.»
Nina Kleiner zu ihrer persönlichen Entwicklung:

Engagement für Geflüchtete

«Bei allem, was ich bisher beruflich gemacht habe, konnte ich extrem viel von meiner KV-Lehre profitieren», stellt sie fest. Ganz besonders trifft dies auch für ihre letzte berufliche Tätigkeit zu. Bis Ende 2019 war sie mit einem 60-Prozent-Pensum Schulleiterin von Welcome to School. Angefangen hatte sie dort als Freiwillige mit Sportunterricht. Das Projekt gefiel ihr, überzeugte sie. Welcome to School unterrichtet und begleitet Jugendliche und junge Erwachsene mit Fluchthintergrund während der Wartezeit auf den Asylentscheid. Die Jugendlichen sollen sich mit den hiesigen Gegebenheiten vertraut machen und sich auf den Einstieg in die schweizerische Berufswelt vorbereiten.

Nach einigen Monaten als Sportunterstützungslehrerin – sie übernahm das, weil dort gerade jemand gesucht wurde – ergab sich für sie die Möglichkeit, zusammen mit der Co-Gründerin Katrin Jaggi die Leitung zu übernehmen. Zu ihren neuen Aufgaben gehörte nun die Rekrutierung und Betreuung der rund 80 freiwilligen Lehrpersonen sowie von Helferinnen und Helfern. Sie stand in Kontakt mit den Sozialberatern und vermittelte, wenn es Probleme mit deren Klienten gab. Und sie war auch zuständig für die Betreuung der Jugendlichen und bot eine fixe Sprechstunde an oder suchte das Gespräch mit ihnen, wenn es zu Schwierigkeiten oder häufigen Absenzen gekommen war. Oft vermittelte sie auch psychologische Unterstützung oder Patinnen und Paten. Die Jugendlichen befinden sich in einer belastenden Situation. Die meisten von ihnen sind ohne Begleitung in die Schweiz geflüchtet. Hier warten sie oft zwischen drei und fünf Jahren auf einen Asylentscheid.

Auf dem richtigen Weg

«Einige dieser Jugendlichen standen in ihrem Herkunftsland vor einer akademischen Karriere. Sie besuchten das Gymnasium und wollten Arzt, Informatikerin oder Jurist werden», weiss Nina Kleiner aus vielen Gesprächen. Die Flucht bedeutete das jähe Ende ihrer ursprünglichen Pläne. Und es sei für sie ausserordentlich hart, hier zu akzeptieren, dass sie sich nochmals ganz neu orientieren müssten. Doch sei es auch immer wieder sehr erfreulich, wie viele von ihnen ihre Chance packten und – nach einem positiven Asylentscheid – eine Berufs- oder Attestlehre in Angriff nähmen. Von Nina Kleiner wissen sie, dass man in der Schweiz auch nach einer Lehre noch Akademikerin oder Akademiker werden kann.

«Meine Tätigkeit bei Welcome to School empfand ich als sehr bereichernd, aber auch als anspruchsvoll.» Daneben sei das Studium manchmal fast zu kurz gekommen. Aus diesem Grund ist sie nun zurückgetreten. Aber sie kann sich gut vorstellen, sich auch weiterhin mit dem Thema Migration zu beschäftigen, zum Beispiel im Rahmen ihrer Bachelorarbeit. Was sie beruflich einmal machen wird, ist völlig offen. Dass der Weg dorthin noch lange dauert, macht ihr heute keine Sorgen mehr. Hauptsache, es ist für sie der richtige Weg.

Erstmals veröffentlicht: 3.3.2020
Aktualisiert: 17.1.2022

«Bei allem, was ich bisher beruflich gemacht habe, konnte ich extrem viel von meiner KV-Lehre profitieren.»
Nina Kleiner kennt die Vorzüge der KV-Lehre:

Autorin

  • Therese Jäggi

Foto

  • Marion Nitsch

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