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Tipps aus der Hirnforschung – Wie Gespräche gesünder und nachhaltiger werden.

Gespräche sind weit mehr als Informationsaustausch: Sie prägen Beziehungen, beeinflussen Motivation und wirken bis in unsere Gesundheit hinein. In einer Zeit, in der psychologische Sicherheit und Wertschätzung in der Arbeitswelt immer wichtiger werden, lohnt sich ein Blick ins Gehirn.
Die Neuropsychologin Barbara Studer erklärt im Interview mit Gesundheitsförderung Schweiz, weshalb gesunde Mitarbeitendengespräche wichtig sind und welche positiven Auswirkungen sie in Betrieben fördern.

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Einstieg und Kontext

Frau Studer, warum lohnt es sich aus Sicht der Hirnforschung, über die Gestaltung von Mitarbeitendengesprächen aus einer neuropsychologischen Perspektive nachzudenken?
Weil jedes Gespräch ein starkes „Gehirnereignis“ ist. Es aktiviert Emotions-, Aufmerksamkeits- und Belohnungsnetzwerke und beeinflusst, ob wir in Lern- und Kooperationsbereitschaft gehen oder in Stress und Abwehr. Gut gestaltete Gespräche können Motivation und Bindung stärken und wirken sich nachweislich positiv auf das Wohlbefinden und sogar auf die Gesundheit aus.

Wie wirken sich Mitarbeitendengespräche grundsätzlich auf unser Gehirn und unser Wohlbefinden aus?
Sie können wie ein sozialer Verstärker wirken - im Positiven wie im Negativen. Wertschätzung und Anerkennung aktivieren das Belohnungssystem, steigern Dopamin und Oxytocin und fördern Vertrauen. Negative Gesprächserfahrungen hingegen können Stressreaktionen auslösen, die mit körperlichem Schmerz vergleichbar sind.

Gesprächsdynamik & Wahrnehmung

Welche neurobiologischen Mechanismen laufen während eines solchen Gesprächs ab – gerade auch, wenn es um Feedback oder Kritik geht?
Bei Feedback, besonders wenn es kritisch ist, reagiert die Amygdala, ein Kern im Gefühlszentrum, sehr schnell: Sie registriert potenzielle Bedrohung und aktiviert Stresssysteme. Dadurch verengt sich die Aufmerksamkeit, wir schalten in Abwehr. Ob ein Gespräch konstruktiv wirkt, hängt stark davon ab, ob das Gegenüber Sicherheit, Fairness und Vorhersagbarkeit vermittelt.

Warum reagieren Menschen oft so sensibel auf Kritik? Gibt es Möglichkeiten, diese «mentale Verteidigung» zu umgehen?
Kritik wird im Gehirn häufig als soziale Zurückweisung erlebt. Diese verarbeitet das Gehirn ähnlich wie körperlichen Schmerz. Um diese Verteidigung zu umgehen, helfen Transparenz, eine wertschätzende Gesprächsatmosphäre und bestimmte Methoden (z.B. Feed-Forward-Fragen). So bleibt das Gegenüber im präfrontalen Kortex, d.h. dort, wo Denken, Lernen und Perspektivwechsel möglich sind.

Welche Rolle spielen Emotionen – und wie kann eine Führungskraft Gespräche gestalten, um Angst oder Stressreaktionen möglichst gering zu halten?
Emotionen sind der Schlüssel. Wertschätzung und echtes Interesse aktivieren das Belohnungssystem und fördern Vertrauen. Wenn Führungskräfte bewusst eine positive Grundatmosphäre schaffen, etwa durch aktives Zuhören, Anerkennen und faire Kommunikation, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Stress- oder Angstsysteme aktiviert werden.

Rahmenbedingungen für gute Gespräche

Welche Grundvoraussetzungen sind wichtig, damit ein Mitarbeitendengespräch nicht als Belastung, sondern als motivierende Erfahrung erlebt wird? Wie sieht ein optimales Setting aus?
Schon kleine Signale der Wertschätzung wirken stark auf das Gehirn und reduzieren Stress. Entscheidend sind psychologische Sicherheit und das Gefühl, gehört zu werden. Blickkontakt, gleiche Augenhöhe und Zeit ohne Ablenkungen sind dafür zentrale Faktoren. Eine tolle Möglichkeit ist zudem das Gespräch bei einem Spaziergang in der Natur.

Gibt es psychologische oder neuronale Gründe, warum Pausen, Stille oder kleine Unterbrechungen während des Gesprächs hilfreich sein könnten?
Ja, solche kurzen Pausen geben dem Gehirn die Möglichkeit, Informationen zu verarbeiten und Emotionen zu regulieren. Sie senken die Stressbelastung, helfen beim Perspektivwechsel und fördern, dass das Gesagte langfristig besser verankert wird.

Gesprächsaufbau & Kommunikationstechniken

Sollte ein Gespräch eher klar strukturiert oder offengehalten werden, damit sich das Gehirn optimal darauf einlassen kann?
Das Gehirn braucht beides: Struktur vermittelt Sicherheit, Offenheit ermöglicht Kreativität und Eigeninitiative. Ein guter Gesprächsaufbau kombiniert deshalb eine klare Agenda mit Raum für freie Reflexion und gemeinsame Lösungsfindung.

Haben Sie konkrete Kommunikationstipps oder -techniken, die wissenschaftlich gestützt sind und Führungskräfte in diesen Gesprächen nutzen sollten?
Sehr hilfreich sind die SBI-Technik für Feedback (Situation–Behavior–Impact), aktives Zuhören, Spiegeln und Feed-Forward-Fragen. Auch Skalierungsfragen („Auf einer Skala von 1–10…“) können Perspektiven öffnen und Entwicklungsgespräche lösungsorientiert machen.

Gibt es «No-Gos» aus Sicht der Hirnforschung – Dinge, die in einem (Jahres-)Gespräch unbedingt vermieden werden sollten?
Ja, zum Beispiel überraschende Kritik, zu viele Themen auf einmal oder unklare Erwartungen. Diese überfordern das Gehirn und lösen Stress aus. Auch Multitasking, wie das Handy nebenbei zu checken oder kurz ein Anruf entgegennehmen, signalisiert fehlende Wertschätzung.

Langfristige Wirkung

Können richtig gestaltete Gespräche auch langfristig positiv auf Motivation, Bindung und Gesundheit wirken? Wenn ja, wie?
Ja! Wertschätzende Gespräche stärken das Gefühl von Selbstwirksamkeit und reduzieren chronischen Stress. Dadurch werden Motivation, Bindung und Gesundheit nachhaltig gefördert: Mitarbeitende erleben die Organisation als sicheren und entwicklungsfördernden Ort.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen regelmässigen Reflexionsgesprächen und Resilienzförderung?
Richtig gestaltete Gespräche haben nicht nur eine unmittelbare Wirkung, sondern auch langfristige Effekte. Sie fördern die Selbstwirksamkeit, reduzieren chronischen Stress und stärken die psychologische Sicherheit im Team. Menschen, die regelmässig wertschätzende Rückmeldungen und konstruktive Reflexionsräume erleben, sind motivierter, leistungsfähiger und resilienter. Regelmässige kurze Reflexionsgespräche können wie kleine Trainings wirken, die kognitive und emotionale Ressourcen stärken. Das macht Mitarbeitende widerstandsfähiger gegen Belastungen und fördert eine gesunde Unternehmenskultur.

 

Erstmals veröffentlicht am: 6.10.2025

Autor:in: Barbara Studer, Neuropsychologin, Mitgründerin von Hirncoach AG und Dozentin an der Universität Bern, Gesundheitsförderung Schweiz

Gesundheitsförderung Schweiz

Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet derzeit einen monatlichen Beitrag von 40 Rappen zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.

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