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Treuhand im Wandel: «Wir wollen eine hochwertige und faire Prüfung»
Ab 2027 tritt die neue Prüfungsordnung für die Ausbildung zur/zum Fachfrau/Fachmann in Treuhand und Beratung mit eidgenössischem Fachausweis in Kraft. Sie bringt mehr Praxisnähe und neue Zugangswege für Kandidierende. Ralph Maiocchi, designierter Präsident der Prüfungskommission und Projektleiter für die Umsetzung der Prüfungsordnung, spricht über die Gründe für die Revision, die wichtigsten Neuerungen und die Auswirkungen auf die Branche.
Vertrauen ist das Fundament der Treuhandarbeit. In einer zunehmend digitalen Welt, in der Informationen überall verfügbar sind, wächst die Bedeutung persönlicher Beratung und Orientierung. Genau deshalb wandelt sich auch das Berufsbild der Treuhänderinnen und Treuhänder. Für Ralph Maiocchi, designierter Präsident der Prüfungskommission und Projektleiter für die Umsetzung der Prüfungsordnung, ist klar: «Reines Faktenwissen reicht in diesem Beruf heute nicht mehr. Stattdessen geht es immer stärker darum, komplexe Informationen einzuordnen und die Kundinnen und Kunden vertrauensvoll zu beraten.»
Damit dieser Wandel im Berufsbild auch in der Ausbildung abgebildet wird, wurde die Prüfungsordnung für den Fachausweis Treuhänder:in überarbeitet. Die neue Prüfungsordnung mit dem angepassten Titel «Fachfrau / Fachmann in Treuhand und Beratung mit eidgenössischem Fachausweis» tritt am 1. Januar 2027 in Kraft. Grundlage der Revision war eine Berufsfeldanalyse, die aufzeigte, welche Kompetenzen in Zukunft besonders gefragt sein werden. Entwicklungen im Markt – wie Wettbewerb, Technologie und steigende Kundenerwartungen – machten Anpassungen der Handlungskompetenzen offensichtlich notwendig. «Von Zeit zu Zeit braucht es eine Überprüfung. Der Fachausweis muss konsequent auf die kommenden Anforderungen ausgerichtet werden», sagt Ralph Maiocchi.
Bewertet werden typische Praxissituationen
Die künftige Prüfungsordnung sieht drei schriftliche Prüfungen und einen mündlichen Teil vor. Die schriftlichen Prüfungen decken die Kernbereiche Rechnungslegung und Controlling, Steuern und Recht sowie Sozialversicherungen und Personaladministration ab. Die Prüfungen sind praxisorientiert aufgebaut und prüfen nicht nur Wissen, sondern vor allem auch dessen Anwendung. «Wir wollen eine qualitativ hochwertige und faire Prüfung», betont Maiocchi.
Ergänzt werden die schriftlichen Teile durch den mündlichen Prüfungsteil «Treuhandpraxis». Dieser umfasst eine Präsentation, ein Rollenspiel sowie ein Fachgespräch und bildet typische Praxissituationen ab. «Kandidierende müssen Probleme erkennen, Lösungen entwickeln und diese überzeugend präsentieren. Wir simulieren Kundendialoge, in denen es zum Beispiel darum geht, dass ein Kunde sehr kurzfristig eine Lösung erwartet. Das entspricht der Realität im Beruf», erklärt Maiocchi.
«Wir simulieren Kundendialoge, in denen es zum Beispiel darum geht, dass ein Kunde sehr kurzfristig eine Lösung erwartet. Das entspricht der Realität im Beruf.»Ralph Maiocchi
Zugang über die Praxis
Neu wird die Prüfung für Inhaber:innen eines Diploms als Sachbearbeiter:in Treuhand- oder Rechnungswesen geöffnet, sofern das Diplom von der Prüfungskommission anerkannt wird. Voraussetzung sind mindestens fünf Jahre Praxiserfahrung nach dem Erwerb des entsprechenden Diploms. Damit besteht neu – alternativ zum Weg über EFZ oder Matura mit drei Jahren Praxis – eine weitere Möglichkeit, den Titel Fachfrau/Fachmann in Treuhand und Beratung mit eidgenössischem Fachausweis zu erlangen. Als Fachpraxis gilt eine Tätigkeit im Treuhand- und Revisionswesen, im Finanz- und Rechnungswesen, im Steuerwesen sowie in der Wirtschafts- und Unternehmensberatung.
«So schaffen wir eine offene Form für Praktiker:innen, die durch standardisierte Trainings und lange Praxiserfahrung zeigen können, dass sie das nötige Wissen besitzen», sagt Maiocchi. Gleichzeitig warnt er vor Qualitätsunterschieden: «Wir definieren klare Standards, welche Diplome anerkannt werden. Nicht alle Angebote sind gleichwertig.» Ob sich dieser neue Zugangsweg bewährt, werde sich erst zeigen. «Wir sind aber überzeugt, dass praktische Erfahrung mindestens genauso wertvoll sein kann wie schulisches Wissen.»
Open-Book-Prüfungen – aber mit Augenmass
Eine zentrale Neuerung sind die Open-Book-Prüfungen, die ab 2027 für alle Prüfungsteile verbindlich gelten. Zugelassen sind Gesetzestexte, Unterlagen und eigene Aufzeichnungen – allerdings ohne vorgefertigte Lösungen. «Open Book bedeutet nicht, dass man alles nachschlagen kann. Entscheidend ist, Inhalte zu verstehen und sie in einer konkreten Situation anwenden zu können», betont Maiocchi. «Ohne seriöse Vorbereitung nützt auch ein Stapel Unterlagen nichts.»
Offen ist derzeit noch die Frage der Form: Vorerst werden analoge Unterlagen zugelassen, da die technische Sicherheit im Vordergrund steht. «Langfristig ist aber auch eine digitale Lösung denkbar», erklärt Maiocchi. Entscheidend sei, dass die Rahmenbedingungen für alle gleich sind und niemand bevorteilt wird.
«Open Book bedeutet nicht, dass man alles nachschlagen kann. Entscheidend ist, Inhalte zu verstehen und sie in einer konkreten Situation anwenden zu können.»Ralph Maiocchi
Arbeitgebende sind gefordert
Die Revision betrifft nicht nur die Kandidierenden, sondern auch deren Arbeitgebende: «Die Ausbildung ist berufsbegleitend. Arbeitgebende müssen Verantwortung übernehmen, ihre Mitarbeitenden fördern – ohne sie vorschnell an die Prüfung zu schicken», erklärt Maiocchi. Entscheidend sei, dass die Unternehmen genügend Raum für Praxiserfahrungen schaffen – nur so könnten Handlungskompetenzen wirklich entwickelt werden.
Für die Unternehmen bedeutet die neue Prüfungsordnung einen höheren Aufwand, zugleich aber auch Vorteile: Mitarbeitende werden praxisnäher ausgebildet und sind dadurch besser auf Beratungsaufgaben vorbereitet. «Der Fachausweis bleibt ein Gütesiegel, von dem auch die Arbeitgebenden profitieren», betont Ralph Maiocchi.
Nachwuchs fördern und Qualität sichern
Für Ralph Maiocchi ist die neue Prüfungsordnung ein klares Signal für die Professionalisierung des Berufsstands. «Wir wollen den Fachausweis attraktiv halten, Nachwuchs fördern und die Qualität sichern.» Im Zentrum steht dabei die konsequente Ausrichtung auf Beratung: «Unser Hauptprodukt ist Treuhand und Beratung.» Vertrauen und Beratungskompetenz bleiben damit die entscheidenden Faktoren. «Am Ende geht es immer darum, Kundinnen und Kunden kompetent zu begleiten. Diese Rolle bleibt auch in Zukunft unersetzlich.» Ob sich alle Neuerungen in der Praxis bewähren, wird die Zukunft zeigen. «Entscheidend ist, dass wir die Grundlagen geschaffen haben, um den Beruf zukunftsfähig zu machen.»
Erstmals veröffentlicht am: 6.10.2025
Autor:in: Ismail Osman, Schriber Kommunikation
Weitere Informationen
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Ralph Maiocchi ist designierter Präsident der Prüfungskommission für den Fachfrau/Fachmann in Treuhand und Beratung mit eidgenössischem Fachausweis. Seit 1989 arbeitet er bei einem grossen Prüfungs- und Beratungsunternehmen in Basel und ist auf die Prüfung und Beratung von Familienunternehmen in Handel, Industrie und Dienstleistungen spezialisiert. Zudem engagiert er sich in der Ausbildung, u. a. als Modulleiter für Wirtschaftsprüfung bei ExpertSuisse und seit 2008 als Obmann der mündlichen Prüfungen beim Fachausweis Treuhand.
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Fachleute in Treuhand und Beratung benötigen eine vertiefte praktische Berufserfahrung sowie Beratungskompetenz – neben theoretischem Wissen. Sie arbeiten in Rechnungswesen, Steuern, Revision, Unternehmensberatung, Personaladministration, Vorsorgeplanung und verwandten Bereichen. Ihre Aufgaben reichen von der Verarbeitung von Belegen über Jahresabschlüsse und Steuererklärungen bis hin zu komplexen Beratungen. Zudem begleiten sie Gründungen, Umstrukturierungen oder Liquidationen und vertreten die Interessen ihrer Kundschaft gegenüber Behörden. Als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Behörden und Privaten gelten sie als zentrale Vertrauenspersonen für KMU und Private.