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Heute möchte ich euch von der «Skills-basierten Organisation» erzählen. Zu eurer Zeit noch unbekannt, hat sie sich in den letzten 20 Jahren als zentrale Organisationsform etabliert. Dazu mussten wir aufhören, unsere Unternehmen wie Maschinen zu denken – mit klar definierten Rollen, festen Strukturen und kaskadenartigen Zielprozessen.

[Post aus der Zukunft] von Dr. Joël Luc Cachelin

Heute passen wir nicht mehr Menschen an Organisationen an, sondern wir bauen Organisationen um die Fähigkeiten der Menschen herum. Was euch wie eine ferne Vision vorkommt, hat sich zur tragenden Struktur in Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft gemausert. Was ist typisch für die Skills-basierte Organisation?

  • Die Skills-basierte Organisation ordnet sich nicht nach Abteilungen oder Jobtiteln, sondern nach dem, was Menschen können.
  • Die Skills-basierte Organisation setzt sich aus etwa zwei Dritteln von Mitarbeitenden zusammen, die fluid in «Skills-Clustern» zusammenkommen, und einem Drittel von Mitarbeitenden, denen fix eine Aufgabe zugeteilt ist.
  • Welche Kompetenzen kombiniert werden, hängt zum einen davon ab, welche Probleme gelöst werden müssen (Top-down: Skills-Cluster). Zum anderen ist massgeblich, wofür sich Menschen begeistern (Bottom-up Skills-Cluster). Bei Projektende löst sich das Netzwerk auf – und macht Platz für etwas Neues.
  • Die Skills-basierte Organisation hat durch ihre Fluidität keine Mühe, sich rasch an den technologischen Wandel, neue Kundenbedürfnisse und Marktrealitäten anzupassen.
  • Die Skills-basierte Organisation steht schliesslich für eine Durchlässigkeit von innen und aussen. Viele Wissensarbeitende sind gleichzeitig für mehrere Arbeitgeber:innen tätig. Und natürlich gehören zu den Skills-träger:innen heute eine Vielzahl von webbasierten KIs und leihbaren Humanoiden Robotern.

Matching statt Recruiting

Stark gewandelt hat sich in den letzten zwanzig Jahren das Rekrutieren. Neben den euch bekannten Stellenportalen existieren beliebte Skills-Matching-Plattformen, auf denen Projekte ausgeschrieben werden. Auf Seiten der arbeitgebenden Unternehmen helfen digitale Assistent:innen, die anstehenden Aufgaben in Projekte und dann in einen Skills-bedarf herunterzubrechen. Die Arbeitnehmenden haben passend dazu einen Skills-Pass, der von einer KI laufend aktualisiert wird. 

Der von den Unternehmen definierte Skills-Bedarf und die Skills-Pässe der Mitarbeitenden bilden die Grundlage für ein datenbasiertes Matching. Grosse Unternehmen haben interne Skills-Plattformen, kleinere nutzen öffentliche Plattformen, so ähnlich wie heute Jobplattformen aggregierend wirken. Statt einem Motivationsschreiben gibt es kurze Videos, in denen Fragen beantwortet werden und Portfolios, mit denen die Lieblingsprojekte kuratiert werden.

Nein, vollautomatisch läuft das alles nicht. Wir wussten ja schon in den 2020er-Jahren, dass uns die Maschinen nicht vollständig lesen können – nicht unsere Begeisterung, unsere Schüchternheit, die Art und Weise wie jemand mit seinen Mitmenschen umgeht. Eine wichtige Rolle neben den Plattformen spielen deshalb Skills-Agenturen, die beim Verknüpften von Projekten und Fähigkeiten unterstützen. Sie helfen Menschen, ihre Profile zu schärfen, empfehlen Weiterbildungen und Vernetzungsanlässe, sie schätzen den Marktwert ein und optimieren Portfolios.

Fluide Organisation

Damit sich der Skills-Ansatz verbreiten konnte, war das Entstehen einer grossen Plattform essenziell, auf der sich sowohl angebots- wie auch nachfrageseitig viele Akteur:innen tummeln. Weiter war das Vertrauen der Nutzer:innen ein Erfolgsfaktor. Sie wollten ihre Daten in Sicherheit wissen und forderten zurecht Transparenz über die Funktionsweise der eingebauten Algorithmen. Studien zeigen, dass durch algorithmenbasiertes Matching Vorurteile abgebaut, die Geschlechtergleichheit erhöht und Gender-Pay-Gaps reduziert werden konnten.

Eine andere Voraussetzung für das Funktionieren der Skills-basierten Wirtschaft ist die gute Betreuung der Skills-Cluster. Traditionelle Führung gibt es in der Skills-basierten Organisation nicht. Dafür stehen den Teams einerseits – wie in Theatern – Dramaturg:innen zur Verfügung, die bei der Erarbeitung von Lösungen auf der fachlichen und psychologischen Ebene behilflich sind. Sie beobachten Spannungsbögen, den Verlauf von Lernkurven, das Zusammenspiel von Erfahrungen und Neugierde.

Soll eine Skills-basierte Organisation sich ständig weiterentwickeln, ist das Lernen von Individuum, Teams und Organisation eine Pflichtaufgabe. Gelernt wird hybrid: in Projekten, durch Simulationen, mit KI-Coaches oder in immersiven Lernumgebungen. Im Durschnitt absolvieren Wissensarbeitende heute alle fünf Jahre eine Weiterbildung, selbst die über 55-Jährigen. Besonders beliebt sind Lernreisen – kurze Einsätze in anderen Branchen oder fremden Städten, um neue Perspektiven zu gewinnen.

Ohne Sicherheit keine Entfaltung

Eine Skills-basierte Organisation ist auf zwei Sicherheitsmechanismen angewiesen. Zum einen wollen die Mitarbeitenden langfristig planen können und nicht alle drei Monate ein neues Projekt rekrutieren. Gelöst wird dies mit einem innovativen Lohnsystem. Mitarbeitende erhalten in Skills-basierten Unternehmen einen Grundlohn, unabhängig davon, ob sie gerade auf ein Projekt gebucht sind. Für alles, was über dem Grundlohn liegt, müssen sie nachweisen, dass sie sich laufend weiterbilden. Die meisten Unternehmen definieren dieses Weiterbilden heute sehr frei, weil das freie und kritische Denken über Erfolg und Misserfolg von Unternehmen entscheidet. Die KIs und humanoiden Roboter haben neue Aufgaben übernommen, die zu eurer Zeit noch in Menschenhand lagen.
Die Unternehmen wiederum sind stark einem Bestand an fixen Kernmitarbeitenden interessiert. Denn sie wollen nicht auseinanderfallen und wissen, dass die Kundinnen und Kunden oder auch Lieferant:innen Kontinuität wertschätzen. Funktionen, wo diese erwünscht ist, finden sich etwa in der Buchhaltung und im Controlling, in eher statischen Bereichen der IT, im Kundenkontakt und im Topmanagement. In solchen Funktionen wäre ein pausenloses Rotieren von Mitarbeitenden wenig zielführend.

Innovation lässt sich nicht berechnen

Bevor ich mich verabschiede, möchte ich noch auf einen blinden Fleck der Skills-basierten Organisation hinweisen. Zwar bekennt sie sich zu einem organischen Verständnis des Zusammenarbeitens; aber viele ihrer Manager:innen erliegen der Verführung, alle Probleme durch eine datengestützte Kombination von Fähigkeiten lösen zu können. Aber zum einen sind Menschen heute wie gesagt immer noch nicht vollständig mit Daten erfassbar, und zum anderen entsteht das wirklich Neue häufig durch zufällige, nicht gesteuerte Gedanken.

Das heisst, manchmal sind unfassbare Fähigkeiten oder Skills-Kombinationen das Zünglein an der Waage. Innovationsorientierte Arbeitgebende legen deshalb viel Wert darauf, ihre Mitarbeitenden nicht nur in strukturierten Formen zusammenzubringen. Sie fördern auch Räume, in denen freie, unstrukturierte, ja wilde Gespräche stattfinden können – zugunsten von Innovation und Kreativität. 

«Soll eine Skills-basierte Organisation sich ständig weiterentwickeln, ist das Lernen von Individuum, Teams und Organisation eine Pflichtaufgabe.»
Dr. Joël Luc Cachelin

Erstmals veröffentlicht am: 19.8.2025
 

Autor:in: Dr. Joël Luc Cachelin

Zur Person

  1. Dr. Joël Luc Cachelin (1981) ist ein Schweizer Futurist. 2009 gründete er die Wissensfabrik, um Unternehmen in Zukunftsfragen zu begleiten und zu beraten. Sein Wissen bringt er in Expertengremien ein, darunter in die Beiräte des Staatslabors und des Besuchszentrums der Schweizerischen Nationalbank. Grundlage seiner Arbeit bildet ein Wirtschaftsstudium an der Universität St. Gallen. 2021 schloss er sein Zweitstudium mit einem Master in Geschichte an der Universität Luzern ab.

  2. Die Wissensfabrik inspiriert, begleitet und berät in Zukunftsfragen. Sie bietet Studien, Buchprojekte, Vorträge, Beratung und die Mitarbeit in Entwicklungs- oder Innovationsprojekten an. In der Wissensfabrik entstehen Bücher. Zuletzt: «Update_25 Wie Künstliche Intelligenz gesellschaftlichen Wandel anstösst» (Stämpfli, 2025).

Eine Kolumne aus der Zukunft

Im Auftrag des Kaufmännischen Verbands Schweiz hat sich der Schweizer Futurist und Gründer der Wissensfabrik Dr. Joël Luc Cachelin mit unseren Fokus-Themen auseinandergesetzt. Um die Trends aus dem Hier und Jetzt besser zu verstehen, wagt er eine Expedition ins Jahr 2047 und bricht unsere traditionellen Denkmuster auf. Die Kolumne [Post aus der Zukunft] wurde viermal im Laufe von 2022 publiziert und wird im Jahr 2025 weitergeführt. 

Für den Kaufmännischen Verband Schweiz steht fest: Egal was die Zukunft bringt, wir stehen unseren Mitgliedern sowie Arbeitnehmer:innen im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Bereich und im Detailhandel tatkräftig zur Seite und begleiten sie durch die Zeitreise.

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