Seitennavigation & Suche

Care-Arbeit in Zeiten von neuen Rollenbildern

Für mehr Gleichstellung braucht es einen gerechten Zugang zur Erwerbsarbeit und eine bessere wirtschaftliche wie gesellschaftliche Anerkennung von unbezahlter «Care-Arbeit», wozu unter anderem die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Familienangehörigen gehört. Entsprechend braucht es moderne Rahmenbedingungen, Eigenverantwortung und ein Familienleben, in dem die Partner auf Augenhöhe ihre Rollen leben und entwickeln.

Der Wert von «Care-Arbeit» wird im Rahmen der Gleichstellungsdebatte heftig diskutiert. Dabei lohnt sich zuerst der Blick auf die Definitionen. Mit Care-Arbeit gemeint ist Betreuungs-, Pflege- und teilweise Hausarbeit für Kinder und Erwachsene, die selber dazu nicht in der Lage sind. Entweder weil sie zu jung sind, oder weil sie körperlich oder psychisch selber nicht dazu in der Lage sind.

Bezahlte vs. unbezahlte Care-Arbeit

Care-Arbeit kann entweder bezahlt oder unbezahlt sein. Kümmert man sich um seine Kinder, betreut man pflegebedürftige Angehörige oder erledigt man Einkäufe für seine Nachbarn, so ist diese Arbeit in der Regel unbezahlt. Mit bezahlter Care-Arbeit hingegen sind Dienstleistungen wie Kinderkrippe, Spitex-Dienste oder Angebote von Pflegeheimen gemeint.

Nicht zur Care-Arbeit gehören die Leistungen von Schulen oder Spitälern und von anderem Fachpersonal – also alles, was über die Betreuung von pflegebedürftigen Menschen hinausgeht. Dies beinhaltet auch private Putzhilfen und alle Arten von Arbeit, die man in Auftrag gibt, weil man sie selber nicht machen möchte.

Neben Care-Arbeit gibt es auch die Freiwilligenarbeit. Freiwilligenarbeit wird im Gegensatz zur Haus- bzw. Familienarbeit auch von Institutionen wie Jugendorganisationen, politischen Parteien oder Sportvereinen geleistet.

Soll Hausarbeit bezahlt werden?

Beim Thema Gleichstellung wird aktuell kontrovers diskutiert, welchen Wert – moralisch wie auch monetär – die Care-Arbeit hat, wie sie in einer Partnerschaft gerechter verteilt werden kann, wie der Staat die Rahmenbedingungen verbessern kann und was in Eigenverantwortung im Rahmen der Lebensgestaltung und Familienplanung geregelt werden soll.

Ausmass der unbezahlten Hausarbeit

Das Bundesamt für Statistik (BfS) erhebt regelmässig das Ausmass der unbezahlten Hausarbeit. Da diese nicht in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auftaucht, hat das BfS berechnet, wie viel Haushalte theoretisch für Leistungen wie Waschen, Kochen, Putzen oder Kinderbetreuung bezahlen müssten: Abwaschen oder Geschirr aufräumen «kosten» 36 Franken pro Stunde, während die Kinderbetreuung mit 55.70 Franken am höchsten eingestuft wird. Im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) erfasst das BfS zudem, wieviel Zeit pro Art von Hausarbeit investiert wird. Daraus berechnet sich der Gesamtwert der unbezahlten Arbeit, der von Schweizerinnen und Schweizern ab 15 Jahren geleistet wird. Der Anteil der Care-Arbeit beträgt rund 80 Milliarden Franken pro Jahr. Das ist etwa gleich viel wie die Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen pro Jahr in der Schweiz. Also die Kosten für Spitäler, Ärztinnen, Medikamente etc. Am zeitaufwändigsten ist die Care-Arbeit für Kinder, welche eine Familie nach diesen Berechnungen rund 6000 Franken pro Monat kosten würde.

Frauen leisten mehr Haus- und Familienarbeit

Bei der letzten Erhebung für das Jahr 2020 leisteten Frauen mehr Zeit für Haus- und Familienarbeit als Männer (28,7 Std. pro Woche gegenüber 19,1 Std.). Doch die Männer legen seit 2010 zu: Im Jahr 2010 waren dies noch 16,2 Stunden. Umgekehrt setzten Männer im Durchschnitt mehr Zeit für bezahlte Erwerbsarbeit ein (25,3 Std. pro Woche gegenüber 15,8 Std. bei den Frauen).

Immer mehr Männer arbeiten Teilzeit

Mit dem stark steigenden Anteil an Männern, die Teilzeit arbeiten, lässt sich Care-Arbeit in einer Partnerschaft besser verteilen. Damit Teilzeitarbeit für Männer noch breiter akzeptiert wird und möglich wird, braucht es attraktive Anstellungsbedingungen und Arbeitgeber, die flexible Arbeitsmodelle vorleben und Teilzeitkarrieren ermöglichen. Genauso wie die Bereitschaft von Frauen, ihr Pensum teilweise aufzustocken und die Care-Arbeit bzw. einen Teil davon als bezahlte Tätigkeit auszulagern. Wie eine Familie die Aufteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit gestaltet, ist letztlich ihr überlassen.

Wenn sich Care-Arbeit nachteilig auf die Karriere auswirkt

Tatsache ist, dass mehr Frauen unbezahlte Care-Arbeit leisten als Männer. Und dies heisst oft weniger bezahlte Erwerbsarbeit, was sich negativ auf die Vorsorge und auch auf die Karriere auswirken kann: «Im Job bedeutet dies, dass Frauen weniger Erfahrung sammeln, sich weniger gut weiterentwickeln und Karriere machen und wegen Lohneinbussen über ein niedrigeres Haushaltseinkommen verfügen. Hinzu kommen Einbussen an Vorsorgekapital in der zweiten und dritten Säule», sagt Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz.  

Frauen müssen stärker Verantwortung übernehmen

Für mehr Gleichstellung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf braucht es zwei Parteien, die arbeiten, und eine gut organisierte Kinderbetreuung. Dabei müssen nicht beide Elternteile Vollzeit arbeiten – aber Paare müssen eine offene Diskussion über Vor- und Nachteile von Teilzeitarbeit führen – etwa in Bezug auf die Altersvorsorge – und informierte Entscheide treffen. «Frauen müssen viel stärker Verantwortung übernehmen», betont Ursula Häfliger. «Dazu gehören Finanz- und Vorsorgethemen genauso wie eine Karriereplanung.»

Auch der Gesetzgeber ist in der Pflicht

Daneben muss der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen weiter verbessern, damit sich Arbeit und Familie besser vereinbaren lässt. Das schafft weniger Abhängigkeit vom Staat, beziehungsweise von den Sozialversicherungen, und bringt mehr Geld in die Staatskasse in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen.

Dazu gehören flächendeckende Angebote mit Tagesbetreuung, die Individualbesteuerung, für die sich der Kaufmännische Verband gemeinsam mit der plattform, seiner Allianz für Angestellten- und Berufspolitik, einsetzt, ebenso wie die Forderung nach einer bezahlten Elternzeit, welche Mütter und Väter zu gleichen Anteilen beziehen können. «Der Staat muss diese Rahmenbedingungen weiterentwickeln, und zwar geschlechter- und zivilstandesunabhängig. Dabei muss Arbeit immer belohnt werden und es muss steuerlich attraktiver sein einer Arbeit nachzugehen, als weniger oder nicht zu arbeiten», betont Ursula Häfliger.

Care-Arbeit gerecht verteilen

Damit Care-Arbeit gerecht verteilt werden kann, müssen beide Partner einer Erwerbsarbeit nachgehen, damit keine finanziellen Abhängigkeiten entstehen. Männer müssen genauso in die Pflicht genommen werden und dies einfordern, wie Frauen klar kommunizieren und verhandeln müssen, wie eine ideale Arbeitsteilung – inklusive Outsourcing – aussehen soll. Gleichstellung bedeutet, die beruflichen und finanziellen Risiken besser zu verteilen.

Gleichstellung heisst, Rollenbilder zu entwickeln

«Gleichstellung heisst auch, dass Frauen gestärkt werden, für sich zu schauen. Sie müssen ihre finanzielle Situation kennen, sich für einen guten Lohn einsetzen, ihre Altersvorsorge berechnen können», ergänzt Ursula Häfliger.

Neben ihrer Tätigkeit beim Kaufmännischen Verband ist Ursula Häfliger auch Geschäftsführerin der plattform. Diese konnte Anfang 2023 den Berufsverband Swiss Engineering dazugewinnen. Der Verband will unter anderem den Berufsstand der Ingenieur:innen sowie die Anzahl Frauen in MINT-Berufen verbessern. «Auch die Berufswahl hat später eine Auswirkung auf die Care-Arbeit. Sie beeinflusst das Einkommen und oft auch den Beschäftigungsgrad», sagt Ursula Häfliger.

Rollenbilder anpassen und Familienleben auf Augenhöhe

In Zeiten der Gleichstellung kann das traditionelle Ernährermodell eigentlich nicht mehr funktionieren. Mit sich verändernden Rollenbildern verschiebt sich auch die Verantwortung für Care-Arbeit.

Eine zufriedenstellende Verteilung von Care-Arbeit gelingt mit modernen Rahmenbedingungen, Eigenverantwortung und einem Familienleben, in dem die Partner auf Augenhöhe ihre Rollen leben und entwickeln.

«Frauen müssen ihre finanzielle Situation kennen und sich für einen guten Lohn einsetzen.»
Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband:

Veröffentlicht am 6.6.2023

  1. Mit dem Bundesgesetz zur «Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege» etwa werden seit Anfang 2021 Massnahmen umgesetzt, damit betroffene Personen Arbeit und Angehörigenbetreuung besser vereinbaren können. Dazu gehören bezahlter Urlaub, Betreuungsgutschriften oder Intentsivpflegezuschläge.

    Mit dem Postulat «Care-Arbeit. Erziehungs- und Betreuungsgutschriften aufwerten», welches aus der Frauensession 2021 initiiert wurde, wird der Bundesrat beauftragt, eine Ausweitung und Aufwertung der Erziehungs- und Betreuungsgutschriften zu prüfen.

    Das Postulat «BVG. Splitting der erworbenen Altersguthaben für Eltern» wurde Anfang Mai 2023 vom Nationalrat angenommen. Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, wie im BVG ein Splittingmodell für Paare in Abhängigkeit von Kindern implementiert werden könnte.

Autor:in

  • Sibylle Zumstein

Beliebte Inhalte