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New Work und Vier-Tage-Woche: Gesund und produktiv

Berichte über die Vier-Tage-Woche lesen und hören wir immer wieder. Mitarbeitende arbeiten an vier statt fünf Arbeitstagen, ohne dass die Produktivität darunter leidet. Wie kann das funktionieren? Die Webagentur seerow aus Solothurn macht seit zwei Jahren vor, wie die Umsetzung gelingen kann.

Die Vier-Tage-Woche besteht bei seerow seit Herbst 2021 aus 35 Arbeitsstunden, die entweder von Montag bis Donnerstag oder von Dienstag bis Freitag geleistet werden. Diese 35 Stunden entsprechen gemäss Arbeitsvertrag einer 100%-Anstellung. Seerow setzt auf Selbstorganisation und hat zwei Teams gebildet, die am Montag bzw. Dienstag starten, so dass die fünf Wochentage von Montag bis Freitag abgedeckt werden.  

Bei der nationalen Tagung für Betriebliches Gesundheitsmanagement von Gesundheitsförderung Schweiz am 20.9.2023 in Bern stellte Fabian Schneider (Gründer und Geschäftsführer seerow) zusammen mit Dr. Johann Weichbrodt (Experte für organisationale Veränderungen) und Prof. Dr. Andreas Krause (Experte für mentale und organisationale Gesundheit) von der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW vor, worauf, am Praxisbeispiel von seerow, bei der Einführung der Vier-Tage-Woche zu achten ist, damit gleichzeitig Produktivität und Gesundheit positiv beeinflusst werden.  

«Die Einführung der Vier-Tage-Woche ist keine Rocket Science. Aber auch für mich selbst war das eine Riesentransformation.»
Fabian Schneider, seerow

Um was ging es seerow

Für seerow geht es nicht um eine Stundenreduktion im Sinne der «Flucht vor Arbeit» und «möglichst viel Freizeit», sondern um ein Kultur- und Organisationsprojekt, bei dem sich alle Teammitglieder einbringen dürfen und müssen. Besonders wichtig ist aus Sicht von Fabian Schneider:

  1. Transparente Kommunikation zwischen allen Teammitgliedern bei seerow, vorzugsweise über Public Channels in dem Chatprogramm Slack (und somit gleichzeitig auch eine Reduktion von Emails).
  2. Viel mehr dokumentieren als zuvor und zwar verstärkt auch die Kommunikation mit Kundinnen und Kunden sowie getroffene Entscheidungen. Sobald dies nicht gelingt, entstehen Spannungen.
  3. Neue, bessere Verteilung von Aufgaben und Verantwortung, insbesondere ist es das Ziel, dass in keinem Projekt Abhängigkeiten von nur einer Person bestehen.
  4. Das bestehende Arbeitsmodell laufend hinterfragen und anpassen, weiter experimentieren: Retrospektiven werden anders als früher nun wirklich genutzt, um dringliche, auch ganz persönliche Fragen zu stellen und Probleme anzugehen.
  5. Die Verbesserung der Produktivität erreicht man gemeinsam, indem z.B. überflüssige Besprechungen gestrichen und Stellvertreter:innenmöglichkeiten aufgebaut werden. Also eben nicht nur auf die Leistung des Einzelnen schauen.

Ziele der Vier-Tage-Woche

Die positiven Erfahrungen bei seerow decken sich mit Studienergebnissen aus wissenschaftlichen Studien zur Vier-Tage-Woche. Folgende Ziele können gemäss Andreas Krause mit der Vier-Tage-Woche verfolgt und auch erfolgreich erreicht werden:

  • Höhere Arbeitsmoral und -zufriedenheit
  • Senken der Fluktuation und Vorteile bei Personalrekrutierung (gerade für KMU spannend)
  • Höhere oder gleichbleibende Produktivität
  • Kosteneinsparungen (z.B. für Elektrizität)
  • Weniger Pendeln
  • Weniger Stresserleben, niedrigere Absenzen
  • Verbesserte Erholung und Schlafqualität

Das Beispiel seerow illustriert, dass solche Ziele nur durch eine intensive Auseinandersetzung aller Organisationsmitglieder mit dem Arbeitsmodell erreicht werden können. Alle Organisationsmitglieder müssen die Art und Weise, wie gearbeitet und kommuniziert wird, weiterentwickeln. Bei der Diskussion mit dem Publikum kam ein aktuelles Beispiel aus dem Einzelhandel zum Vorschein, bei dem die Vier-Tage-Woche ohne Stundenreduktion umgesetzt wird, aber bereits die Reduktion des Pendelns auf vier statt fünf Tage sehr geschätzt wird.

Fazit

Als Empfehlung für interessierte Organisationen leiten Johann Weichbrodt und Andreas Krause von der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW ab:

  1. Genau überlegen, warum die 4-Tage-Woche angestrebt wird und was die Vier-Tage-Woche in der eigenen Organisation auszeichnen soll.
  2. Intensive Vorbereitung einplanen: Arbeitsabläufe frühzeitig ändern (z.B. Besprechungsformate hinterfragen). Sonst sind erhöhte Arbeitsintensität und höheres Stressniveau zu befürchten.
  3. Vor der Einführung prüfen: Braucht es zusätzliches Personal? Haben wir Belastungen wie Zeitdruck im Griff? Die Vier-Tage-Woche ist kein Wundermittel gegen bestehende Überlastung.
  4. In grösseren Organisationen Pilotprojekte durchführen, Erfahrungen sammeln und abteilungsübergreifend teilen. Klären, ob alle Mitarbeitendengruppen profitieren können. Auch individuelle Optionen anbieten, so ist ein Mitarbeiter bei seerow wieder auf fünf Tage à sieben Arbeitsstunden gewechselt, da dies besser zu Kinderbetreuungsaufgaben passte.
  5. Spielraum zum gemeinsamen Weiterentwickeln (ohne hierarchische Eingriffe) bieten.
  6. Alle (!) Teammitglieder stellen sich darauf ein: Wir optimieren die Art und Weise, wie wir arbeiten.
  7. Falls Effekte auf Gesundheit gewünscht sind, gesundheitsförderliche Gewohnheiten in der Freizeit unterstützen.

«Die Einführung der Vier-Tage-Woche ist keine Rocket Science. Aber auch für mich selbst war das eine Riesentransformation. Früher habe ich 60 Stunden gearbeitet und dachte, das geht nicht anders. Aber ich habe beispielsweise gemerkt: Gestern Abend habe ich drei Stunden lang versucht ein Detail zu lösen, ohne Erfolg, und heute frisch erholt hat es in drei Minuten geklappt. Alle sagen zu mir, toll, dass es bei euch klappt, bei uns würde es nie gehen, aber das stimmt nicht.»

Fabian Schneider, Geschäftsführer seerow

Autor:in

Prof. Dr. Andreas Krause, Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

Gesundheitsförderung Schweiz

Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. 

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