Seitennavigation & Suche

Delegiertenversammlung 2019 des Kaufmännischen Verbands

An der diesjährigen Delegiertenversammlung des Kaufmännischen Verbands standen die Beziehungen der Schweiz zu Europa im Mittelpunkt. Der Kaufmännische Verband begrüsst die Absicht des Bundesrats, das EU-Dossier endlich weiter voranzutreiben. Die Differenzen mit den Gewerkschaften bergen aber die Gefahr, dass der Prozess unnötig verzögert wird. Dies obwohl die Mehrheit der Schweizer Arbeitnehmenden hinter dem Rahmenabkommen steht und die Risiken einer Neu- oder Nachverhandlung für den Wirtschaftsstandort Schweiz zu gross sind.

Was passiert also, wenn nichts passiert? Im Rahmen seiner «Aussenpolitischen Vision 2028» zeigte Bundesrat Ignazio Cassis im Fachgespräch auf, wie der bilaterale Weg mit der EU künftig gestaltet werden soll.

Nach- oder Neuverhandlungen gefährden den Wirtschaftsstandort Schweiz

Seit Jahresbeginn hat sich der Kaufmännische Verband mehrfach positiv zum Rahmenabkommen geäussert und seine Unterzeichnung gefordert. Doch nur die wenigsten politischen Akteure stellen sich so vorbehaltslos hinter das Rahmenabkommen und verlangen weitere Zusicherungen von der EU. «Die meisten politischen Akteure scheinen blind für die Risiken erneuter Verhandlungen zu sein. Neu- oder Nachverhandlungen sind keine Garantie für bessere Verhandlungsergebnisse», betont Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbands. Umso weniger, als dass die EU den grösseren Markt und somit die grössere Verhandlungsmacht hat. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit sieht auch Bundesrat Ignazio Cassis: «Die EU ist mit Abstand die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz: Rund 1.5 Millionen Arbeitsplätze hängen hierzulande von den Schweizer Exporten an die EU ab. Ohne Rahmenabkommen verliert die Schweizer Wirtschaft zunehmend die Rechtssicherheit für den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Neue wichtige Abkommen werden verhindert.»

Das Ausmass der potenziellen Verluste verdeutlicht die neue Studie der Bertelsmann-Stiftung: Als Nicht-Mitglied der EU profitiert die Schweiz nämlich am meisten vom EU-Binnenmarkt – und das sowohl im nationalen, wie auch im regionalen Vergleich (siehe Grafiken 1 und 2). Auch die Schweizer Bevölkerung glaubt mehrheitlich nicht an den Erfolg von Neu- oder Nachverhandlungen mit der EU, wie die neusten Studienergebnisse der Universität Zürich zeigen. Ein Drittel denkt, dass die EU bei erneuten Verhandlungen viel weniger oder etwas weniger (34%) Zugeständnisse machen würde als bisher und 40% der Befragten erwarten etwa dieselben Zugeständnisse (siehe Grafik 3).

Ein riskantes Spiel auf Zeit

Der Kaufmännische Verband nimmt die unnötige Verzögerung des Rahmenabkommens mit Besorgnis zur Kenntnis. Insbesondere jetzt, da zahlreiche Umfragen gezeigt haben, dass die Schweizer Bevölkerung klar hinter dem bilateralen Weg steht. In der Studie der Universität Zürich empfinden 78.5% der Befragten die bilateralen Verträge als sehr oder eher positiv. Und rund die Hälfte der Befragten (52%) gibt an, dem Rahmenabkommen sicher oder eher sicher zustimmen zu würden (siehe Grafik 4). Entgegen aktueller Bedenken des Bundesrats wäre das Rahmenabkommen bei einer allfälligen Volksabstimmung demnach nicht chancenlos.

Indem der Bundesrat die Verhandlungen zum Thema Lohnschutz mit den Sozialpartnern neu aufrollen will, riskiert er, den Fahrplan für das das EU-Dossier aus der Hand zu geben. Denn die Gewerkschaften bewerten den vorliegenden Kompromiss als Angriff auf den Lohnschutz und verlangen, die flankierenden Massnahmen aus dem Rahmenabkommen auszuschliessen. Sie haben bereits mehrfach deutlich gemacht, dass sie nicht von ihrer Position abweichen werden. Was also verspricht sich der Bundesrat von weiteren Gesprächen mit den Gewerkschaften? Wieso lässt er sich von ihnen dermassen unter Druck setzen? Cassis erklärt: «Indem wir die Sozialpartner weiterhin in den partnerschaftlichen Diskurs integrieren, stellen wir sicher, dass eine mehrheitsfähige Lösung gefunden wird. Auch sehen wir in ihnen Verbündete im Kampf gegen die SVP-Begrenzungsinitiative, deren Annahme nicht nur das Ende der Personenfreizügigkeit, sondern auch das Ende des Rahmenabkommens bedeuten würde.»

Für eine ausgeglichene Arbeitnehmervertretung

Doch mit rund 85% nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmenden und 80% der Erwerbstätigen in Dienstleistungsberufen – Tendenz steigend – ist heutzutage nicht mehr so klar, wer die Angestellten in der Schweiz tatsächlich vertritt. «Angesichts des Ungleichgewichts zwischen der Art der Erwerbstätigen und ihrer Vertretung sollte der Bundesrat ein besonderes Augenmerk auf die Repräsentation aller Arbeitnehmenden und Berufsgruppen legen», merkt Jositsch an. Entsprechend fordert der Kaufmännische Verband ein Überdenken der Arbeitnehmervertretung und die Anerkennung der unabhängigen Angestelltenverbände, wie z.B. derjenigen der plattform, als Teil der Sozialpartnerschaft. «Mit ihren 88'000 Mitgliedern aus dem Dienstleistungssektor ist die plattform und damit der Kaufmännische Verband berechtigt, an den weiteren Gesprächen rund um das Rahmenabkommen teilzunehmen. Denn das Rahmenabkommen geht alle Arbeitnehmenden etwas an.» Diese Woche hat Jositsch einen entsprechenden Vorstoss im Parlament eingereicht.

Für den Kaufmännischen Verband steht fest: Statt die ohnehin knappe Zeit mit Maximalforderungen der Gewerkschaften zu verlieren, sollte der Bundesrat den Unterzeichnungsprozess jetzt mit Einbezug aller politischen Akteure weiterführen und allfällige offene Fragen mit der EU klären – sodass die Schweizer Stimmbevölkerung zeitnah über das Rahmenabkommen entscheiden kann und der bilaterale Weg nicht unter Hindernissen und Sanktionen leiden muss. «Indem wir weiter abwarten, schaden wir uns nur selbst», schliesst Jositsch ab.

Kontakte

Weiterführende Links