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HWZ-Studie: Prekäre Vorsorge trotz Erwerbstätigkeit
16.10.2025 – Eine neue Studie der Hochschule für Wirtschaft Zürich im Auftrag des Kaufmännischen Verbands Schweiz zeigt: Vor allem Frauen, Teilzeitangestellte und Mehrfachbeschäftigte sowie Personen, die auf Abruf arbeiten, fallen überdurchschnittlich oft unter die Eintrittsschwelle in die Pensionskasse – mit gravierenden Folgen für ihre Altersvorsorge. Im Detailhandel ist die Situation besonders besorgniserregend: 16.5% der Erwerbstätigen haben schlichtweg keine Pensionskassenabdeckung. Dem möchte der Kaufmännische Verband Schweiz mit neuen Angeboten dezidiert entgegenwirken.
Von Februar 2025 bis Mai 2025 hat die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) auf Basis der aktuellsten Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) das Erwerbsleben in der Schweiz und die Vorsorgesituation in der zweiten Säule ausgewertet. Zentral war dabei die Unterscheidung, ob eine erwerbstätige Person in Bezug auf ihren Jahreslohn unter oder über der Eintrittsschwelle in die Pensionskasse (PK) liegt. Der Fokus lag angesichts neuer und immer flexiblerer Arbeits- und Beschäftigungsformen auf Kaufleuten und Beschäftigten im Detailhandel.
Vorsorgelücken werden systematisch unterschätzt
Obwohl Erwerbstätige zur wirtschaftlichen Leistung beitragen, bleiben viele ohne ausreichende PK-Abdeckung. 2023 lag der Anteil der Berufsleute unter der PK-Eintrittsschwelle schweizweit bei 9.2% – im Detailhandel sogar bei alarmierenden 16.5% (Vgl. Grafik 1). «Jede:r elfte Erwerbstätige liegt heute unter der PK-Eintrittsschwelle», stellt Claude Meier, Studienautor und Leiter des Center for Research & Methods an der HWZ, fest. Die Resultate zeigen, dass besonders viele Betroffene Teilzeit arbeiten, auf Abruf beschäftigt sind oder mehrere Jobs gleichzeitig ausüben. Diese Faktoren können zusammenhängen und mit dazu beitragen, dass Personen unter der PK-Eintrittsschwelle liegen. «Rund 86% der Betroffenen arbeiten Teilzeit, und über 19% sind mehrfach beschäftigt – das sind etwa viermal mehr als bei Personen über der PK-Eintrittsschwelle», so Meier.
Frauen sind am stärksten betroffen
Frauen arbeiten überdurchschnittlich oft in Teilzeit – gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) fast dreimal so häufig als ihre männlichen Kollegen. Die Mehrheit der Frauen, die in Teilzeit arbeiten und unter der PK-Eintrittsschwelle liegen, tun dies nicht freiwillig: Familiäre Verpflichtungen, wie z.B. Care-Arbeit, zwingen viele in flexible Arbeitsmodelle, die eine nur eingeschränkte oder gar keine ausreichende Altersvorsorge ermöglichen. Im Detailhandel liegt der Frauenanteil unter der PK-Eintrittsschwelle sogar bei über 80% (Vgl. Grafik 2).
Flexible Arbeitsformen verstärken Vorsorgerisiken
Schon ein Pensum von 50% im Haupterwerb erhöht das Risiko von Vorsorgelücken deutlich. Besonders häufig betroffen sind Teilzeitangestellte, Mehrfachbeschäftigte, Selbstständige und Mitarbeitende von Familienunternehmen. Wer in mehreren Jobs arbeitet oder auf Abruf eingesetzt wird, bleibt oft unter der versicherten Lohngrenze. «Heutzutage arbeiten 40.4% aller Erwerbstätigen in Teilzeit. 8.3% haben zwei oder mehr Arbeitsstellen. Weitere 8.3% arbeiten auf Abruf», sagt Meier. Die HWZ-Studie zeigt, dass das aktuelle Vorsorgesystem in der zweiten Säule auf Vollzeitarbeit ausgerichtet ist. Die Realität hat sich jedoch längst verändert (Vgl. Grafik 3).
Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen erkannt
Der Kaufmännische Verband Schweiz setzt sich für eine soziale Sicherheit ein, die existenzsichernd, verständlich und für alle zugänglich ist. Die Ergebnisse der Studie widersprechen diesen Grundsätzen klar. Sascha M. Burkhalter, CEO des Kaufmännischen Verbands Schweiz, warnt: «Die HWZ-Studie zeigt deutlich, dass die berufliche Vorsorge ihre Wirkung bei jenen verfehlt, die sie am dringendsten brauchen: Menschen in instabilen oder flexiblen Erwerbsformen.»
Deshalb fordert der Kaufmännische Verband Schweiz:
Gezielte Aufklärungs- und Sensibilisierungsmassnahmen;
Neue Vorsorgelösungen für Personen in Teilzeit und Mehrfachbeschäftigungen sowie für Personen, die auf Abruf arbeiten;
Politische Rahmenbedingungen, die höhere Beschäftigungsgrade begünstigen.
Burkhalter bestätigt: «Ein modernes Vorsorgesystem muss flexibel, gerecht und inklusiv sein – und alle Erwerbsrealitäten abbilden.»
Neue Angebote für bessere Vorsorgekompetenzen
Der Kaufmännische Verband Schweiz reagiert auf die Ergebnisse der HWZ-Studie und erweitert sein Engagement im Bereich Vorsorge. Ab 1.1.2026 schliesst sich der Verband als Trägerorganisation dem Frauendachverband alliance F für die Förderung der Plattform «Cash or Crash» an – ein digitales Tool, das die finanziellen Folgen wichtiger Lebensentscheidungen spielerisch aufzeigt. «Insbesondere für Frauen ist das Berechnungstool der Plattform zentral, da sie häufiger von Vorsorgelücken betroffen sind. Das Tool macht Risiken in Zusammenhang mit Teilzeit, Scheidung usw. sichtbar und stärkt die Eigenverantwortung», so Simon Preisig, Projektleiter «Cash or Crash» bei alliance F. Ziel der Partnerschaft ist es, die Financial Literacy zu verbessern, das Bewusstsein für Vorsorge frühzeitig zu schärfen und auch auf politischer Ebene für faire Rahmenbedingungen einzutreten.
Ausserdem erweitert der Kaufmännische Verband Schweiz sein bestehendes Mitglieder-Angebot mit zusätzlichen rabattierten Versicherungsoptionen.
Sozialpartnerschaft als Hebel
Auch die Rolle von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) verdient eine vertiefte Analyse. Erste Daten zeigen einen positiven Trend im Detailhandel: So sank der Anteil der Berufsleute unter der PK-Eintrittsschwelle im Detailhandel von 2015 auf 2023 von 21.3% auf 16.5% (-4.8 Prozentpunkte). Schweizweit ist der Anteil der Berufsleute unter der PK-Eintrittsschwelle hingegen nur um -1.4 Prozentpunkte gesunken. Mit schweizweit gesamthaft 27’806 Berufsleuten unter der PK-Eintrittsschwelle bleibt die strukturelle Herausforderung im Detailhandel dennoch bestehen. «Genau hier setzt die Sozialpartnerschaft an» erklärt Burkhalter. «Sie tritt für existenzsichernde Löhne und gute Arbeitsbedingungen ein und arbeitet gemeinsam mit Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden an besseren Vorsorgelösungen.»
Das Vorsorgesystem neu denken
Schon in den 1920er-Jahren hat der Kaufmännische Verband Schweiz wichtige Pionierarbeit geleistet: Mit der Einführung eines «Fonds für soziale Zwecke» legte er damals den Grundstein für die künftige Vorsorgeeinrichtung, die Einführung einer Invaliditäts- und Altersvorsorge sowie für eine verbandsinterne Arbeitslosenkasse. «Heute, rund 100 Jahre später, stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen», stellt Burkhalter fest. «Wir brauchen nicht nur kreative Massnahmen, um die Vorsorgesituation von Kaufleuten und Arbeitnehmenden im Detailhandel zu verbessern, sondern müssen angesichts des demographischen Wandels das Vorsorgesystem als Ganzes neu denken.»
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Kaufmännischer Verband Schweiz