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«Eine neue Form der Führung wird notwendig»
Im Zeitalter von New Work verändert sich nicht nur die Art und Weise, wie wir arbeiten, sondern auch die Führung. Flexibilität, Selbstbestimmung und menschenzentrierte Ansätze stehen im Fokus. Dr. Michael Grampp, Chefökonom und Leiter Research bei Deloitte, spricht im Interview darüber, wie Unternehmen durch Skills-basiertes Rekrutieren und neue Führungsmodelle den Fachkräftemangel bewältigen und zugleich die Innovationskraft und Mitarbeiterzufriedenheit steigern können.
Was bedeutet «New Work» für Sie?
New Work beschreibt neue Arbeitsmodelle und -praktiken, welche den sich verändernden Anforderungen und Bedürfnissen von Arbeitnehmenden und Arbeitgeber gerecht werden. Es geht vor allem darum, flexiblere, selbstbestimmtere und zufriedenstellende Arbeitsbedingungen zu schaffen – mit dem Ziel, Mitarbeitende stärker zu motivieren, einzubinden und die Loyalität zum Arbeitgeber zu erhöhen. Die Arbeitsbedingungen und -beziehungen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden werden neu definiert. Auch um dem raschen Wandel in der neuen Arbeitswelt Rechnung zu tragen.
Was verstehen Sie unter «menschenzentriertem Arbeiten»?
Menschenzentriertes Arbeiten bedeutet, dass Arbeitsabläufe, Prozesse und Arbeitsumgebungen stärker auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Interessen der Mitarbeitenden ausgerichtet werden. Arbeit ist so zu organisieren und zu gestalten, dass sie für die Mitarbeitenden möglichst angenehm, sinnstiftend und effektiv ist.
«Menschenzentriertes Arbeiten gilt als wichtiger Faktor für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und die Arbeitsmotivation. Dies soll positive Auswirkungen auf die Produktivität und den langfristigen Unternehmenserfolg haben.»Dr. Michael Grampp, Chefökonom und Leiter Research bei Deloitte
Wie wichtig wird die Erwerbsarbeit in Zukunft sein?
Die Bedeutung der Erwerbsarbeit wird sich in Zukunft verändern, aber weiterhin eine sehr wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen. Die alternde Bevölkerung und der Arbeitskräftemangel in vielen Industrieländern werden in den meisten Branchen dazu führen, dass Erwerbsarbeit einen höheren Stellenwert hat. Unternehmen werden verstärkt um Arbeitskräfte auf allen Qualifikationsebenen werben müssen und entsprechend positive Rahmenbedingungen anbieten.
Flexible Arbeitszeiten, Remote-Working-Möglichkeiten und neue Arbeitsmodelle wie Top-Sharing, Job-Sharing oder verstärkte Teilzeit werden dazu beitragen, dass die Erwerbsarbeit für viele Menschen attraktiver wird und somit ebenfalls einen höheren Stellenwert bekommt.
Zudem wird die steigende Bedeutung von Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance, sinnstiftende Arbeit dazu führen, dass Arbeitnehmende stärker nach Jobs suchen, die ihren persönlichen Werten und Interessen entsprechen.
Welches gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Potenzial hat New Work?
New Work hilft Unternehmen, sich auf die Anforderungen der Digitalisierung und in Teilen der Globalisierung besser einzustellen und dadurch wettbewerbsfähiger zu werden. Eine stärkere Selbstbestimmung und Partizipation der Arbeitnehmenden kann zu einem höheren Engagement, höherer Identifizierung mit dem Job und mehr Innovationsfähigkeit führen.
Gesellschaftliche Herausforderungen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie können besser erreicht werden (flexible Arbeitszeitmodelle, eigenverantwortlichen Arbeitsstil, etc.). New Work wird auch ökologisches Potenzial zugeschrieben.
«Insbesondere neue Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten für Remote Working können dazu beitragen, den ökologischen Fussabdruck von Unternehmen zu verringern.»Dr. Michael Grampp
Ist die Skills-basierte Rekrutierung – also der Fokus auf Fähigkeiten und Kompetenzen statt auf Abschlüsse und Qualifikationen – ein Weg aus dem Fachkräftemangel oder eher Ausdruck eines Wandels hin zu mehr menschenzentriertem Arbeiten?
Beides. Einerseits kann Skills-Based-Hiring helfen, den Fachkräftemangel bzw. den generellen Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, indem es Unternehmen ermöglicht, die besten Talente unabhängig von ihrem Bildungsweg oder ihren beruflichen Erfahrungen zu identifizieren und einzustellen. Unternehmen legen so den Fokus auf Fähigkeiten und Kompetenzen anstelle von formalen Qualifikationen, Abschlüssen oder Arbeitsvergangenheit und können damit ihre Talentsuche breiter gestalten und potenziell mehr qualifizierte Bewerber erreichen.
Andererseits kann Skills-Based-Hiring auch als Teil des Wandels zu einer menschenzentrierteren Arbeitswelt betrachtet werden. Wenn Unternehmen aufgrund von Fähigkeiten und Kompetenzen ihre Mitarbeitenden rekrutieren und einstellen, können sie beispielsweise auch eine stärkere Diversität und Inklusion fördern. Skills-Based-Hiring kann möglicherweise verhindern, dass wegen Vorurteilen oder Stereotypen in traditionellen Rekrutierungsprozessen (Alter, Nationalität, etc.) Talente übersehen werden.
Wie verändert sich Führung unter New Work?
Ein Wandel der Führungskultur ist notwendig: Statt einer traditionellen, hierarchischen Führung wird eine neue Form der Führung notwendig, die sich auf Empowerment, Selbstorganisation und Unterstützung fokussiert.
Mitarbeitende sind zu befähigen, selbstständig Entscheidungen zu treffen und ihre Arbeit eigenständig zu organisieren. Die Rolle der Führungskraft wird dabei eher unterstützend (Coach) als kontrollierend sein. Die Zeiten des Mikromanagements sind vorbei.
Um eine Umgebung zu schaffen, in der Empowerment und Selbstorganisation möglich sind, ist es wichtig, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vertrauen. Führungskräfte sollten ihnen Freiraum lassen und ihnen zutrauen, dass sie ihre Arbeit erledigen. Viele Führungskräfte sind hier noch nicht so weit, so dass diese entsprechend geschult und sensibilisiert werden müssen.
Unter New Work ist es zudem wichtig, eine Kultur des Feedbacks zu fördern, in der Mitarbeitende auch ihre Meinungen äussern und Rückmeldungen geben können, um die Zusammenarbeit und das gemeinsame Lernen zu fördern, aber auch um die Profitabilität des Unternehmens zu stärken. Dabei ist die Kommunikation entscheidend. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeitenden dazu ermutigen, miteinander zu kommunizieren und auch ehrliches Feedback mit ihren Vorgesetzten anzustreben.
Das Interview wurde erstmals im Rahmen der Studie «Potenzial von New Work» der politischen Allianz die plattform des Kaufmännischen Verbands Schweiz veröffentlicht.
Veröffentlicht am: 12.11.2025
Infobox
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Dr. Michael Grampp verfügt über 20 Jahre internationale Berufserfahrung in der Unternehmensberatung, als Start-up-Gründer und in der ökonomischen Forschung. Er berät Führungskräfte in wirtschaftlichen Fragen und zu branchenspezifischen Problemstellungen. Thematische Schwerpunkte sind u.a. Makroökonomie, Geopolitik, Innovation, Digitalisierung und Zukunft der Arbeit. Als promovierter Ökonom mit MAS in Dienstleistungsmarketing ist er auch Gastdozent an der ZHAW für das Thema «Advanced Research Methodology».