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Einige freuen sich auf die Pensionierung, anderen macht der neue Lebensabschnitt Angst. In einem Seminar erfahren ältere Menschen, wie sie sich darauf vorbereiten können.

«Wer würde gern sofort am nächsten Freitagabend in Pension gehen?» Die Frage stellte Seminarleiter Roland Storrer gleich zu Beginn der Veranstaltung. So pressant haben es dann aber doch die meisten der Teilnehmenden nicht mit dem Aufgeben der Erwerbsarbeit. Schliesslich ist der Übergang ins Rentenalter eine einschneidende Veränderung, für die eine gute Vorbereitung ratsam ist. Genau deshalb besuchten Mitte April zehn Personen ein eineinhalbtägiges Webinar von Avant Age, der Fachstelle für Alter und Arbeit, welche der Pro Senectute angegliedert ist.

«Ich wünsche mir einen sanften Übergang», gibt Christoph zur Antwort. Der Lehrer aus Bern wird in drei Jahren pensioniert und möchte sein 85-Prozent-Pensum bis dahin weiter reduzieren. Im Hinblick auf die frei werdende Zeit hat er sich bereits zum Wanderleiter und Pilgerbegleiter weitergebildet. Gemeinsam mit seiner Frau Maria, die als Diakonin arbeitet, führt er schon heute Wanderungen für kleine Gruppen durch. Mila* dagegen möchte gerne vor dem offiziellen Pensionsalter aufhören zu arbeiten. Die 62-Jährige ist im Reinigungsdienst eines Pflegeheims beschäftigt. Die körperlich strenge Arbeit mache ihr zusehends zu schaffen, erzählt die Kroatin. Eine Frühpensionierung sei für sie aber finanziell schwierig. Sie überlege sich deshalb, in ihr Heimatland zurückzukehren, wo die Lebenskosten tiefer sind als in der Schweiz.

Finanzielle und rechtliche Fragen sind für die meisten Teilnehmenden von grossem Interesse. Für diese Themen ist ein halber Tag des Seminars reserviert, den ein Finanzberater einer Bank bestreitet. Roland Storrer empfiehlt jedoch, eine Finanzplanung bereits früher anzugehen – spätestens fünf Jahre vor der Pensionierung, besser zehn. Dafür bieten auch die meisten Banken Beratungen an. Der erste Kurstag ist jeweils der Gestaltung der frei werdenden Zeit und der sozialen Beziehungen sowie der Gesundheit und der Suche nach Lebenssinn gewidmet.

«Die Arbeit beeinflusst viele Lebensbereiche.»
Roland Storrer

Garten, Wanderungen oder ein Hund?

Als erste Aufgabe sind die Teilnehmenden aufgefordert, eine Bilanz zu ziehen: Was verliere ich mit der Arbeit  und was gewinne ich? Jede und jede erstellt darüber eine Liste. «Die Arbeit beeinflusst viele Lebensbereiche», stellt Storrer klar. Einerseits nehme sie natürlich sehr viel Zeit in Anspruch, die es nachher anderweitig zu füllen gelte. In Gruppen unterhalten sich die Teilnehmenden darüber, welche Aktivitäten sie nachholen wollen, welche weiter pflegen, neu oder wieder entdecken. Die Ideen sprudeln nur so: Sprachen lernen, den Garten pflegen, die Volkshochschule besuchen, Velofahren, Modellflugzeuge bauen, Klarinette lernen, reisen und einen Hund zulegen – wobei so ein Haustier die Freiheit anderseits auch wieder einschränken könnte, wie Ruth* zu bedenken gibt. «Es ist gut, wenn man bei jedem Wetter raus muss. Aber vielleicht sollte ich noch etwas zuwarten und zuerst einmal auf Reisen gehen.»

Im Job begegne man aber auch automatisch Menschen, ohne dass man aktiv nach Kontakten suchen muss, bringt der Seminarleiter einen neuen Aspekt ein. «Sogar Kollegen, die man nicht besonders mag, können eine wichtigere Bedeutung haben, als einem bewusst ist.» Der Verlust dieser Kontakte sei vor allem für Singles häufig schwierig. Um sie zu ersetzen müsse man sich aktiv um einen Freundeskreis bemühen und eventuell eingeschlafene Bekanntschaften wieder beleben. Dies falle vor allem Männern schwer, die bisher viel gearbeitet haben. Dagegen müssten sich Menschen in einer Partnerschaft überlegen, was die neue Situation für die Gestaltung des Alltags bedeutet. «Die Rollen und Aufgaben sollten neu definiert werden.»

Eine neue Aufgabe finden

Die Arbeit sorge zudem häufig für einen Sinn im Leben, das Gefühl gebraucht zu werden und im besten Fall auch für Wertschätzung, so Storrer weiter. Um diese Dinge müsse man sich nach der Pensionierung selber bemühen. «Sich die restlichen 20 bis 30 Jahre nur zu vergnügen kann wohl keine Perspektive sein.» In den Kursunterlagen finden die Teilnehmenden unter anderem eine Liste mit Möglichkeiten für ehrenamtliche Einsätze.

«Sich die restlichen 20 bis 30 Jahre nur zu vergnügen kann wohl keine Perspektive sein.»
Roland Storrer

Storrer warnt aber auch davor, sich so stark vereinnahmen zu lassen, dass am Schluss doch wieder keine Zeit bleibt, um die eigenen Interessen zu pflegen. Pensionierte werden gern für Ämter in Vereinen oder fürs Enkelhüten eingespannt. Bei einigen wird in dieser Zeit auch die Betreuung der eigenen Eltern aktuell. Manche laufen Gefahr, sich dabei kräftemässig zu überfordern.

Wohnform überdenken

Ein weiterer Bereich, der durch das Arbeitsleben meist mitbestimmt wird, ist die Wohnsituation. Später hat man plötzlich die Freiheit, aufs Land zu ziehen oder gar länger auf Reisen zu gehen. Über neue Lebensformen machen sich zum Beispiel Christoph und Maria Gedanken: «Aus ökologischer und ökonomischer Sicht würde eine kleinere Wohnung wohl Sinn machen», sagt der Lehrer. Die beiden können sich eine gemeinschaftliche Wohnform vorstellen. Vielerorts sind zurzeit Mehrgenerationenhäuser am Entstehen oder neue Siedlungen, die sich für Alters-Wohngemeinschaften eignen.

Einige würden sich zu Beginn schwer tun mit der Gestaltung des letzten Lebensabschnitts, weiss Roland Storrer. Der 56-Jährige hat in den letzten vier Jahren zahlreiche Vorbereitungskurse geleitet. Häufig werden diese von Firmen organisiert und von Mitarbeitenden besucht, die sich von sich aus noch kaum Gedanken über den Ruhestand gemacht haben. Gemäss einer Umfrage braucht die Hälfte der Pensionierten rund zwei Jahre, bis sie sich richtig mit der neuen Situation arrangiert hat. Studien zeigen jedoch, dass ein Grossteil der Menschen ab 65 zufriedener ist als früher im Leben. «Das Pensionsalter ist eine tolle Lebensphase», ermutigt Roland Storrer die Webinar-Teilnehmenden. «Entscheidend ist, dass wir uns frühzeitig Gedanken machen, wie wir sie gestalten möchten. In unserer heutigen Gesellschaft in der Schweiz ist noch so viel möglich.»

*Namen teilweise geändert.

«Das Pensionsalter ist eine tolle Lebensphase.»
Roland Storrer

Roland Bischof (60), Projektmanager bei der Maschinenfabrik Rieter

«Ich zähle bereits die Tage, bis es so weit ist. Denn ich habe so viele Hobbys und ständig zu wenig Zeit dafür. Deshalb werde ich mich schon mit 62 frühpensionieren lassen. Ich freue mich darauf, danach etwas später aufzustehen, in Ruhe zu frühstücken und die Zeitung zu lesen. Dann werde ich je nach Wetter in meiner Werkstatt etwas basteln oder mit meinen Oldtimern übers Land fahren. Im Seminar von Avantage, auf das ich über das Weiterbildungsprogramm meiner Firma gestossen bin, ist mir aber auch noch stärker bewusst geworden, dass ich meinen Tagesablauf auch im Ruhestand gut strukturieren muss. Ich bin bereits jetzt Hauswart und kann mir vorstellen, künftig für andere Leute kleine Jobs zu übernehmen wie etwa Rasenmähen, Laubrechen, Schneeschaufeln, Umgebungsarbeiten und kleine Reparaturen ausführen – etwa im Rahmen des Portals Rent a Rentner. Weitere mögliche Beschäftigungen sind Behindertentransporte, Ausflüge mit Senioren, Stadtführungen oder Ausfahrten für Passagiere mit meinen Oldtimern. Zuerst einmal werde ich für drei Monate nach Australien verreisen.»

Bruno Pfeifer (63), Techniker bei der Energie-Firma Hitachi Zosen Inova

«Ich stehe seit 44 Jahren im Arbeitsleben und würde gerne bald in den Ruhestand gehen. Ich wünsche mir, mehr Zeit zu haben zum Wandern, um Bücher zu lesen und mit der Familie etwas zu unternehmen – kurz: das Leben zu geniessen. Doch leider habe ich grosse Lücken bei den Sozialversicherungen. Dies kommt daher, dass ich gut 20 Jahre im Ausland tätig war. Ich finde das ungerecht und nicht zeitgemäss. Schliesslich ist es heutzutage normal, global unterwegs zu sein und in verschiedenen Ländern zu arbeiten. Bis jetzt habe ich auch noch niemanden gefunden, der mich bei diesem Problem professionell beraten kann. Meine finanzielle Situation sowie die Gesundheit beschäftigen mich stark. Ich wohne in Deutschland und arbeite als Grenzgänger. Wenn ich in Deutschland bleiben will, kann es sein, dass ich bis 70 weiterarbeiten muss, um eine anständige Rente zu erhalten. Meine Frau und ich überlegen uns deshalb, nach Argentinien auszuwandern, wo ich geboren bin. Einfach wäre das aber nicht, denn unsere Kinder und Enkel sind hier.»

Lisa Segawa (65), Heilpädagogin Primarschule Neuenhof (AG)

«Mein Beruf war für mich immer sehr wichtig. Die Arbeit mit den Kindern bereitet mir viel Freude und ich engagiere mich stark in der Schule. Loslassen ist deshalb nicht ganz einfach. Ich weiss noch nicht so recht, wie ich diesen Bereich meines Lebens ersetzen kann, wenn ich diesen Sommer pensioniert werde. Etwas einfacher macht es für mich, dass ich den Übergang fliessend gestalten kann. Bereits in den letzten beiden Jahren konnte ich mein Pensum jedes Schuljahr etwas reduzieren, indem ich keine neuen Klassen übernahm, wenn eine sechste Klasse in die Oberstufe übertrat. Ich habe gemeinsam mit meinem Mann am Seminar teilgenommen. Für mich waren vor allem die rechtlichen und finanziellen Aspekte sehr informativ. Damit hatte ich mich noch wenig auseinander gesetzt. Mein Mann wird noch ein Jahr länger arbeiten als ich. Er ist Japaner, weshalb ich die frei werdende Zeit nutzen möchte, um endlich die japanische Sprache und vor allem auch die Schrift besser zu lernen. Zudem werde ich mehr mit meinen Grosskindern unternehmen.»

Verschiedene Wege in den Ruhestand

  • Teilzeitarbeit: Kürzere Arbeitstage oder mehr Freitage.
  • Fliessende Pensionierung: Senkung des Beschäftigungsgrades vor der Pensionierung, im Gegenzug Verlängerung der Tätigkeit über das Pensionsalter hinaus.
  • Bogenkarriere: Ältere Mitarbeitende geben allmählich Verantwortung ab und übernehmen andere Funktionen und Aufgaben innerhalb der Firma. Zum Beispiel treten sie von einer Führungsfunktion zurück und haben stattdessen fortan eine Projektleitung inne. Dieser Schritt ist oft auch nötig, um das Pensum zu reduzieren.
  • Generationentandem: Ein jüngerer und ein älterer Mitarbeiter teilen sich eine Stelle und bringen dabei verschiedene Sichtweisen ein. Das Modell ermöglicht zudem Teilzeitarbeit und Wissenstransfer.
  • Mentoring: Ältere Mitarbeitende werden als Mentoren für Jüngere eingesetzt. Besonders für Führungskräfte geeignet.
  • Stafettenmodell: Schrittweise Übergabe belastender Aufgaben an eine nachfolgende Person, ev. auch verbunden mit der Übernahme weniger anspruchsvoller Tätigkeiten – also ein allmählicher Tausch der Funktionen.
  • Pool von Ehemaligen: Ehemalige Angestellte arbeiten als Berater, Mentorinnen oder an speziellen Projekten weiter. Sie stehen bei Spitzenbelastungen zur Verfügung. Das Pensum variiert von einzelnen Springereinsätzen bis zur fixen Teilzeitstellt.
  • Lebensarbeitszeit: Bereits früher im Arbeitsleben wird ein Guthaben an Zeit oder Geld angespart, das später in Form von längeren Ferien oder einer Arbeitszeitreduktion bezogen werden kann. (13. Monatslohn, Treueprämie, übergesetzliche Ferienwoche, Sonntags- und Nachtzulagen etc.)

Veröffentlicht am: 01.06.2021

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Autorin

  • Andrea Söldi

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