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Kreativ durch die Krise

Ob Podcast, Kochshow oder Tagebuchschreiben: Corona hat in vielen von uns schlummernde Talente geweckt. Und die Erkenntnis, dass ein Zurück in den alten Alltag gar nicht immer erstrebenswert ist.

«Schöpfe vermehrt Kreativität aus virtuellen Eindrücken»

Patrick Röllin, 31, selbstständiger Modedesigner bei 3MAY gmbh

«Kreativität ist in der Textilbranche stets (überlebens-)wichtig und somit im Alltag unabdingbar. Die Kreativität, welche ich früher durch Reisen und kulturelle Veranstaltungen gewinnen konnte, schöpfe ich nun vermehrt aus virtuellen Eindrücken: zum Beispiel Webshops, spannender Literatur oder inspirierenden Gesprächen.

Das selbständige Arbeiten erfordert viel Disziplin und Struktur. Gerade wenn man wie ich den Sprung ins Unternehmertum macht, steht man am Anfang vor einer grossen Herausforderung. So habe ich mir gewisse Routinen angewöhnt, welche meinem Alltag die nötige Struktur geben. Beispielsweise gehe ich fast täglich in den frühen Morgenstunden auf eine Jogging-Runde und bereite mich dabei mental auf einen positiven Tag vor.

Die Pandemie hat auch mein Bewusstsein für das Wesentliche stark geschärft. Ich überlege mir vermehrt, was tatsächlich wichtig ist, wo ich meine Energie investieren soll und was mir Freude macht.»

«Ich habe endlich meinen Podcast gestartet»

Anja Glover (27), Journalistin, Leiterin der Agentur Nunyola, Besitzerin des Tanzstudios Paname Academy

«Alles ist anders. In meiner Kreativagentur wurden ganz viele Events abgesagt oder verschoben, viele Kommunikationsaufträge wurden gestrichen. Mein Tanz- und Yogastudio war im vergangenen Jahr mehr geschlossen als geöffnet. Aber ja, die Not hat bei mir schon zu Kreativität geführt: Wir gingen mit dem gesamten Yoga- und Tanzstudio innerhalb von 24 Stunden online, haben in kurzer Zeit einen Youtube-Kanal eröffnet und eine grosse Crowdfunding-Kampagne geführt, welche letztlich unser Studio gerettet hat. Weiter habe ich endlich meinen Podcast «einfach LEBEN» gestartet, der von einem grossen Publikum gehört wird.

Ich glaube, dass wir von Corona alle ganz viel lernen durften und hoffe sehr, dass das ortsunabhängige Arbeiten seine Legitimität beibehält. Ebenfalls muss man weiterhin kreativ sein. Ich denke, dass wir uns auch in Zukunft immer wieder anpassen müssen und nicht wie vielleicht die Generationen vor uns jahrelang denselben Beruf ausüben können. Es bleiben aber bestimmt auch Narben. Das Jahr 2020 war für viele wie auch für mich persönlich sehr herausfordernd.»

«Tut gut, Gedanken auf Papier zu bringen»

Katja Meier (32), Planerin und (Um)bauleiterin bei der planen einrichten gestalten gmbh

«Ich habe mich letztes Jahr Anfang März selbstständig gemacht, zwei Wochen vor dem Lockdown. Das hat natürlich meine Pläne total über den Haufen geworfen: Eigentlich wollte ich in der Anfangsphase möglichst viele Kontakte knüpfen und Leute kennenlernen. Weil das nicht möglich war, habe ich mich dafür via Social Media zu vernetzen begonnen und war überrascht, wie viele Leute ich mit einem Post erreichen kann.

Ebenfalls im letzten Jahr habe ich angefangen, zwischendurch Gedanken oder Skizzen in ein kleines Notizheft zu kritzeln. Alltägliche Ideen, was ich vielleicht mal umsetzen möchte, aber auch kleine Zeichnungen von Beobachtungen oder einfach Dinge, die mich eine Weile beschäftigt haben. Ich habe gemerkt, wie gut es tut, wenn ich diese auf Papier bringen und danach zuklappen kann. Auf diese Weise habe ich oft nicht nur das Büchlein, sondern auch die sich drehenden Gedanken beiseitegelegt. Das möchte ich über Corona hinaus beibehalten.»

«Im Flieger konnte ich Abstand nehmen»

Franz Affentranger (50), Stadtpolizist in Zürich und Fluglehrer

«Ich habe mir in diesem Winter Tourenski gekauft und die Bewegung in der freien Natur sehr genossen. Man wusste ja nicht, wie lange die Skigebiete zu bleiben und ich fand das eine schöne Alternative zum Schneeschuhlaufen. Im Sommer habe ich meinen neuen Töff ausgiebig genutzt und auch in der Luft war ich so viel wie noch nie zuvor. Im Flieger konnte ich zwischendurch vor dem momentan schwierigen Alltag in fliehen, den Gedanken freien Lauf lassen und einfach Abstand nehmen von allem, was da unten auf der Welt passiert.

Der Mangel an Angeboten und Beschäftigungsmöglichkeiten – man könnte auch sagen die Langeweile – haben bei mir in den letzten Wochen und Monaten zudem einen inneren Prozess angeregt. Ich überlege mir zurzeit, wie ich mich weiterentwickeln könnte und habe Lust, noch einmal etwas Neues zu lernen oder mich in einem Bereich zu vertiefen. Ob das in der Fliegerei oder anderswo ist, weiss ich noch nicht. Aber ich freue mich jetzt schon auf den frischen Wind, den eine Weiterbildung mit sich bringen wird.»

«Ich hatte die Idee für eine Kochshow»

Corinne Imbach (34), Geschäftsleiterin Jugendkulturhaus Treibhaus

«Ich habe viel weniger Abendtermine, Sitzungen oder Nachteinsätze. Für meine Gesundheit hat sich das positiv ausgewirkt. Ich kann grundsätzlich besser schlafen, bin ausgeglichener und weniger gestresst. Dieses gestärkte Bewusstsein möchte ich auch über Corona hinaus beibehalten.

Privat habe ich mir während dem Lockdown mit YouTube das Stricken beigebracht. Es wird wohl nicht meine Passion, aber es war mal was ‹Handfestes›. Beruflich habe ich enorm viel gelernt. Ich musste oft sehr schnell verantwortungsvolle Entscheidungen für das ganze Team treffen. Ich versuche täglich, meine Mitarbeitenden mit einer positiven und gewinnbringenden Art zu motivieren und den Teamzusammenhalt zu fördern. Teilweise komme ich an meine Grenzen, denn die Corona-Situation stresst natürlich auch mich. Solche Downs lösen bei mir aber immer viele neue Ideen und Lösungsansätze aus.

So hatte ich zum Beispiel während dem Lockdown, um meine Köche zu beschäftigen, die Idee von einer Kochshow für den Remote-Schulunterricht. Unsere Videos und Einkaufslisten von ‹Tribis Kochshow› kamen bei Hauswirtschaftslehrpersonen, Familien und WGs sehr gut an.»

«Die Online-Trainings haben Potenzial»

Ralph Güttinger (30), Fitnesscoach, D&R Performance GmbH

«Direkt arbeiten darf ich im Moment nur noch mit Spitzensportlern und Jugendlichen unter 16. Die Gruppentrainings haben wir allesamt auf Zoom verlagert und ich muss ehrlich sagen: Die Leute sind nicht mehr gleich motiviert wie noch im letzten Frühling. Ich denke aber, dass die Online-Trainings Potenzial für dich Zukunft haben. Bei Personaltrainings oder wenn Spitzensportler an einem Turnier sind und gerade nicht vor Ort sein können, ist das eine gute Möglichkeit, trotzdem ein Training zu machen. An sowas hätte ich früher nie gedacht.

Ich persönlich bin trotz der nach wie vor unsicheren Lage gelassener geworden und kann die zusätzliche Freizeit langsam effektiv geniessen. Da die Morgentrainings ausfallen, schlafe ich mehr und schaue auch mal in die Nacht hinein NBA. Ausserdem mache ich täglich zwei Trainings und game ausgiebig mit meinem Bruder. Ich weiss, es ist eine Ausnahmesituation, und ich versuche einfach, das Beste daraus zu machen; die Zeit für Sachen zu nutzen, zu denen ich sonst fast nie komme.»

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Autorin

  • Rahel Lüönd

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