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Während Catherine Leus Weg vom Garten über das Tram zur Sozialarbeit führte, wechselte Jakob Bächtold vom Journalismus in die Unternehmenskommunikation. Beiden Entwicklungen ging ein intensiver Prozess voraus.

«Jetzt will ich nochmals richtig Gas geben»

Ein Studium mit 50 – das würden sich wohl viele nicht zutrauen. Doch Catherine Leu fällt das Lernen erstaunlich leicht. «Es macht mir richtig Freude», sagt die mittlerweile 53-jährige Zürcherin. Seit zweieinhalb Jahren studiert sie Soziale Arbeit im Teilzeitmodus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dabei befasst sie sich unter anderem mit Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Recht, Politik und Wirtschaft. «Häufig lerne ich gemeinsam mit meinen Kindern», erzählt die vierfache Mutter. «Wir motivieren uns gegenseitig.»

Ursprünglich hatte Leu Gärtnerin gelernt. Als die Kinder klein waren, hat sie Schülergärten betreut und andere Mandate für die Pflege von Biogärten übernommen. «Die Beschäftigung mit der Natur war mir immer wichtig. Doch richtig davon leben konnte ich nie», erzählt sie. Ausserdem sei der Beruf körperlich anstrengend, besonders, wenn man älter wird. Um einen Teil zum Familieneinkommen beizutragen, war sie deshalb über viele Jahre  als Tramführerin in Zürich unterwegs. «Das war manchmal lustig und gut mit der Familie kombinierbar, doch auf die Dauer auch etwas langweilig.»

«Die Beschäftigung mit der Natur war mir immer wichtig. Doch richtig davon leben konnte ich nie»
Catherine Leu

Hin zu den Menschen

Als die Kinder selbstständig wurden und allmählich auszogen, begann sich Leu über eine berufliche Neuorientierung Gedanken zu machen. Am Anfang dieses Prozesses stand ein Kurs für Wiedereinsteigerinnen an der kantonalen Schule für Berufsbildung EB Zürich, in dem sie sich mit ihren Interessen und Chancen auseinandersetzte. In diesem Jahr kristallisierte sich heraus, dass sie künftig mit Menschen arbeiten wollte. «Menschen haben mich immer interessiert. Bereits beim Tramfahren sind immer Leute zu mir gekommen, um mit mir zu plaudern.»

Obwohl sie mit ihrer Lebenserfahrung wohl gute Chancen für eine Sur-Dossier-Aufnahme gehabt hätte, entschied sich Leu für den regulären Weg über die Berufsmaturität. Danach begann sie 2018 mit dem Bachelorstudiengang. Zwar gehört sie hier zu den älteren Studierenden, aber eine Exotin ist sie nicht. Denn in der Fachrichtung Soziale Arbeit gilt persönliche Reife als Vorteil.

Finanziell auf eigenen Beinen stehen

Im Rahmen eines Praktikums arbeitet die Studentin Ende 2020 mit Geflüchteten. Langfristig wünscht sie sich eine Stelle mit mehr beratenden Tätigkeiten, wie es etwa in ihrem nächsten Praktikum in einer Psychiatrischen Klinik der Fall sein wird.

Catherin Leu ist zuversichtlich, dass sie nach ihrem Abschluss eine Stelle finden wird. Da sie sich kürzlich von ihrem Mann getrennt hat, muss sie nun auch finanziell unabhängig werden. Zudem habe sie grosse Lust auf ihren neuen Beruf, sagt sie: «Jetzt will ich nochmals richtig Gas geben.»

«Menschen haben mich immer interessiert. Bereits beim Tramfahren sind immer Leute zu mir gekommen, um mit mir zu plaudern.»
Catherin Leu

«Das Coaching war extrem inspirierend»

Jakob Bächtold war Journalist aus Leidenschaft. Während 20 Jahren hat er für die Winterthurer Lokalzeitung «Der Landbote» geschrieben und zuletzt die Redaktion geleitet. Meist war er rund um die Uhr erreichbar, auch an Freitagen. «Ich habe die Stunden nicht gezählt», sagt der Winterthurer. «Wenn etwas für den Landboten wichtig war, habe ich es gemacht, ohne viel zu überlegen.»

Trotz der Begeisterung für seinen Beruf, hat der 45-Jährige unterdessen in die Kommunikation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gewechselt. «Ich habe eine gewisse Ermüdung an mir festgestellt», erklärt Bächtold. Dafür verantwortlich zu sein, dass die Zeitung jeden Tag mit spannenden Geschichten erscheint, habe ihn je länger je mehr gestresst. Zudem tat er sich zuweilen schwer damit, wie sich der Journalismus in den letzten Jahren verändert hat. Mit der verstärkten Ausrichtung auf die Online-Kanäle wurden die Klickzahlen immer wichtiger. Die Themen, über die Bächtold am liebsten schrieb, erreichten nicht immer Top-Werte. Deshalb begann er sich vor anderthalb Jahr Gedanken über eine Veränderung zu machen.

Inspiration durch Coach

Der Prozess begann mit Gesprächen im Freundeskreis und mit seiner Frau. Zudem holte sich der dreifache Vater Unterstützung von einem Laufbahn-Coach. «Das war extrem inspirierend», blickt er zurück. In der Beratung gewann er mehr Distanz zu seiner Situation und konnte seine Mühe mit der Ablösung vom langjährigen Beruf thematisieren. Er begann, Bewerbungen zu schreiben. Neben Job und Familie empfand er dies jedoch als sehr belastend. Denn während er sein Team täglich motivieren musste, durfte er sich nichts davon anmerken lassen, dass er selber auf dem Absprung war.

«Ich habe eine gewisse Ermüdung an mir festgestellt»
Jakob Bächtold

Nach der Kündigung klappte es

Schliesslich beschloss Bächtold Ende 2019, ohne neuen Arbeitsvertrag zu kündigen. Er konzentrierte sich fortan auf die Jobsuche und kommunizierte dies auch über die sozialen Medien. Und plötzlich kam Bewegung in die Situation: Einige Bekannte zeigten Interesse, ihn zu beschäftigen, und nach einem Dutzend erfolgloser Bewerbungen kam er plötzlich in zwei Verfahren in die zweite Runde. Bereits im März erhielt er die Zusage für die neue Stelle bei der ZHAW. «Die Hochschule mit all ihren verschiedenen Fachrichtungen ist eine sehr spannende Institution», sagt der heutige Kommunikationsverantwortliche. Im neuen Umfeld sei er sehr gut aufgenommen worden, obwohl er viele Abläufe noch nicht kannte und in manchen Bereichen neu anfangen musste. «Ein-, zweimal bin ich in ein Fettnäpfchen getreten», schmunzelt er.

Neben der 80-Prozent-Stelle hat Jakob Bächtold bereits ein weiteres Standbein aufgebaut: Er bietet seine Dienste als selbstständiger Texter und Moderator an. Dank seiner zahlreichen Kontakte konnte er bereits einige Aufträge an Land ziehen. Die neue Vielfalt in seinem Berufsleben findet er cool: «Meinen Entschluss zum Wechsel habe ich noch keine Sekunde bereut.»

Veröffentlicht am: 21.01.2021

«Meinen Entschluss zum Wechsel habe ich noch keine Sekunde bereut.»
Jakob Bächtold

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Autorin

  • Andrea Söldi

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